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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/​1911

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II. Urteil im Prozeß Schleusing
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Offermann, Friedrich: Der Vorstoß des Kunstgewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.52067#0421

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heft 30.

Die Werkstatt der Runst.


renz zu beziehen. Indem der Privatkläger dies dennoch
in seinen Prospekten getan hat, hat er sich des Namens
des Amtsrichters ohne Fug bedient. Er konnte nicht ohne
weiteres annehmen, daß dieser mit der geschilderten Ver-
wendung seines Namens einverstanden sein werde.
Es war ferner zu prüfen, ob der Angeklagte sich nach
K ;g2 Str.G.B. strafbar gemacht hat, ob also das Vor-
handensein einer Beleidigung aus der Form der Behaup-
tung oder Vertreibung oder aus den Umständen, unter
welchen sie geschah, hervorgeht. Das Gericht hat die Frage
verneint. Es ist zwar nicht zu verkennen, daß die Aus-
drücke einer gewissen Schärfe nicht entbehren. Es fehlt
jedoch an einem Anhaltspunkte dafür, daß der Angeklagte
es auf eine Beleidigung abgesehen hat. Er wurde offenbar
von der Absicht geleitet, den seiner Ueberzeugung nach die
Kunst und die Künstlerschaft schädigenden Geschäftsbetrieb
des Privatklägers zu kennzeichnen, dazu war seine Zeit-
schrift das durchaus geeignete Mittel.
Sonach war er freizusprechen, ohne daß eine
Untersuchung notwendig war, ob ihm der Schutz des K fHS
Str.G.L. zur Seite steht.
Die Berufung ist deshalb, und zwar gemäß K 505
Str.p.G., aus Kosten des Privatklägers zu verwerfen.
gez.: Qerbmrll, Kmüres, Vr. Vuectr.
(Gegen dieses Urteil hat perr Schien sing
noch einmal Berufung beim Kammergerrcht ein-
gelegt. Red.)

Oer Vorltob äes Uuriltgexverbss*)
Von Friedrich G ff ermann-Dresden
Kunstgewerbe ist Trumpf heute, daran ist kein Zweifel.
Vor drei Jahrzehnten war der Kunstgewerbler in der
Künstlerfamilie so ungefähr der Vetter vom Lande, dem
man wohlwollend auf die Schulter klopfte, und mit dem
man gönnerhaft laut sprach, um einen Abstand erkennen
zu lassen.
Das hat sich geändert mittlerweile, und zwar gründlich.
Der Vornehmste vor: ehedem: der Historienmaler, dem die
allerbedeutendsten Tatsachen der Weltgeschichte eben noch
gut genug waren, sich mit ihnen abzugeben, der den Schil-
deret- der gemeinen Wirklichkeit, den Genremaler, über die
Achsel ansah, vom Landschafter überhaupt zu schweigen, ist
ganz klein und still geworden, wo er noch ein geduldetes
Dasein führt. Der bescheidene Vetter vom Lande aber, der
früher an der Tafel ganz unten faß, ausgerechnet er, hat
des großen Mannes Gebärden angenommen; er ist es, der
gegenwärtig — mindestens symbolisch — in Samtmantel
und Kalabreser einherschreitet, über dessen hochgestimmte
Seele die erhabensten Empfindungen hingehen, wenn er
Stühle, Tische, Bettvorleger, Tapüenmustcr komponiert —
dichtet — empfindet!
Die Sache fing an mit dein vermehrten Eingreifen der
Maler und Bildhauer in die kunstgewerbliche Entwicklung,
deren Kosten bis dahin vorwiegend von den Architekten
bestritten waren. Sie fanden hier ein neues Gebiet, um
ihren Radikalisinus auszutoben, nachdem in der Kunst
umgestürzt war, was aufrecht gestanden hatte, wünschten
aber natürlich nicht herabzusteigen hierbei, und begannen
also damit, den Boden zu heben, der bearbeitet werden
sollte. Aus Kunstgewerbe wurde über Nackt „Angewandte
Kunst".
Wenn man zwei Stühle und einen Tisch zusammen-
stellte, so war das Raumkunst, ein Euadrat mit einem
Punkt drin auf ein Blatt Papier getuscht hieß plötzlich

*) Anmerk'ung der Schriftleitung. wir geben dieser Ein-
sendung gern^tnuni, gveil sse geeignet erscheint, zum Nachdenken über das

„Flächenkunst". Wohnungskunst, Gartenkunst, Buchkunst
schwirrte es nur so durcheinander.
war aber das Erzeugnis Kunst geworden, so mußte
der Urheber natürlich zum Künstler aufrücken.
Zwar suchte er gerade jetzt kokett das Schurzfell des
alten Handwerkers aus der Rumpelkammer, und gab sich
gern als einfacher Zunftmeister, aber das konnte ja auch
ruhig geschehen, sobald die vollkommene Gleichwertigkeit
künstlerischer und kunstgewerblicher Tätigkeit festgestellt
war. Die Sache erhielt damit noch den Reiz schlichter
Seelengröße und Einfalt, der dem ästhetischen Snobismus
unserer Tage so glaubhaft zu Gesicht steht.
Für die Desfentlichkeit vollzog sich der Umschwung in
Form gewaltiger theoretischer Erörterungen. Wieder ein-
mal im Verlaufe der Zeiten entdeckte man, überrascht von
der eigenen Lrkenntniskraft, daß vorher lauter Irrtum
gewesen, wo jetzt die Wahrheit offen zutage lag. „An-
gewandte und freie Kunst fließen aus derselben (Puelle,
sind Aeußerungen der gleichen Kraft und Begabung, und
haben gleichen Anspruch auf Wertschätzung" war das
Thema, das überall abgewandelt wurde. In Artikeln und
Büchern wurden wahre geistige Feuerwerke abgebrannt,
um zu beweisen, man habe Stühle und Tische fortan mit
der gleichen Andacht zu betrachten wie Madonnenbilder
und Tempel, wer etwas auf sich hielt, die ganze Gruppe
der Sensitiven im Biedermeierrock und Atlaskrawatte,
immer bereit, Geschmackstorheiten aus der Taufe zu heben,
war durchdrungen von der Richtigkeit dieses Satzes, und
so schraubte und schraubte man das gute Kunstgewerbe
aus der Werkstattsphäre in die pöhenluft der reinen Kunst
hinauf.
Der ungesunde punger nach Neuestem, Niedagewesenem
und die herrschende allgemeine Geschmacksverwirrung über-
haupt, trugen erheblich bei zu der plötzlichen, ganz lächer-
lichen Ueberschätzung einer Tätigkeit, die, in vernünftiger
Uebung bezweckt, den Dingen des täglichen Gebrauchs
nebenher ansprechende Formen zu geben, und die sicher
nicht auf richtigen Wegen ist, wenn sie das Aesthetische
statt des praktischen zum Ausgangspunkt ihres Schaffens
macht.
Kein Wunder, daß die neugebackenen Künstler in Ver-
zückung gerieten! Die allerrarsten Empfindungen und Ge-
sichte wurden in Möbelstücke gebannt, Weltanschauungen
in glasierten Töpfen und Tongefäßen niedergelegt; Teppiche
und Gardinenmuster rangen sich in gewaltigen Schaffens-
wehen von den Seelen ihrer Urheber los wie ehemals
Dorne und Medicäergräber. „wundervoller Sonnenunter-
gang" -— schreibt der Kunstgewerbler in sein Tagebuch —
„ich erlebte ein Tapetenmuster und zwei geblümte Vor-
hangstoffe". — In einem Darmstädter Katalog heißt es
von den Gegenständen eines Vorraumes: „Diese Empfin-
dungen sind nach meinen Zeichnungen ausgeführt." —
Ein belgischer Möbelmessias, der mit richtiger Witterung
ganz zu uns herüberkam, um die angewandte Kunst in
Deutschland auf die Beine zu stellen, konnte von der
„ehernen Kraft" feiner Gedanken sprechen, welche sich An-
erkennung erzwänge, ohne mit einem allgemeinen Gelächter
abgefertigt zu werden.
Zimmereinrichtungen wurden unentbehrliche Nummern
großer Kunstausstellungen; der Kunsthandel überschwemmte
unter Protektion der Künstler den heimischen Markt mit
den kunstgewerblichen Leistungen aller Länder, und es kam
dahin, daß Leute, welche für eigentliche Kunst kaum einen
peller übrig hatten, Zehntausende ausgaben für den Ruf,
modern eingerichtet zu sein. Breitspurig und eitel stellte
sich das Kunstgewerbe neben und vor die Kunst.
Die Rechtsprechung selbst, die früher hinsichtlich der
gesetzlichen Schutzfrist eine vernünftige Grenzlinie zwischen
Kunstgewerbe und Kunst gezogen hatte, kam unter dem
Einfluß der Bewegung ins Rutschen, und machte ihr Ge-
schmacksmustergesetz halb und halb selber überflüssig, indem
sie kunstgewerbliche Erzeugnisse den Kunstwerken gleich-
stellte.
Nun ist inan gewohnt an Torheiten in der Gegenwart.
 
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