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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/​1911

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Redaktioneller Teil
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Die Revision im Prozeß Schleusing
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Heft 26. Die Werkstatt der Kunst.—355

Redaktioneller Teil.

Oie keviNon im Prozess Kekleuling
Am i6. März fand vor der z. Strafkammer des Kgl.
Landgerichtes II in Berlin die Berufungsverhandlung
des Direktors der „Kunstvereinigung Berlin-Mün-
chen-Dresden-Düsseldorf" gegen die „Werkstatt der
Kunst" statt. Sie endigte, wie nicht anders zu erwarten
war, mit der Zurückweisung der Berufung des
Klägers, dein sämtliche Kosten auferlegt wurden.
Bekanntlich fühlte sich der Kläger durch zwei Artikel in
den Heften HO und HP des 8. Jahrganges der „Werkstatt
der Kunst" beleidigt. Das Unternehmen der „Kunstver-
einigung Berlin-München-Dresden-Düsseldorf" war darin
als „schwindelhaft" und deren Direktor als „Titelschwindler"
bezeichnet worden. Auch das Berufungsgericht sah in
beiden Punkten den Beweis hierfür als vom ange-
klagten Redakteur erbracht an.
wir heben aus der Verhandlung folgende Einzelheiten
hervor. Zu Anfang wurde die Aussage des ehemaligen
Hofmarschalls des Fürsten zu Lippe-Detmold ver-
lesen, der in erster Instanz vor dem Amtsgericht Lichter-
felde ausgesagt hatte, daß Herrn Schleusing seinerzeit das
Hoflieferantendiplom entzogen worden wäre, weil er die
Vermittlung von höfischen Auszeichnungen in ungeschickter
Weise mit der Gewinnung von neuen Mitgliedern für
seine Kunstoereinigung verquickt habe.
Hierauf wurden als Zeugen einige sogenannte „ak-
tive" Mitglieder der „Kunstvereinigung Berlin-München-
Dresden-Düsseldorf" vernommen. Diese Künstler haben für
Herrn Schleusing jene Bilder gemalt, die nachher zur Gewin-
nung von passiven Mitgliedern als „Prämiengemälde" ver-
wendet wurden. Als erster (typischer) Zeuge wurde Herr Maler
F. S. vorgerufen, der für Gemälde im Format von 69 zu
99 cm tH Mk., für Formate von 58 zu ?8 cm ;o Mk.,
für H5 zu 65 cm 8—9 Mk. Lohn erhielt, hierbei aber noch
die Kosten für Leinwand, Keilrahmen und Farben selbst
zu tragen hatte. Allerdings handelte es sich nicht um
Kunst im eigentlichen Sinne, sondern zum größten Teil
um massenweise hergestellte Kopien. Herr F. S.
z. B. mußte wöchentlich ein- bis zweimal das Gemälde
„Ilsetal" (eines Kollegen) nach einer Photographie an-
fertigen, also 50—t 00 mal in einem Jahre, was
hierbei an Kunstwerten herauskam, kann sich jeder Kunst-
verständige selbst sagen. Der Maler erhielt schließlich eine
solche manuelle Fertigkeit, daß er ein derartiges Prämien-
gemälde in 8—9 Stunden heruntermalen konnte. Die
aktive „Mitgliedschaft" des Herrn F. S. erschöpfte sich
übrigens in der Erledigung und Ablieferung dieser Auf-
gaben. von der Verpflichtung: der „Kunstvereinigung
Berlin-München-Dresden-Düsfeldorf" „jährlich zwei Gemälde
im werte von nicht unter 200 Mk. als Mitgliedsbeitrag
zu liefern", war dem Zeugen, der sich doch ausdrücklich
als aktives Mitglied bezeichnete, nichts bekannt. Es wäre
ja auch seltsam gewesen, wenn dieser Künstler seine Werke
selbst mit 200 Mk. bewertet hätte und sie trotzdem für 5
bis ;o Mk. netto hätte abgeben müssen. Die Behauptung des
Herrn Schleusing über den wert der Beiträge der aktiven
Mitglieder in Form von Gelgemälden stellte sich also als
unrichtig heraus, vor: Rechten, die aus der aktiven
Mitgliedschaft entspringen sollten, war natürlich gar keine
Rede. Es gab keine Vereinsstatuten, es wurden keine
Versammlungen abgehalten und von der Abrechnung oder
gar von Dividenden bekamen die aktiven Mitglieder ebenso-
wenig wie die passiven jemals irgend etwas zu sehen.
(Der Reingewinn floß allein in die Tasche des Herrn
Direktors Karl Schleusing der „Kunstvereinigung Berlin-
München-Dresden-Düsseldorf", so daß diese Vereinigung als
ein rein geschäftliches priv atunternehm en dieses
Herrn bezeichnet werden darf. — Red.) Aehnlich sagten
auch die übrigen als Zeugen vernommenen „aktiven" Mit-
glieder ans.

Nun wurde die Angelegenheit des Hofrattitels,
mit dem Herr Direktor Schleusing in zwei Jahrgängen des
Berliner Adreßbuches (t90Z und lstO5) verzeichnet ist, er-
örtert. Es wurde der Hausverwalter jenes Hauses, in dem
Herr „Hofrat" Schleusing in den Jahren t9O5 und tstO5
gewohnt hatte, vernommen. Die Ausfüllung der Seherischen
Fragebogen hatte dieser Hausverwalter stets selbst und
allein besorgt und er sagte unter seinem Zeugeneide aus,
daß es ihm niemals eingefallen sei, Herrn Schleusing als
„Hofrat" einzutragen. Da nun in den beiden Jahrgängen
des Berliner Adreßbuches Herr Schleusing trotzdem als
„Hofrat" verzeichnet steht, so nahm das Gericht als er-
wiesen an, daß Herr Schleusing selbst diese Ein-
tragung nachträglich bei der Redaktion des Ber-
liner Adreßbuches veranlaßt habe. Der nächste
Zeuge, Herr Prof. Georg Kugel, Direktor der Kunstgewerbe-
schule in Eisenach, sagte darüber aus, daß in dem Jahre
t89H Herr Schleusing sich um eine Anstellung in Gotha
beworben und diese Bewerbung mit der Unterschrift „Hof-
maler" unterzeichnet habe. Nun besaß allerdings Herr
Schleusing das Prädikat „Hoflieferant" vom Gothaischen
Hof, den er mit Gratisporträts bombardiert hatte. Herr
Schleusing machte nun ganz einfach aus dem himmelweit
verschiedenen Titel „Hoflieferant" kaltblütig den Titel
„Hofmaler". Dies wurde ihm sehr bald vom herzog-
lichen Hofmarfchallamt untersagt. Der Rechtsver-
treter des Herrn Schleusing behauptete nun aber, fein
Mandant habe trotzdem das Recht, sich „Hofmaler" zu nennen
und besäße überhaupt sehr viele Auszeichnungen und Titel
von Fürsten und Potentaten, die er aber gar nicht benütze,
wenngleich ihm das natürlich jederzeit freistände. Er pro-
duzierte dann ein solches „Hofmalerdiplom" einer Floren-
tinischen „Akademie" „Stella d'Italia". Als „Patron"
dieser Akademie figurierte ein Prinz von Lusignan.
Unter allgemeiner Heiterkeit gab nun Herr Or. Friedrich
Rothe, als Rechtsvertreter der beklagten Redaktion, bekannt,
daß das Geschlecht derer von Lusignan seit 200 Jahren
ansgestorben und jener Prinz, der hohe Patron der Floren-
tinischen Akademie, wohl kein anderer sei, wie der als
„Bildergraf", d. h. als Fälscher einer ganzen Ga-
lerie in Paris entlarvte „Graf d'Aulby de Glatigny,
Herzog von Borghetto, Großmeister des Melusienordens",
in Wirklichkeit aber der Sohn eines kleinen englischen
Schneiders. Ueber die „Akademie" selbst wäre noch zu
sagen, daß sie niemals eine künstlerische Bedeutung gehabt
hat, sondern sich lediglich mit dem verkauf solcher Diplome
zu „Wohltätigkeitszwecken" befaßte und schließlich vor
einigen Jahren eingegangen ist, als vielleicht kein zahlungs-
fähiger „Hofmaler" mehr zu finden war. Schließlich wurde,
was Herr Direktor Schleusing in der vorigen Verhandlung
entrüstet abgeleugnet hatte, durch Vorlage des betreffenden
Gerichtsurteiles bewiesen, daß Herr Direktor Schleusing
wegen unberechtigter Führung des Professoren -
titels mit tvo Mk. Geldstrafe bestraft worden ist.
Endlich wurden die Sachverständigen über den
wert der Bilder vernommen. Der Maler Frhr. Leo
v. König sagte aus, es sei ihm ganz unfaßbar, daß für
Arbeiten, die hin und wieder ein gewisses Talent verrieten,
so außerordentlich geringe Löhne bezahlt würden; wenn
ferner ein Werk, dem ursprünglich ein relativ künstlerischer
wert nicht abzufprechen gewesen wäre, 50- oder toomal
wiederholt werden müßte, so würde natürlich alles Künst-
lerische mit Gewalt ausgetrieben. Herr Kunsthändler
Jacques Easper gab der Meinung Ausdruck, daß die
„Prämiengemälde", die er gesehen habe, in Auktionen
einen Preis von ;5—80 Alk. einschließlich des Rah-
mens, der übrigens der wertvollste Bestandteil
der Bilder sei, erzielen könnten, vom Vorsitzenden über
den „Kunftwert" der von Herrn Schleusing an seine pas-
siven Mitglieder gelieferten Gemälde befragt, erklärte Herr
Easper in witziger Form, „Kunst" und „wert" seien zwei
 
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