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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/​1911

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Rothe, Friedrich: Die Haltung der Ausstellungsleitungen für Verluste ausgestellter Kunstwerke
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Elster, Alexander: Der Einfluß des Alkoholgenusses auf die künstlerische Leistung
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https://doi.org/10.11588/diglit.52067#0171

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Die Werkstatt der Kunst.

Heft I2^

s63

wird nachweisen können, daß der Verlust, dessen
nähere Umstände ihm ganz unbekannt sind, auf ein
Verschulden der Ausstellungsleitung oder ihrer Organe
zurüekzuführen ist.
Or. Krieclr. I^otke,
Syndikus der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft.
Ver 6mNu1Z cles MkokolgenuNes
auf ctie künslleriseke Leistung
Noch ehe auch nur ein Stückchen des Werkes
Wirklichkeit geworden ist, steht das Kunstwerk schon
vor der Seele des Schaffenden fertig, und nur zu
leicht schilt er dann die Sprödigkeit des Stoffes,
wenn das von dein geistigen Auge Geschaute nicht
klar und rein, nicht in vollendeter Gestalt in die
Wirklichkeit übergeht. Aus zwei Komponenten also
setzt sich das Kunstwerk zusammen: aus der Er-
fassung einer Idee und aus der Ausführung ihrer
Form. Das ist nicht neu, muß aber an den Anfang
unserer Betrachtung gestellt werden, wenn wir die
Frage zu beantworten versuchen wollen, was für
einen Einfluß der Alkoholgenuß auf die künstlerische
Leistung hat. Oie Erschaffung des Kunstwerkes in
der Idee hängt von dem künstlerischen Schaffens-
rausch, jener oft genug halb unbewußten, genialen
sdroduktionskraft ab; die Bewältigung der Form, bei
der — wie schon mancher bildende Künstler klagte
— gar zu viel auf dem Wege vom Geist durch die
Arme und das Material verloren geht, hängt aber
von technischem Können und oftmals von der voll-
endeten Beherrschung des eigenen körperlichen —
nervösen und muskulären —- Apparats ab; von dem
richtigen Funktionieren der Sinnesorgane; von dem
Lebendigwerden rhythmischer Gestaltungskraft. Ohne
die künstlerische Idee kann wohl ein Werk, aber
kein Kunstwerk, ohne die Formgebung wohl eine
Kunst, aber ebenfalls kein Kunstwerk entstehen: in
dein einen Falle fehlt die „Kunst", in dem anderen
muß es an dem „Werk" fehlen.
Was das alles nun mit dem Alkoholgenuß zu
tun haben muß, ist dies: der künstlerische Rausch,
sagt man, wird durch euphorische Narkotika, wie der
Alkohol eines ist, sehr häufig aufs beste belebt und
angeregt. Man wird —- namentlich von alkohol-
freundlicher Seite — nicht müde, hier Männer wie
Verlaine, Edgar Allan s)oe, Fritz Neuter, Otto Erich
Hartleben, Grabbe, L. Th. A. Hoffmann, Scheffel,
Reger ins Feld zu führen, deren Eigenschaft als
trinkfeste und trinkfreudige Naturen bekannt ist und
die recht hervorragende künstlerische Leistungen her-
vorgebracht haben. Ja von einigen wird gesagt,
daß sie überhaupt nur unter Alkoholwirkung schaffen
konnten. Diese Behauptung näher zu untersuchen,
ist hier nicht möglich. Betont sei aber folgendes:
niemand vermag zu sagen, was diese Männer ge-
schafft hätten oder noch geschafft haben würden,
wenn sie nicht getrunken hätten, sich nicht an den

Trunk als Stimulans gewöhnt hätten und nicht
durch den Trunk meist früher als nötig vom Schau-
platz des Lebens abgcrufen worden wären; niemand
vermag ferner zu sagen, ob sie das, was sie an
Tüchtigem geschafft haben, infolge oder etwa trotz
des Trunkes geschafft haben. Soviel aber ist gewiß,
daß manche von ihnen ihre künstlerische Selbstzucht
verloren haben, wofür es keinen näherliegenden
Grund als eben den Trunk gibt. Klag auch sein,
daß ihre Natur nur in besonders euphorischer
Stimmung hat schaffen können (was übrigens er-
fahrungsgemäß zum größten Teil aus Gewöhnung
beruhen wird) — dann sind es Märtyrer ihrer
psychischen Eigenart in dieser Richtung; weiter be-
wiese das nichts. Entgegen steht aber, daß dies im
Vergleich zu der Gesamtheit der Kunstschaffenden
nur eine relativ kleine Anzahl ist, und daß wir aus
der anderen Seite eine überwältigende Mehrheit
solcher Stimmen haben, die aus eigenen Er-
fahrungen eine ungünstige Wirkung des Alkohol-
genusses aus das künstlerische Schaffen behaupten.
Das „Literarische Echo" veröffentlichte einmal eine
Zusammenstellung solcher Aeußcrungen von fast allen
nennenswerten lebenden deutschen Dichtern, die be-
fragt wurden. Das Ergebnis ist ein für den Al-
kohol geradezu vernichtendes; die Männer, die den
Einfluß erprobt und darüber nachgedacht hatten, be-
zeichneten ihn überwiegend als einen ganz schädlichen.
Was wollen demgegenüber die wenigen besagen, die
gedankenlos unter seinem Einfluß Großes schaffen
und nicht sagen können, was sie ohne seinen Ein-
fluß und ohne die Gewöhnung an ihn wert wären!
Da handelte es sich meist um Dichter. Aber
auch für die bildenden Künstler haben wir eine be-
sonders bemerkenswerte Stimme. sieter Behrens
hat von dein Standpunkt des bildenden Künstlers
aus aus dem Bremer internationalen Antialkohol-
kongreß den Einfluß des Alkohols aus das Kunst-
schaffen verdammt. Das stimmt auch zu allen
psychologischen Erfahrungen. Der Alkohol nimmt
wohl Hemmungen fort, gibt einen gewissen Schwung
und löst so vielleicht schlummernde Ideen aus ihrem
Schlaf. Das ist nicht zu leugnen. Aber es fragt
sich, ob nicht andere Dinge — das Anhören von
Musik, eine heitere oder düstere Landschaft, eine
schöne Frau — ebenfalls unter Hinwegräumung
psychischer Hemmungen gute Ideen ausläsen. Dann
aber sind diese Ideen aus gesundem, reinem Boden
erwachsen und bedurften nicht des Giftes, dessen
günstige Wirkung erwiesenermaßen nur kurze Zeit
anhält und alsbald einer Reaktion, ost einer um
so größeren Lähmung, einer bleiernen Gedanken-
losigkeit, einer Unfähigkeit zur Fortsetzung des Be-
gonnenen silatz macht — Hemmungen, die dann um
so stärker sind und nur wieder durch eine größere
Dosis des Giftes weggeräumt werden können.
Freilich eine andere Wirkungsweise, als jene der
wundervollen Musik, der eigenartig beleuchteten Land-
schaft, des schönen Frauenantlitzes, die noch lange
 
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