Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.52067#0630
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Redaktioneller Teil
DOI article:Heupel-Siegen, Ludwig: Amore sacro e profano
DOI article:Vermischter Nachrichtenteil
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622
Die Werkstatt der Kunst.
Heft HZ.
Bezeichnung „Liebe und Sprödigkeit" und in der letzten
Zeit auch „Die Ueberredung zur Liebe". Alexander v. Liezen-
Mayer wollte in dem Bilde eine Darstellung der „Wahr-
heit und Falschheit" sehen. Gewiß, man hat von alters
her die Wahrheit wohl nackt dargestellt, aber man muß
doch sagen, daß diese Idealgestalt für eine Wahrheit nicht
streng genug gehalten ist. Sie hat nichts Herbes — wie
etwa die Wahrheit des Botticelli —, sondern sie schaut
mild, fast wehmütig zu der anderen Frau hinüber.
Betrachten wir nun das Bild einmal aufmerksam
näher, so erkennen wir, daß beide Figuren in allen Dingen
Gegensätze darstellen, sowohl in der ganzen Erscheinung
als auch in den Attributen, wennschon man nicht in jedem
unbedeutenden Gegenstand eine allegorische Begründung
zu suchen braucht. Ganz besonders zu bemerken ist, daß
die rechte Gestalt schwebend leicht auf dem Rande des
Brunnens, die bekleidete Figur aber neben demselben und
tiefer sitzt. Dadurch ist die Zusammengehörigkeit der linken
Figur mit dem Brunnen und der Landschaft bestimmt ge-
kennzeichnet, und wir empfinden die Idealgestalt rechts
mit dem geflügelten Amor gleichsam als eine Erscheinung,
während diese sich der bekleideten Frau zuwendet, zieht
letztere zunächst unsere Aufmerksamkeit auf sich, denn sie
sieht aus dem Bilde heraus dem Beschauer entgegen. Aber
sie wendet den Blick (die parallel gestellten Sehachsen) nach
anderer Richtung wie das Gesicht, und dadurch entsteht
der Ausdruck des Zweifels. Der linke Arm ruht auf einem
geschlossenen Gefäß, unter dem man sich nichts anderes
als die Büchse der Pandora denken kann. In der Büchse
der schönen Pandora waren bekanntlich nach dem Mythos
der Griechen die verschiedenen Uebel eingeschlossen, die sich
später mit ihren Plagen über die ganze Welt verbreitet
haben. Die Hände der Figur stecken in Handschuhen und
die Rechte liegt hart auf einem Durcheinander von Blumen,
zu dem eine Rose und abgerissene Blätter auf dem Brunnen-
rande gehören. Dicht neben der Gestalt fährt der kleine
geflügelte Genius mit dem Arm heftig in dein Wasser des
Brunnens herum, so daß man die hochgehenden Wellen
sieht. Nicht zuletzt hat als Attribut zu dieser Figur auch
die aufregende Szene auf dem Relief des Marmorbrunnens
zu gelten. Ebenso ist die Staffage im Hintergründe rechts,
wo Berittene, begleitet von Hunden, auf eine ruhende
Lämmerherde und die Hirten zusprengen, in diesem Sinne
zu deuten, und nicht weniger paßt die Darstellung des
links im Mittelgründe des Bildes befindlichen weißen
Kaninchenpaares in den Rahmen des Gedankens.
Mit allem diesen ist nun die Bedeutung des Bildes
schon klar: Die neben dem Brunnen sitzende bekleidete
Figur stellt mit der ganzen Landschaft zusammen das irdische
Leben dar mit seinen Zweifeln und Widerwärtigkeiten.
Als Bote des Himmels hat sich der weibliche Genius auf
der anderen Seite auf den Rand des Brunnens nieder-
gelassen und wendet sich der Zweiflerin zu. Man erkennt
seine göttliche Mission an dem hochgehobenen Gefäß, aus
dem Weihrauch emxorsteigt, und man kann sich wohl „den
im Brunnen plätschernden Amor der gleichen Welt ange-
hörend denken", nämlich der idealen, überirdischen, da
durch die Einwirkung dieser Geistesrichtung auf die mate-
rielle Weltanschauung seelische Erregungen hervorgerufen
werden. Es ist also in dem Bilde klar und deutlich das
Geistige, das Ideelle in seinem wirken und in seinem
Eindruck auf den Materialismus dargestellt. Man könnte
demnach, um die allgemein gehaltene und oft mißverstandene
Bezeichnung „Himmlische und irdische Liebe" näher zu
präzisieren, das Gemälde „Ideal und Leben" benennen.
Und tatsächlich finden wir in der himmlischen Gestalt, die
das Ideal darstellt, Wahrheit, Schönheit und Tugend ver-
anschaulicht.
Als Venus läßt sich also diese nackte Gestalt, deren
Lenden sogar durch ein weißes Tuch verhüllt sind, nicht
im geringsten bezeichnen. Gb die andere Frau die Ge-
liebte Tizians gewesen ist oder nicht, kommt ernstlich gar
nicht in Betracht, und die Benennung des Bildes: „Venus
und Violante", so schön sie auch klingt — ist nicht zu-
treffend. ?rc>k. Vleupel-Siegen.
lll!86kö Ilkliügö klmNecllli. Mikk kik. 83,
Kat kolbenden Inllalt: In eigener Lacke. — Lriele
von Or. Lass ff über das pnnwcke ^Vaclls. ^lit
einer üünleitnn^ von K. L. (Kortset^nnZ.) — Heber
den Künlln88 der diesjäbriAen abnormen blitze an!
alte Lleinalde.
vermischter Nachrichtenteil.
Geplante Ausstellungen
Berlin. (Die Berliner juryfreie Kunstschau t9lv)
Für die erste große Berliner juryfreie Kunstschau, die vom
(Dktober bis Ende Dezember stattfinden wird, ist der offizielle
Anmeldetermin geschlossen worden. Die Anmeldungen sind
so zahlreich erfolgt, daß das Unternehmen finanziell ge-
sichert ist. Gegen HOO Künstler haben die Einsendung von
Werken angekündigt. Da jeder Künstler berechtigt ist, drei
Werke auszustellen, so werden vermutlich hier 1200 Ar-
beiten zusammenkommen; die „Große Berliner Kunstaus-
stellung" enthält in diesem Jahre 2520 Werke. Und zwar
sind in der juryfreien Kunstschau nur solche Arbeiten zu-
gelassen, die in Berlin noch nicht öffentlich ausgestellt
worden sind. Für jeden Aussteller sind im Höchstfall 3 c;m
Wandfläche, für Bildhauer 2 c^rn Bodenfläche vorgesehen,
und der Künstler hat dafür eine bestimmte Gebühr an die
Ausstellungsleitung zu zahlen. Die „Vereinigung bildender
Künstler", deren Arbeitsausschuß die Veranstaltung leitet,
hat sämtliche Räume des großen Gartenhauses auf dem
Dottischen Grundstück, Potsdamer Straße 39 und 59a,
für die Ausstellung gemietet. Die schönen Hellen Ateliers
und Säle der früheren Malschule des Künstlerinnenvereins
und des Viktoria-Lyzeums sind wie geschaffen für eine Aus-
stellung.
Berlin. (Die Akademie der Künste) beabsichtigt, zwei
ihrer hervorragendsten, im letzten Jahre verstorbenen Mit-
glieder durch eine große Gedächtnisausstellung in diesem
Winter zu ehren: Reinhold Begas und Ludwig Knaus.
Museen und Privatsammler haben bereits in großer Zahl
ihren Besitz an Knaus-Bildern zur Verfügung gestellt.
Dazu wird mit Einwilligung der Familie der künstlerische
Nachlaß zur Ausstellung kommen. Für die Knaus-Aus-
stellung sind von den Räumen der Akademie der mittlere
Hauptsaal und die kleineren Kabinette um ihr: herum be-
stimmt. Die Ausstellung der Arbeiten von Reinhold Begas
werden voraussichtlich der vordere Lingangssaal, dann der
erste große Hauptsaal und die Hinteren Bildhauersäle auf-
nehmen. Neben dem Besitz der Museen und der Sammler
wird auch hier der Nachlaß des Künstlers den Grundstock
bilden. Für die Begas- und Knaus-Ausstellung sind der
November und Dezember in Aussicht genommen. Im
Herbst werden die Neuerwerbungen der Nationalgalerie
aus den lebten Jahren in den Räumen der Akademie aus-
gestellt.
Bt'UNN. (Mährischer Kunstverein ^im Kaiser-Franz-
Iosef-Inbilänms-Künstlerhaus.) In der Zeit vom tO. No-
vember bis 27. Dez einber d. I. beabsichtigt der Mäh-
rische Kunstverein eine große und vornehme Weih-
nachtsausstellung, die erste im neuen Künstlerhause,
zu der die Einladungen in Kürze zur Versendung gelangen.
Anfragen sind an'den Mährischen Kunstverein, Künstler-
haus Brünn, zu stellen. — Als äußerster Anmeld ungs-
termin wurde der t s. Gktober bestimmt und müssen die
Kunstwerke bis t- November in Brünn eingelangt
sein.
Die Werkstatt der Kunst.
Heft HZ.
Bezeichnung „Liebe und Sprödigkeit" und in der letzten
Zeit auch „Die Ueberredung zur Liebe". Alexander v. Liezen-
Mayer wollte in dem Bilde eine Darstellung der „Wahr-
heit und Falschheit" sehen. Gewiß, man hat von alters
her die Wahrheit wohl nackt dargestellt, aber man muß
doch sagen, daß diese Idealgestalt für eine Wahrheit nicht
streng genug gehalten ist. Sie hat nichts Herbes — wie
etwa die Wahrheit des Botticelli —, sondern sie schaut
mild, fast wehmütig zu der anderen Frau hinüber.
Betrachten wir nun das Bild einmal aufmerksam
näher, so erkennen wir, daß beide Figuren in allen Dingen
Gegensätze darstellen, sowohl in der ganzen Erscheinung
als auch in den Attributen, wennschon man nicht in jedem
unbedeutenden Gegenstand eine allegorische Begründung
zu suchen braucht. Ganz besonders zu bemerken ist, daß
die rechte Gestalt schwebend leicht auf dem Rande des
Brunnens, die bekleidete Figur aber neben demselben und
tiefer sitzt. Dadurch ist die Zusammengehörigkeit der linken
Figur mit dem Brunnen und der Landschaft bestimmt ge-
kennzeichnet, und wir empfinden die Idealgestalt rechts
mit dem geflügelten Amor gleichsam als eine Erscheinung,
während diese sich der bekleideten Frau zuwendet, zieht
letztere zunächst unsere Aufmerksamkeit auf sich, denn sie
sieht aus dem Bilde heraus dem Beschauer entgegen. Aber
sie wendet den Blick (die parallel gestellten Sehachsen) nach
anderer Richtung wie das Gesicht, und dadurch entsteht
der Ausdruck des Zweifels. Der linke Arm ruht auf einem
geschlossenen Gefäß, unter dem man sich nichts anderes
als die Büchse der Pandora denken kann. In der Büchse
der schönen Pandora waren bekanntlich nach dem Mythos
der Griechen die verschiedenen Uebel eingeschlossen, die sich
später mit ihren Plagen über die ganze Welt verbreitet
haben. Die Hände der Figur stecken in Handschuhen und
die Rechte liegt hart auf einem Durcheinander von Blumen,
zu dem eine Rose und abgerissene Blätter auf dem Brunnen-
rande gehören. Dicht neben der Gestalt fährt der kleine
geflügelte Genius mit dem Arm heftig in dein Wasser des
Brunnens herum, so daß man die hochgehenden Wellen
sieht. Nicht zuletzt hat als Attribut zu dieser Figur auch
die aufregende Szene auf dem Relief des Marmorbrunnens
zu gelten. Ebenso ist die Staffage im Hintergründe rechts,
wo Berittene, begleitet von Hunden, auf eine ruhende
Lämmerherde und die Hirten zusprengen, in diesem Sinne
zu deuten, und nicht weniger paßt die Darstellung des
links im Mittelgründe des Bildes befindlichen weißen
Kaninchenpaares in den Rahmen des Gedankens.
Mit allem diesen ist nun die Bedeutung des Bildes
schon klar: Die neben dem Brunnen sitzende bekleidete
Figur stellt mit der ganzen Landschaft zusammen das irdische
Leben dar mit seinen Zweifeln und Widerwärtigkeiten.
Als Bote des Himmels hat sich der weibliche Genius auf
der anderen Seite auf den Rand des Brunnens nieder-
gelassen und wendet sich der Zweiflerin zu. Man erkennt
seine göttliche Mission an dem hochgehobenen Gefäß, aus
dem Weihrauch emxorsteigt, und man kann sich wohl „den
im Brunnen plätschernden Amor der gleichen Welt ange-
hörend denken", nämlich der idealen, überirdischen, da
durch die Einwirkung dieser Geistesrichtung auf die mate-
rielle Weltanschauung seelische Erregungen hervorgerufen
werden. Es ist also in dem Bilde klar und deutlich das
Geistige, das Ideelle in seinem wirken und in seinem
Eindruck auf den Materialismus dargestellt. Man könnte
demnach, um die allgemein gehaltene und oft mißverstandene
Bezeichnung „Himmlische und irdische Liebe" näher zu
präzisieren, das Gemälde „Ideal und Leben" benennen.
Und tatsächlich finden wir in der himmlischen Gestalt, die
das Ideal darstellt, Wahrheit, Schönheit und Tugend ver-
anschaulicht.
Als Venus läßt sich also diese nackte Gestalt, deren
Lenden sogar durch ein weißes Tuch verhüllt sind, nicht
im geringsten bezeichnen. Gb die andere Frau die Ge-
liebte Tizians gewesen ist oder nicht, kommt ernstlich gar
nicht in Betracht, und die Benennung des Bildes: „Venus
und Violante", so schön sie auch klingt — ist nicht zu-
treffend. ?rc>k. Vleupel-Siegen.
lll!86kö Ilkliügö klmNecllli. Mikk kik. 83,
Kat kolbenden Inllalt: In eigener Lacke. — Lriele
von Or. Lass ff über das pnnwcke ^Vaclls. ^lit
einer üünleitnn^ von K. L. (Kortset^nnZ.) — Heber
den Künlln88 der diesjäbriAen abnormen blitze an!
alte Lleinalde.
vermischter Nachrichtenteil.
Geplante Ausstellungen
Berlin. (Die Berliner juryfreie Kunstschau t9lv)
Für die erste große Berliner juryfreie Kunstschau, die vom
(Dktober bis Ende Dezember stattfinden wird, ist der offizielle
Anmeldetermin geschlossen worden. Die Anmeldungen sind
so zahlreich erfolgt, daß das Unternehmen finanziell ge-
sichert ist. Gegen HOO Künstler haben die Einsendung von
Werken angekündigt. Da jeder Künstler berechtigt ist, drei
Werke auszustellen, so werden vermutlich hier 1200 Ar-
beiten zusammenkommen; die „Große Berliner Kunstaus-
stellung" enthält in diesem Jahre 2520 Werke. Und zwar
sind in der juryfreien Kunstschau nur solche Arbeiten zu-
gelassen, die in Berlin noch nicht öffentlich ausgestellt
worden sind. Für jeden Aussteller sind im Höchstfall 3 c;m
Wandfläche, für Bildhauer 2 c^rn Bodenfläche vorgesehen,
und der Künstler hat dafür eine bestimmte Gebühr an die
Ausstellungsleitung zu zahlen. Die „Vereinigung bildender
Künstler", deren Arbeitsausschuß die Veranstaltung leitet,
hat sämtliche Räume des großen Gartenhauses auf dem
Dottischen Grundstück, Potsdamer Straße 39 und 59a,
für die Ausstellung gemietet. Die schönen Hellen Ateliers
und Säle der früheren Malschule des Künstlerinnenvereins
und des Viktoria-Lyzeums sind wie geschaffen für eine Aus-
stellung.
Berlin. (Die Akademie der Künste) beabsichtigt, zwei
ihrer hervorragendsten, im letzten Jahre verstorbenen Mit-
glieder durch eine große Gedächtnisausstellung in diesem
Winter zu ehren: Reinhold Begas und Ludwig Knaus.
Museen und Privatsammler haben bereits in großer Zahl
ihren Besitz an Knaus-Bildern zur Verfügung gestellt.
Dazu wird mit Einwilligung der Familie der künstlerische
Nachlaß zur Ausstellung kommen. Für die Knaus-Aus-
stellung sind von den Räumen der Akademie der mittlere
Hauptsaal und die kleineren Kabinette um ihr: herum be-
stimmt. Die Ausstellung der Arbeiten von Reinhold Begas
werden voraussichtlich der vordere Lingangssaal, dann der
erste große Hauptsaal und die Hinteren Bildhauersäle auf-
nehmen. Neben dem Besitz der Museen und der Sammler
wird auch hier der Nachlaß des Künstlers den Grundstock
bilden. Für die Begas- und Knaus-Ausstellung sind der
November und Dezember in Aussicht genommen. Im
Herbst werden die Neuerwerbungen der Nationalgalerie
aus den lebten Jahren in den Räumen der Akademie aus-
gestellt.
Bt'UNN. (Mährischer Kunstverein ^im Kaiser-Franz-
Iosef-Inbilänms-Künstlerhaus.) In der Zeit vom tO. No-
vember bis 27. Dez einber d. I. beabsichtigt der Mäh-
rische Kunstverein eine große und vornehme Weih-
nachtsausstellung, die erste im neuen Künstlerhause,
zu der die Einladungen in Kürze zur Versendung gelangen.
Anfragen sind an'den Mährischen Kunstverein, Künstler-
haus Brünn, zu stellen. — Als äußerster Anmeld ungs-
termin wurde der t s. Gktober bestimmt und müssen die
Kunstwerke bis t- November in Brünn eingelangt
sein.