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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/​1911

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Ausbeutung der Künstler beim Konkurrenzverfahren
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Erdmann, Robert: Ein neues Ausstellungsverfahren
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https://doi.org/10.11588/diglit.52067#0254

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2^6

Die Werkstatt der Kunst.

heft ^8.

Dies Vorkommnis dürfte ein eklatantes Beispiel
für das Verfahren liefern, durch welches es skrupel-
losen Leuten gelingt, sich in den Besitz von künst-
lerischen Entwürfen zu setzen, ohne Honorarzahlung
und ohne irgendwelche Verpflichtung dem Künstler
gegenüber."
Ein neues Ausstellungsverfahren*)
vor ungefähr vier Jahren erschien in der „Deutscher,
Kultur" (h. Driesmanns) ein Artikel von mir, in dem ich,
um ein selbständig urteilendes Kunstpublikum heranzuziehen,
das Vermieten von Bildern empfahl. Der Artikel wurde
damals in dem vorliegenden Blatte abgedruckt und be-
sprochen. Seitdem habe ich mit großem Interesse alle prak-
tischen Vorschläge verfolgt, die darauf hinzielen, der Not
des zu großen Angebotes und des zu geringen Absatzes
auf dem Kunstmarkte zu steuern.
Da wurde z. B. vorgeschlagen, die Künstler sollten sich
nicht scheuen, Ladenfenster für ihre Werke zu mieten, um
diese um so leichter an die breite Oeffentlichkeit bringen
zu können. Ein anderer Vorschlag, die juryfreie Ausstel-
lung betreffend, ist bereits, ich glaube sagen zu dürfen zur
furchtbaren Tatsache geworden. Es mag wohl noch mehr
in dieser Richtung hin- und hergeraten sein, immer, scheint
mir, ging man von einem ganz verkehrten Prinzip aus.
Wenn wir die Dinge einmal nüchtern betrachten, müssen
wir uns sagen, daß wir es mit einem Publikum zu tun
haben, das im allgemeinen schon durch ein allzugroßes
vielerlei in seinen geistigen Interessen zersplittert ist. Auf
künstlerischem Gebiete kommt noch eine gänzliche Verwirrt-
heit und Ratlosigkeit hinzu, hervorgerufen durch unsere Zeit
des ewigen Umsturzes, in der das Ueberraschende und ver-
blüffende Trumpf ist.
Einem so beschaffenen Publikum bieten nun die Künstler-
in zahllosen Ausstellungen und Kunstsalons ihre Werke an.
was wir damit zurzeit erreicht haben, ist eine geradezu
staunenerregende Oberflächlichkeit von seiten der Beschauer
im Betrachten von Kunstwerken.
Wenn wir von einigen Sensationen in unserem Kunst-
leben absehen, schenkt der Abonnent und Kunstfreund
zwischen zwei natürlich „sehr wichtigen" Einkäufen dem
betreffenden Kunstsalon vielleicht Minuten, die zum
Durchstreichen mehrerer Säle reichen müssen.
Glaubt der betreffende Autor, der für die Knnst im
Ladenfenster eintrat, wirklich, daß diese Schaustellungen bei
unserer Damenwelt die Konkurrenz aufnehmen könnten
z. B. mit einem leidlich inszenierten Putladen?
Aber über diese stiefmütterliche Behandlung der Kunst
brauchen wir uns nicht zu wundern, sie ist vollkommen
erklärlich. Wir sollten eben am besten gar nicht versuchen,
Menschen während einer Zeit, wo sie beschäftigt sind, für
unsere Kunst zu interessieren. Was würde man wohl von
einem Theaterdirektor sagen, der seine Ausführungen an
den Wochentagen vormittags dem Publikum anböte?
Damit nun bin ich bei dem eigentlichen Grundübel
unserer ganzen Kunstpflege in der Malerei angekommen.
Während die dramatische Kunst und die Musik sich nur
dann darbieten, wenn der größere Teil der arbeitenden
Menschheit Feierabend gemacht hat, treten wir halb frei-
willig, halb gezwungen (s. Lichtverhältnisse) zum allergrößten
Teil an eine beschäftigte Menge heran und haben unter
der Konkurrenz mit Berufspflichten usw. derselben natür-
lich stark zu leiden.
Wenn wir unserer Not steuern wollen, heißt die Frage
nicht: „wie bringe ich noch mehr Bilder noch müheloser

*) Wir geben diesem Vorschläge deshalb Raum, weil
wir es nicht für unmöglich halten, daß er von Künstler-
gesellschaften ausgenommen, durchgebildet und ausgeführt
werden könnte. Red.

an die Oeffentlichkeit?", sondern es gilt Gelegenheiten aus-
findig zu machen, in denen man das Publikum in der
Muße antrifft, womöglich, wo es eine Leere empfindet, die
nun unsere Kunst auszufüllen imstande wäre.
Mein Vorschlag geht nun dahin, die Künstlervereine
sollten sich mit allen größeren potels und Pensionen in
Verbindung setzen und ihnen für ihre Gesellschaftsräume
und Logierzimmer Bilder zur Verfügung stellen, wenn
in jedem Zimmer nur ein Delbild und einige graphische
Arbeiten untergebracht würden, könnte schon eine Unzahl
Bilder einem immer wechselnden Publikum vorgeführt
werden, das häufigsten Falles wenigstens beim An- und
Auskleiden fast gezwungen wäre, die werke zu betrachten.
Ich bin sicher, daß die poteliers gern auf den Vor-
schlag eingehen werden, wenn man sie in Erwägung ziehen
läßt, daß sie für die Ausschmückung ihres pauses fast
nicht mehr zu sorgen haben, und wenn ihnen im Verkaufs-
falle, sagen wir 50/g, Provision zugesichert wird. Das
Wechseln der Bilder würde nach Uebereinkunft halbjährlich
oder jährlich geschehen, doch wäre es vielleicht gut, wenn
diese Bestimmungen von den Kunstvereinen aus gemacht
würden, damit einem gewissen Kunstunverstand und der
Bequemlichkeit, zwei Faktoren, die man auf seiten derpotel-
leiter vielfach voraussetzen muß, entgegengearbeitet wird.
welch gute Gelegenheit wird damit auch Künstlern
gegeben, die in kleineren Städten ihren Wohnsitz haben,
sich bekannt zu machen, und zwar einem reisenden Publi-
kum, dem bekanntlich das Geld immerhin ein wenig lockerer
in der Tasche sitzt als in der Alltäglichkeit des Zuhause-
seins, welch ein Vorteil ferner für die Städte selbst, wenn
von guten Künstlern dem durchreisenden Publikum die
Reize der betreffenden Orte und ihrer Nmgend vor Augen
geführt werden können.
Aber das sind nur die Städte. Ls lassen sich mühelos
ebenso die potels, Sanatorien und größeren Pensionen sämt-
licher Badeorte mit in diesen Plan hineinziehen, und dort
wird vielleicht das beste Absatzgebiet für die Künstler sein,
denn diese Plätze werden meist aus mehrere Wochen besucht
von einem durchweg gutgestellten Publikum, das, weil es
den Alltagssorgen entrückt ist, für alles Schöne verhältnis-
mäßig empfänglicher ist als zu Pause.
Da man ferner in Badeorten leichter und umfänglicher
als sonst Bekanntschaften zu machen pflegt, wird es nicht
ausbleiben, daß ein gewisser Gedankenaustausch über die
in den potels verteilten Werke entsteht, was für die
Künstler und das betreffende Publikum gleich nützlich sein
wird. Uebrigens haben sich Künstler, deren Können oft
hinter ihrer Erwerbstüchtigkeit weit zurücksteht, diese günstige
Situation längst zunutze gemacht, denn fast in allen größeren
Badeorten findet man Bilderbasare (teilweise geben auch
poteliers ihre Räume her), in denen man zn geringen
Preisen meist höchst minderwertige Kunstwerke erstehen
kann. Warum soll nicht wirklichen Künstlern diese Er-
werbsquelle geöffnet werden?
Die Versorgung der großen Badeorte mit Bildern
denke ich mir ungefähr so: Erstlich müßte sie, zunächst
wenigstens, bis die Gewohnheit vieles leichter macht, eben-
falls von den Künstlervereinigungen aus geschehen. Die
von der Sachlage durch Zirkulare unterrichteten Potel-
besitzer würden die Summe der Bilder und Zeichnungen,
die sie unterbringen könnten, angeben, und zwar zweck-
mäßig auf vorgedruckten Karten, auf denen sie die Anzahl
der Zimmer, Gesellschastsränme und Korridore, ungefähre
Größe resp. Länge und Breite derselben und ganz im all-
gemeinen die Lichtverhältnisse des pauses anzugeben hätten.
Eine Kommission von Künstlern hätte diese Anfragen
sodann zu ordnen. In den Fachblättern würden die
Künstler aufgefordert, zu einem passenden Termine ihre
Arbeiten einzusenden. Da würde es wohl am praktischsten
sein, wenn große Kunstspeditionen den Platz zur Besichti-
gung der Bilder beschaffen könnten, wenn man sich in
der Auswahl der Werke, soweit es angängig ist, etwas
nach dem Charakter der einzelnen Bestimmungsorte richten
würde (bei Landschasten z. B. wäre das mühelos zu be-
 
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