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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/​1911

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Redaktioneller Teil
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Schmidkunz, Hans: Geber und Nehmer der Kunstbildung, V
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^32

Die Werkstatt der Kunst.

heft ^0.

Redaktioneller Teil.

Geber unci?7ebmer cler Nunftbrlclung. V
von Or. Hans Sch IN id kunz-Berlin-Walensee
Die Redaktion unserer Zeitschrift hat frühzeitig er-
kannt, welche Bedeutung für alle Angelegenheiten der
Kunstpslege die pädagogische Seite der künstlerischen
Tradition besitzt. Auch der Schreiber dieser Zeilen war in
der angenehmen Lage, sich an der Betätigung dieser Er-
kenntnis beteiligen zu können, und zwar insbesondere durch
seine Artikelreihe des vorliegenden Titels*). Seither ist
mehrfach namentlich das Verhältnis zwischen Künstler-
bildung und Künstlererwerb behandelt worden. Einer
Rekapitulation und Fortsetzung dessen muß noch ein be-
sonderes Wort vorausgeschickt werden.
Keine der heute bekannten Berufsschulen verbürgt ihren
Studenten einen zulänglichen künftigen Erwerb. Die meisten
aber führen in eine Bahn, in welcher er staatliche oder
staatsähnliche Anstellungen findet, wenn er gewisse Vor-
bedingungen erfüllt hat. So namentlich an der Universität
die Aussichten auf den Beruf des Lehrers, des Richters
u. dgl. m.
Merkwürdig, aber bisher wenig beachtet, ist dabei der
Umstand, daß diese beruflichen Bildungsstätten so gut wie
niemals nach dem Talente dessen fragen, der durch ihre
Darbietungen in Fach und Berus vorwärtskommen will.
Das mag ja zum Teil gerechtfertigt sein; zu einem anderen
Teil ist es dies jedenfalls nicht und trägt mit die Schuld
daran, daß oft gänzlich ungeeignete Leute sich und anderen
die Mühe eines verfehlten Studiums bereiten. Es trägt
auch dazu bei, daß die Frage nach dem Talente für Wissen-
schaft und ev. für Technik noch kaum jemals angeschnitten
worden ist.
Wesentlich anders bei der Studien- und Berufsbahn
des Künstlers. Hier liegt dem simpelsten Betrachter sofort
die Frage aus der Zunge: „Hat der Junge Talent?" Und
in der Regel stellen ja die künstlerischen Berufsschulen, zu-
mal im Gegensätze gegen Amateurschulen, auch tatsächlich
bei der Aufnahme die „Talentfrage", was es damit auf
sich hat, wissen erfahrene Kenner jedenfalls noch besser, als
der Schreiber dieser Zeilen. Dieser aber darf wohl hervor-
heben, daß es auch hier noch an einer wirklichen Erkennt-
nis dessen fehlt, was denn eigentlich künstlerisches Talent
ist, und namentlich, wie es sich denn erkennen läßt. — Die
Anwendungen des Gesagten auf unsere nun kommenden
Naterialangaben und Gedankengänge liegen wohl auf
der Hand.
In Iahrg. IX, Heft HO lasen wir die Rede eines Unter-
staatssekretärs zur Eröffnung der „Großen" von tg fo. Dort
hieß es: der Staat „soll durch die Art des Unterrichts auch
zu verhindern bestrebt sein, daß ungeeignete Kräfte den
Künstlerberuf ergreifen". Das mag Zustimmung verdienen;
aber nun kommt die direkt „hochschulpädagogische" Frage
eben nach der Art dieses Unterrichts.
Einen besonders nachhaltigen Eindruck scheint bei un-
seren Lesern der Artikel in Iahrg. IX, Heft HH von Julius
Rosenbaum hinterlassen zu haben: „Kann dem bildenden
Künstler eine ständige Erwerbsquelle geschaffen werden?"
Der Verfasser will das Uebel an der Wurzel gefaßt sehen,
„und zwar an der Erziehung", wie er zu unserer Freude
ausdrücklich sagt. Dreifach ist sein Vorschlag.
Erstens soll der Akademieunterricht so umgestaltet
werden, daß jeder Schüler ein praktisches Kunstgewerbesach
wählen müsse, daß also Kunst- und Kunstgewerbeschule ver-
schmolzen werden müssen. (Dem Autor bleibt es wohl nicht
verborgen, daß dies geradezu eine Rückumwandlung einer
jahrhundertelangen Umwandlung bedeutet.) — Zweitens
soll die Malerei mit dem Lehrerberuf verbunden werden.
Lin Maler sollte etwa im Zeichnen oder in Naturkunde

*) Dabei sei bemerkt, daß der zweite dieser Artikel in Iahrg. IX,
Heft H nicht von mir war. Schmldkunz.

oder in deutscher Literatur unterrichten. (Daß damit, ge-
linde gesagt, ein Gegensatz gegen Fachmanntum geschaffen
werden würde, wird dem Autor wohl auch nicht verborgen
bleiben. Daß die Künstler geeignet sein würden, „den
junoen Gemütern die schönen poetischen Erzeugnisse nahe-
zubringen", darf wohl von vornherein im Namen der
Literaturwissenschaft abgewiesen werden.) — Drittens:
Es sollen Kunstschulen eingerichtet werden, von denen aus
später je nach Erprobung des Talentes der weg entweder
zum künstlerischen Weiterstudium oder zu einem anderen
Studium führt. (Ls scheint doch wohl, daß aus diesem
Wege noch am ehesten etwas zu erreichen sein werde.)
Nur vorübergehend erwähnen wir die Anregung aus
Iahrg. IX, Heft H8: „Hochschulprofessoren und Zeichen-
unterricht". Die dortige Forderung, auf sämtlichen Schulen
auch die „visionäre" Denkweise, das Formgedächtnis usw.
zu pflegen, verdient jedenfalls Beachtung.
Zuletzt ist noch energischer Ernst mit dem vorwärts-
kommen in der Frage nach Unterricht und Erwerb gemacht
worden, indem in Iahrg. X, Heft Seite 3 Hermann
Struck wieder für eine gründliche Umgestaltung des Aka-
demieunterrichts und Julius Rosenbaum neben der Ver-
anstaltung einer Verkaufsausstellung auch eine Stellung-
nahme gegen den Lehrgang der Akademie, der das Prole-
tariat erzeuge, verlangt; und an lebhaften Zustimmungen
wird es gewiß nicht fehlen.
Denken wir, ein Künstler oder Pädagoge des deutschen
Spätmittelalters lerne das kennen, was wir Beteiligten da
zusammengeschrieben haben! Er würde baß erstaunt sein,
wie wenn er in ein Ehaos blickte. Ist es denn möglich,
würde er vielleicht fragen, daß bei euch alles so schrecklich
durcheinander und auseinander geht? daß einer neben dem
anderen steht, ohne den organischen Zusammenhang, den
wir Alten in unserer Gesellschaftsordnung besessen haben?
Der alte Herr müßte natürlich erst instruiert werden, daß
die allmählich auftauchenden Uebelstände der damaligen
Gesellschaftsordnung zu neuen Formen gedrängt haben.
Aber uns hinwider würde er zu belehren versuchen, daß
wir bei unseren zerrissenen Zuständen eben nicht bleiben
dürfen.
Grundmotiv alles hier Besprochenen: sämtliche Be-
teiligten stehen viel zu weit auseinander, arbeiten viel
zu wenig organisch mit- und ineinander. „Massenhaß und
Klassenhaß" — nachdem wir noch vor einigen Jahrzehnten
auf besseren Bahnen gewesen — spielen auch hier herein.
Ls ist schon viel, wenn der Künstler den Kunsthandwerker
und der Kunsthandwerker den Künstler und der Gelehrte
den Künstler und der Künstler den Gelehrten nicht einzig
als jemanden betrachtet, der unbedingt totgeschlagen werden
müsse.
Zaubern können wir nicht, wir besitzen kein Wunder-
mittel für die Besserung dieser Zustände überhaupt und
gegen das verhungern der Künstler insbesondere. Aber
vielleicht ist es schon ein ganz kleiner Fortschritt, wenn
wir auf diesen springenden Punkt aufmerksam machen und
einiges Nähere zu seiner Erkenntnis beitragen.
Klar oder unklar wird bemerkt und geklagt, daß die
moderne Kunst und mit ihr auch die gegenwärtige Kunst-
didaktik wirklichkeitsfremd ist. Dagegen war die alte
Kunstwerkstätte keineswegs wirklichkeitsfremd, lebensfremd;
der Meister und seine Gesellen und Lehrlinge standen eben
doch einigermaßen tief im Lebensgetriebe drinnen. Daß
dies von unseren Akademien und namentlich von unseren
neuen Lehrwerkstätten nicht gelte (mit ehrenwerten Aus-
nahmen), wird mindestens häufig behauptet. Dazu kommt
dann noch, namentlich in der Architektur, eine sehr scharfe
Stellung zuungunsten der Akademiebildung und zugunsten
der Werkstattbildung.
Aber nochmal: wir fürchten, es werde auf diesem
speziellen Flecke nicht Vorwärtsgehen, solange wir modernen
Menschen und Menschenklassen und Menschengruppen so
 
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