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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/​1911

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Katsch, Hermann: Das regelmäßige Gesicht
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Dülfer, Martin: Der Architekt im heutigen deutschen Bauwesen: eine kurze Denkschrift
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https://doi.org/10.11588/diglit.52067#0602

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außerordentlich viel komplizierter und differenzierter
als ein Kreis oder eine Äugel.
Wenn im folgenden von einem Gesicht die Rede
ist, so handelt es sich natürlich um das Schönheits-
ideal der europäischen Bevölkerung, die einen wirk-
lich schönen Menschen übereinstimmend als solchen
anerkennen wird, ob nun seine Heimat in Schweden
und Norwegen oder in Griechenland gelegen ist,
ob hellblondes Haar und blaue Augen oder blau-
schwarzes Haar und die berühmten Glutaugen seine
charakteristischen Unterscheidungsmale seien.
Von den griechischen Künstlern nehmen die Phi-
lologen an, daß sie einen Kanon, ein Grundgesetz für
die Gesichtsteile wie für den ganzen Aufbau des
Körpers gelehrt haben; aber in den einzelnen Epochen
oder Schulen sollen die Zahlen dieser Grundgesetze
-wieder verschieden voneinander gewesen sein. Es
-haben nach den Berichten der Alten polyklet, Myron
aus Eleutherae, Luphranor, Lysippus, Zeuxrs und
sparrhasios ein feder einen Kanon aufgestellt, d. h.
man muß das so verstehen: Figuren geschaffen, die
so vollendet schienen, daß sie für andere zum Ge-
setz wurden inbetreff der Verhältniszahlen der Körper-
teile. Line Proportionslehre selbst ist nicht über-
liefert worden. Der Römer Vitruvius hat aller-
dings was ihm darüber bekannt war, hinterlassen;
aber da er ja nicht ausübender Künstler war, sind
seine Mitteilungen nur von geringem lVert. Später
sollen Giotto, Ghiberti, Ghirlandajo ebenfalls Vor-
schriften für die Abmessungen in der Darstellung
des Menschen geschrieben haben. Ebenso Leonardo
und Dürer, dieser sehr umfangreich und gewissenhaft.
Alle versuchten das mathematische Grundgeheimnis
in der menschlichen Gestalt zu entdecken, indem sie
bald in der Kopflänge, bald der Gesichts- oder
Nasenlänge, oder in der Entfernung des Ellen-
bogens zur Spitze des Zeige- oder Mittelfingers,
oder in der Fußlänge den Schlüssel für die Ver-
hältnisse der menschlichen Gestalt gefunden zu haben
glaubten. Zn neuerer Zeit haben Earl Schmidt,
Larus, Zeising, Liharzik, Harleß das morphologische
Grundgesetz mit Hilfe von geometrischen scharfsinnig
durchdachten Konstruktionen zu finden versucht. Mir
sehen Schadow und den Belgier Vuetelet auf dem-
selben Gebiet betätigt. Der eine Teil der Forscher
führt seine Absicht durch Messungen am lebenden
Menschen, der andere durch Nachmessen der vor-
züglichsten Statuen des Altertums aus. Wer sich
nicht einmal durch die Schwierigkeiten durchzuarbeiten
versucht hat, die das Vergleichen aller dieser
Methoden versucht, hat keine Vorstellung von der
Mühe, die sich alle die Männer gegeben haben.
Der eine teilt die ganze Figur in 83, ein zweiter
in sOOO, ein dritter in 600 Teile. Einer, Earus,
geht davon aus, daß, weil das Rückgrat des nor-
malen Neugeborenen dreimal in der Länge des Rück-
grats des Erwachsenen enthalten ist, dieses Drittel
das Grundmaß aller menschlichen Proportionen
sein muß! (Schluß folgt.)

Heft HZ.
Der Architekt im heutigen ctestlchen
kauxvesen
Line kurze Denkschrift*)
Der seit dein Jahre ;90Z bestehende „Bund Deut-
scher Architekten", dem heute schon fünfhundert Bau-
künstler in allen Gauen Deutschlands angehören, sieht sich
in berechtigter Vertretung des Standes der freien Privat-
architekten zu nachfolgender kurzer Darlegung der Ver-
hältnisse aus dem Gebiet der Baukunst veranlaßt.
wirmüffen vorausschicken,daß wir unter einem Architekten
nichtjeden verstehender sich heute nach bequememAlltagssprach-
gebrauch so zu nennen beliebt, nicht den Bautechniker und
Bauhandwerker, besonders aber nicht den aus mancherlei
Berufen auftauchenden Bauunternehmer, die alle mit Vor-
liebe, doch ohne tatsächliche Berechtigung, die Berufsbezeich-
nung: „Architekt" auf ihren Geschäftskarten führen, wir
nennen einen Architekten nach der klare,! Auslegung des
internationalen Architektenkongresses in Wien im Jahre
t9O8 nur „den sreien, selbständig schaffenden Baukünstler,
der gegen prozentuales, nach der bestehenden Gebühren-
ordnung sestgelegtes Honorar als Vertrauensmann und
gewissermaßen als Bauanwalt seines Bauherrn im Rahmen
einer gestellten Bauaufgabe die Anfertigung der Entwürfe
und Anschläge sowie die Leitung der Bauausführung über-
nimmt, in keiner weise dagegen als Unternehmer tätig ist
oder als stiller Teilnehmer einer Unternehmerschaft aus
einem Baue Gewinn zieht".
Zn Deutschlands Bauwesen herrscht heute noch, zum
Schaden der Kunst, auf der einen Seite der Baugewerke
und Bauunternehmer, aus der anderen Seite der Bau-
beamte. Der Privatmann geht zum handwerklichen, wenn
nicht gar zum nichthandwerklichen Bauunternehmer, sobald
er sich ein Haus bauen lassen will, weil er glaubt, aus
diese weise am bequemsten und vorteilhaftesten und —
billigsten zum Ziel zu kommen; anderseits bedient sich die
staatliche oder städtische Behörde beim Bau der öffentlichen
Gebäude eines Kreises festangestellter Baubeamten.
Dem Publikum ist der Architekt heute noch der über-
flüssige teure Luxusbaumeister, weil er besonders honoriert
werden muß. Man glaubt, Baupläne, Anschläge und all
die anderen bei der Ausführung eines Baues nötigen
technischen Arbeiten vom Bauunternehmer umsonst zu er-
halten, weil sie nicht besonders in Rechnung gestellt
werden, und ahnt nicht, wie hoch in der Regel der selbst-
verschuldete Mangel einer vom Unternehmergewinn unab-
hängigen sachverständigen Bauleitung bezahlt werden
muß. Auch der ehrlichste und gediegenste Baugewerks-
meister bleibt immer der Unternehmer, dem es nicht zu
verdenken ist, daß er einen möglichst hohen Ertrag aus
seiner Arbeit erzielen will. Der deutsche Privatmann be-
quemt sich noch immer nicht dazu, einzusehen, daß er un-
vergleichlich viel besser fahren müßte mit einem sicheren
Führer, einem Architekten, der gleich dem Anwalt aus dem
Gebiete des Rechts seine Bausache vertritt dem Handwerker,
der Baupolizei und — was schließlich von ausschlaggebender
Bedeutung ist: der Kunst gegenüber. So wachsen denn
die Häuser unserer deutschen Städte heute noch unter der
Alleinherrschaft des fachlich meist einseitig praktisch vor-
gebildeten und oft kunstfeindlichen Bauunternehmertums
empor, und der Ausländer, der die Reinlichkeit und die
gute Pflasterung unsrer Straßen, die oft vorbildlichen, dem
Verkehr, der Gesundheitspflege, der Volkserziehung und
der Verwaltung dienenden Anstalten rühmend anerkennt,
bedauert, leider gar zu häufig mit Recht, den Mangel an
Geschmack, der sich in der künstlerischen Gestaltung, und
den Mange! an wirklich gediegenem Komfort, der sich in
den inneren Einrichtungen unserer Wohngebäude offenbart.
*) Die Denkschrift wurde sämtlichen Regie-
rungen der Bundesstaaten ein gereicht und ge-
langt demnächst zur Versendung an die Magistrate
sämtlicher Städte.

Die Werkstatt der Kunst.
 
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