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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/​1911

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Schmidkunz, Hans: Geber und Nehmer der Kunstbildung, V
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Die Werkstatt der Kunst.

Heft s0.

s33

Atom neben Atom, Stück neben Stück verbindungslos neben-
einanderstehen und nicht einmal durch die Hauptsache zu-
sammengehalten werden: durch eine gemeinsame Welt-
anschauung.
In bitterer Einsamkeit sitzt der Künstler allein mit
seinem sehnsüchtig schweren Herzen. Da drinnen keimt es
und sproßt es und will heraus'an das Licht. Es fehlt auch
nicht ganz an Wohlwollen von Mitmenschen. Endlich
kommt einer von diesen, möchte dem Künstler helfen und
„bestellt" bei ihm etwas, das ungefähr das Gegenteil ist
von dem, was dem Künstler sein Inneres zu sprengen
sucht. In einer anderen, weniger „zerrissenen" Zeit würde
der „Auftrag" näher zusammenstimmen mit dem, was den
Künstler tief innen bewegt; beispielsweise träumen beide,
Künstler und Mäzen, schon seit langem von einer recht
schön wolkigen Madonnenerscheinung.
Heutzutage scheint es neben dem Künstlerproletariat
(finanziell gemeint) auch ein Mäzeneproletariat (geistig
gemeint) zu geben. Der Künstler muß (während es sonst
heißt: kein Mensch muß müssen). Er gibt den keimenden
Gestalten in seinem Innern einen tüchtigen Hieb, damit
sie auf einige Zeit stillhalten, geht an die Ausführung
seines Pensums und liefert sie ab. Der Besteller ist ent-
setzt und sagt: Kunst kommt von Können, aber unsere
Künstler kommen von Nichtkönnen. Die ausgeführte Arbeit
wird empört zurückgegeben. Der Künstler klagt vor Ge-
richt. Vielleicht entscheidet ein ärgerlicher Vergleich die
Sache. Ein Vermittler, etwa ein Kunstschriftsteller, der
gewöhnt ist, von beiden Seiten angefeindet zu werden,
möchte dem Besteller eine kleine Ahnung davon beibringen,
was denn eigentlich Kunst und Künstler ist. Nun geht es
los, was sich denn der Künstler mit seinen „Gedanken-
blasen" einbilde usw. usw.
Daß im Künstler weit weniger der „Er", als das „Ls"
waltet, mehr etwas Göttliches als etwas Menschliches,
mehr eine Abhängigkeit von einem geheimnisvollen Feuer,
das den Künstler vielleicht (geistig und finanziell) verzehrt,
ihn aber nicht aus der Abhängigkeit losläßt; daß das
werden eines Kunstwerkes vergleichbar ist einem zum
Baume hinauf treibenden Keim, der auch Steine sprengt;
daß endlich diese naturalistische Auffassung durch eine Auf-
fassung vom menschlichen „Sollen" ergänzt werden muß,
aber nicht von einem widernatürlichen, sondern von einem
naturgemäßen „Sollen" und „Können": das bringt man
äußerst schwer jemandem bei, auch wenn man es in popu-
lärerer weise zu sagen versteht, als es dem Schreiber dieser
Zeilen hier möglich ist.
weg von den Menschen und von ihrer unorganischen
Gesellschaft, hinaus und zurück zur Natur mit ihrem orga-
nischen werden I So denkt und fühlt vielleicht der Künstler
und wird, da es mit der von ihm erträumten Kunst doch
nicht weiter geht, ganz einfach — Landschafter. Vielleicht
ist daraus auch einigermaßen das Ueberwiegen der Land-
schaftsmalerei in der neueren Kunst zu erklären. Hier
findet der Künstler viel eher „Zwiesprach", als mit den
Menschen von der heutigen Gesellschaft. Hier führt diese
Zwiesprach auch noch eher auf dasjenige, wofür wir die
Ausdrücke vom Heimatlichen, wurzelständigen usw. häufig
genug gehört haben. Hier erkennt oder fühlt der Künstler
etwas von den verschiedenen Temperamenten — oder wie
man eben sagen soll — welche das verschiedene Land, die
verschiedene Kultur für die Kunst im Gefolge hat.
Daß er auf seiner Akademie für das Verständnis dieser
Dinge mobil gemacht worden sei, daran erinnert er sich
vielleicht häufig nicht, könnte sich daran auch nur selten
erinnern. Vielleicht phantasiert er von einem künftigen
Unterrichte, bei welchem Lehrer und Schüler eigene Lehr-
reisen unternehmen, um sich in derartiges hineinzuleben.
Gb dann wirklich das „Temperament" des Barockstiles als
„cholerisch", das des Rokokostiles als „sanguinisch", das
des Zopfstiles als „phlegmatisch", das des Empirestiles als
„melancholisch" und vielleicht das unseres „Stiles" als —
gar nichts zu bezeichnen sein würde; ob ferner wirklich
drr Barocke zum Gebirge, Rokoko zur Stadt, Zopf zum

Flachlande neigte; ob wirklich die Ebene in Architektur
und Kunstgewerbe den rechten Winkel, das Gebirge den
spitzen Winkel und das Runde begünstigt — und was
derlei Hypothesen mehr sind: das kann ja einem Kunst-
wissenschaftler und einem Lehrer der Kunstwissenschaft oder
der Künste vorbehalten bleiben.
Aber irgendwo in dieser Nähe und Ferne liegt doch
auch der weg, den wir gerade jetzt suchen. Die Landschafts-
malerei hat sich in der neueren Zeit immerhin gut terri-
torial entfaltet. Auffallend ist ihr Herabsteigen vom Ge-
birge zur Ebene, vor: Süddeutschland nach Norddeutschland,
von Italien nach Holland und England. Daß der Hoch-
gebirgsmaler zur „Kulisse" verleitet wurde, weiß man
längst; daß der Flachlandsmaler zur „Tapete" verleitet
wird, beobachtet und beachtet man noch kaum. Daß unser
„niemals ausgesungenes" Alpenland vielleicht noch manches
in der Kunst so retten kann, wie sich verfolgte Menschen
in die Berge retten: auch daran läßt sich denken, (was
die Zeitschrift „Deutsche Alpenzeitung" zur Kunst beiträgt,
will Schreiber dieses in einer eigenen Rezension markieren.)
Der Gertlichkeit des Landes und der Zeitlichkeit der
Kultur steht unter den Künsten bekanntlich die Architektur
am nächsten. Die Fruchtbarkeit eines engeren Anschlusses
der Künste an die Architektur ist auch schon oft betont
worden (vielleicht bereits zu sehr; ein eigenes spezialisiertes
Gebiet muß auch jegliche andere Kunst, zunächst das Kunst-
handwerk, bleiben). Neuerdings ist einiges zu erhoffen
von den wirklich sympathischen Fortschritten, welche die
„Denkmalpflege" erreicht hat. Auch jetzt wieder, auf dem
ff. Denkmalpflegetag in Danzig vom 29. September (9;o,
kamen Gedankengänge, die für uns wertvoll srnd. Nament-
lich hat Reg.-Rat Blunck aus Berlin in seinem Vortrage
„Hochschulunterricht und Denkmalpflege" manches für uns
Wertvolle angedeutet. Er verweist auf sein Kolleg über
praktische Denkmalpflege, das seit drei Jahren an der Tech-
nischen Hochschule zu Berlin-Lharlottenburg besteht; und
er wünscht, daß an möglichst vielen Hochschulen offizielle
Denkmalpflegekollegs eingerichtet werden möchten. Auch
damit trifft er etwas Richtiges, daß er klagt, bei uns sei
zu viel von Kunst und zu wenig von Handwerk die Rede.
In der Diskussion wurde auch auf die an der Universität
Tübingen bestehenden Vorlesungen über Denkmalpflege
hingewiesen. (Berichte im „Berliner Tageblatt" Nr. 498
vom f. Oktober <9(0 und in der „Täglichen Rundschau"
Nr. 46 f vom 2. Oktober fgfo.)
An dieser Stelle ist es schwer, nicht auch zu ferner-
liegenden, aber doch auch hier beachtenswerten Dingen ab-
zuschweifen. So ist es z. B. nicht gleichgültig, daß die
Museen und der kunstwissenschaftliche Unterricht in nähere
Verbindung miteinander gebracht werden, was in dieser
Beziehung w. Bode, K. Koetschau und M. Schmid getan
haben, würde noch eine nähere Betonung vertragen; doch
sei auf den Vortrag des letzteren über Hochschulmuseen
und kunstgeschichtlichen Unterricht, auf dem 9. Internatio-
nalen kunsthistorischen Kongreß zu München (909, hin-
gewiesen. Selbst noch eine solche scheinbare Kleinigkeit
könnte hier nochmals zum Verweilen verleiten, wie die
Forderung, daß die Architekten mehr Rücksicht auf die
Atelierbedürfnisse der Künstler nehmen sollten, nachdem
dieses Thema bereits in unserem Blatte, Iahrg. VIII,
Heft Z5 angeschnitten worden ist.
Im Verlaufe des Bisherigen wird wohl manchem
Künstler und Kunsttheoretiker der Einwand auf der Junge
gelegen haben, daß wir uns mit all diesen schönen Dingen
doch von der Hauptsache entfernen, nämlich von der künstle-
rischen (Dualität als solcher, für deren alleroberste Herrschaft
alle anderen Rücksichten geopfert werden müßten. Was
Alpen und was Flachland, was religiös oder weltlich —
wenn nur möglichst gut gemalt wird!
Nun ist es ja vollständig richtig, daß den künstlerischen
wert eines Werkes lediglich seine künstlerische «Dualität,
sagen wir: seine Form, ausmacht, und daß der „Inhalt"
zu diesem werte gar nichts hinzutut; trivial gesprochen:
daß ein gut gemalter Düngerhaufen künstlerisch wertvoller
 
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