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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/​1911

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Redaktioneller Teil
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Die deutsche Plastik auf der Internationalen Kunstausstellung in Rom
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Sandkuhl, Hermann: Juryfreie Kunstschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.52067#0491

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heft 35.

Die Werkstatt der Kunst.

§83

Iuryfreie Runstlebau*)
von Hermann Sand kühl
wider und für eine juryfreie Kunstschau in Berlin
Line ganz juryfreie Kunstausstellung in Berlin I —
Lin gelinder Schauer überläuft manchen berufsmäßigen
Kunstkritiker bei der fatalen Aussicht, über eine Ausstellung
berichten zu müssen, die mit der Aufzählung einiger be-
kannter Künstlernamen nun wirklich gar kein Interesse
mehr an der Kritik erweckt. Lin abweisendes, ironisches
Lächeln überspielt das Antlitz anerkannter Künstler, wenn
ihnen zugemutet wird, sich in Reih und Glied mit Bruder
Kreti und pleti in Apoll, mit wahllos aufgenommenem
Kitsch und blödem Dilettantismus vor Publikum und
Kritik zu zeigen, verärgert und empört schwört der biedere
Kunstfreund, eine Ausstellung zu meiden, auf der das
wenige Gute durch die Masse des Minderwertigen erdrückt
wird, auf der man erst nach mühevollem Suchen den einen
oder anderen Liebling findet. Onkel Snob knöpft indigniert
die Taschen zu, da ihm fein Leibblattkritiker keine Tips
geben konnte, und nur der vergnügungssüchtige wird sich
den Rummel mal der Sensation halber ansehen. Der
notorische Nichtskönner aber freut sich, und der Dilettant
reibt sich selig die Pinselschinderhändchen: ihre Zeit ist ge-
kommen, ihr Weizen blüht. —
Ja, sie hat wirklich recht viel gegen sich die „Iury-
freie" — und doch soll sie kommen, und wird sie kommen;
die Berufenen unter den berufsmäßigen Kunstkritikern
halten sie für unerläßlich, die bildenden Künstler Berlins
halten sie für die Forderung des Tages, ihre Verwirklichung
für die Losung dieses Jahres, und der feinsinnige, gebildete
Kunstliebhaber freut sich, ungeleitet, seinem eigenen Urteil
überlassen eine Kunstschau genießen zu können, die nicht
unter der Vormundschaft einer Jury steht, darum auch
nicht unter dem Gesichtswinkel einer bestimmten Kunst-
richtung. An der wiege des Gedankens aber hat der
Volkswirt Pate gestanden, seine nüchternen, aber erschrecken-
den Zahlen, die von der Unterkonsumtion an guter Kunst
reden, von Künstlerelend und Künstlerproletariat, sprechen
eine objektive, darum eine besonders eindringliche Sprache;
sie erzählen nicht nur von einem ungeheuren, zwecklosen
Aufwand an Idealismus und positiver Arbeitsleistung,
sondern sie berechnen das investierte, unter den heutigen
Verhältnissen unverzinste Kapital an Material, Atelier,
Modell und überhaupt Produktionskosten in der bildenden
Kunst auf jährlich viele, viele Millionen. Und der weit-
sichtige Volkswirt, der sich über die soziologische Bedeutung
der bildenden Kunst, mal ganz abgesehen von ihrem ethischen
Wert für unser Volkstum, klar ist, weiß, daß es so nicht
weiter gehen kann, daß es anders werden muß; daß nur
eins helfen kann, nur das, was alle anderen Berufsstände
längst für sich begriffen haben, das ist der Zusammen-
schluß des Künstlerftandes zu einer Organisation, die
Gleichberechtigung verspricht für ihre Mitglieder, die zuerst
mal eins schafft, das ist die absolute, jedem Künstler zu
verbürgende Möglichkeit, seine Arbeit zu zeigen, sie auf
den Markt zu bringen, ihr die allerelementarste Möglichkeit
zu schaffen, gesehen und anerkannt zu werden und damit
die Möglichkeit zum verkauf.
Der Beitritt zu einer solchen Organisation muß selbst-
verständlich jedem bildenden Künstler offenstehen, ganz un-
beschadet feiner Zugehörigkeit zu irgendeiner anderen
Künstlergruppe.
Kein verständiger Mensch nimmt Anstoß daran, wenn
die Maurer, Lokomotivführer, Aerzte, Anwälte oder Schau-
spieler sich organisieren, um ihre soziale Lage zu verbessern,
nur dem bildenden Künstler steht das nicht an. Niemand
wird behaupten, daß z. B. die Aerzte oder Schauspieler in
ihrer Kunst Geringeres leisten, feit sie sich in der Erkenntnis
der Gemeinsamkeit der Standesintereffen zu Berufsorgani-
sationen zusammenschloffen. Den meisten Künstlern und Laien
*) Abdruck aus der „Deutschen Montaaszeituna". Berlin, vom
22. Mai kStt.

aber erscheint solidarisches handeln der bildenden Künstler
fast als eine Schädigung der Künstlerindividualität, damit
als eine Schädigung der freien Kunstentwicklung, obwohl
doch zunächst nur eine Einmütigkeit zur Förderung rein
äußerer, materieller Standesintereffen erzielt werden soll.
Die in Bildung begriffene, bereits ziemlich starke Organi-
sation für die Veranstaltung einer juryfreien Kunstschau in
Berlin wird durch die Hervorkehrung der kunstwirtschaftlichen
Gesichtspunkte zu einem Machtfaktor werden, mit dem Staat
oder Kommune um so lieber verhandeln werden, da in dieser
Organisation naturgemäß die heterogensten Kunstrichtungen
vereinigt sind, somit die vom Staate zu vermeidende Bevor-
zugung einer bestimmten Richtung ausgeschlossen ist. Ls
ist kaum daran zu zweifeln, daß der preußische Staat den
Absichten einer so geeinten Künstlerschaft und der Veran-
staltung juryfreier Kunstausstellungen grundsätzlich freund-
lich gegenübersteht, wie das in Bayern der Fall ist, wo
der im vorigen Jahre in München gegründete „Deutsche
Künstlerverband" die Veranstaltung juryfreier Kunstausstel-
lungen in die Hand genommen hat. In Paris besteht
bekanntlich seit Jahren eine juryfreie Kunstausstellung,
der „8ulon cles Incl^penclunts", dem die kommunalen und
staatlichen Behörden wohlwollende Förderung gewähren.
Andererseits ist es gerade das in bezug auf die Kunst-
richtung zutage liegende Neutralitätsprinzip einer durchaus
juryfreien Kunstschau, das allen ernsten Künstlern sympa-
thisch ist, und hier liegt auch der Kernpunkt der ideellen
Berechtigung der Iuryfreien, daß jede, ausnahmslos jede
Kunstauffassung zum Worte kommt. Der Kampf um den
Lorbeer ist darum nicht leichter, vielleicht sogar schwerer,
aber er ist ein gerechterer Kampf, er ist ein ehrlicher,
frischfröhlicher Kampf, bei dem Tüchtigkeit und Leistung
allein entscheidet, und Cliquenwirtschaft, Nepotismus und
Tendenz den Kämpfenden nicht im Wege stehen. Die wür-
dige Sprache eines ernsten Kunstwerkes wird vielleicht be-
sonders stark wirken neben dem wüsten Gekreische eines
ungebärdigen und dem widerlichen Gelispel süßlichen Kitsches.
Bezeichnenderweise rekrutieren sich die Gegner der „Jury-
freien" hauptsächlich aus den Künstlern, die mit Mühe
und Not vielleicht hier oder dort schon mal eine Jury
passiert haben, und die vor ihrer Klientel und, llorribile
clictu, vor sich selbst des Testats einer richtiggehenden Jury
bedürfen. Diese Künstler wagen sich aus begreiflichen
Gründen ungern in den offenen Kampf.
Es ist eine Torheit, zu meinen, eine Iuryfreie sei eine
Protestausstellung, eine Art Zulon cles keßuses. Ls ist
kein Angriff geplant auf die Iuryausstellungen; es ist eine
Bereicherung unseres Kun st lebens geplant, und es
wäre unbedingt eine Verarmung, wenn die Ausstellungen
in Moabit, am Kurfürstendamm oder in der Rankestraße
durch die Iuryfreie irgendwie geschädigt oder in ihren
spezifischen Tendenzen beeinflußt würden. Die Iuryfreie
ist die unbedingt notwendige Ergänzung dieser Iuryaus-
stellungen: ein gemeinsames Kampffeld für die Tüch-
tigen aller Richtungen.

Redaktions-Telephon.
Die Redaktion der „Werkstatt der Kunst" kann
telephonisch, am besten vormittags zwischen 8—;o Uhr,
unter: Amt Zehlendorf Nr. tO53 angerufen werden.

Unsere lieulige öeilsge, lüe MMe? klmNeclili. ölMei» sik. 18,
Kat tollenden Inllult: Oie rerstörencle XVirlcun^ cles
^inkcveiss uuß ^«quLrelllurben uncl clie kru^e cler
Kinßüllrburkeit von Deerlarben in clie Xunstmulerei.
Von kroß Or. Kibner. — kroß. Ostcvalcls neue
Deelrnik lur iVlonumentulmLlerei. Von k.icbmrcl
Winsler. — k>Ieu uul^ecleckte pompejaniscüe XVuncl-
^emälcle. Von K. 8.
 
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