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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/​1911

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Redaktioneller Teil
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Wagner, Otto: Ueber Kunsterziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.52067#0642

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63ff

Die Werkstatt der Kunst.

— Heft H6.

pstege des Körpers bei der allgemeinen Schulbildung an-
zustreben.
Eine Erziehung zum Künstler ist gewiß nicht möglich,
wohl aber kann, wie schon angedeutet, eine allgemeine
Erziehung zur Kunst stattfinden. Eine solche allgemeinere,
freiere, lebendigere Erziehung, welche auch die zur Kunst
in sich aufzunehmen hätte, hat aber nicht allein den Zweck,
den künstlerischen Sinn in der Jugend zu wecken, und da-
durch das künstlerische Urteil des Individuums zu reifen,
sondern hauptsächlich auch die Schwierigkeiten bei der Wahl
des Berufes zu beheben und den verborgenen Teil der
Volkskraft dem Staate dienstbar zu machen. Sie soll also
eine größere Anzahl von Individuen als heute mit weiter-
ausgreifender Bildung in ein richtiges Geleise lenken und
den unzähligen Zwecken der Industrie, des Gewerbes und
des Handwerkes und endlich der Kunst als Kraft zu-
führen.
Die natürliche Begabung des Individuums spielt im
Werdegang des Schülers gewiß dis Hauptrolle und die
^eigt sich für den unmittelbaren Beobachter, für den Lehrer
im Alter der Jugend von to—sH Jahren, also in der
ersten Hälfte der Mittelschulen ziemlich deutlich; besonders
wird dies der Fall sein, wenn nicht allein Gedächtnis,
sondern auch Geist und Körper, also auch Auge und Hand
geübt werden.
Aus der angeführten voraussichtlichen Aufnahme- und
Entwicklungsfähigkeit in einer gewissen Altersperiode ent-
steht wie von selbst eine Trennung der Mittelschule in eine
untere und obere.
Die untere Hälfte der Mittelschule hätte nicht allein
den Zweck, die natürlichen Fähigkeiten des Schülermaterials
überhaupt zu erwecken, sondern sie würde es auch ermög-
lichen, die Schüler für die oberen Mitlelschulen nach (Duali-
täten zu sortieren, damit diese ihrer Fähigkeit nach in die
folgenden vier oberen Mittelschulen, welche sich naturgemäß
nach Disziplinen strahlenförmig zu erweitern hätten, ein-
gereicht werden könnten.
Die vier oberen, schon nach Disziplinen geordneten
Mittelschulen mit dem nach Individualität und Fähigkeit
eingereihten Schülermaterial werden ihren Zweck, die
Schüler bis zur Hochschule zu führen, schon deshalb in
günstigerem Sinne als bisher entsprechen, weil die Schüler
durch die unteren Mittelschulen vorbereitet und in Fach-
schulen eingeteilt, schneller ihrem Ziele zueilen können, die-
selben entlastet und deren Aufnahmefähigkeit und Aufnahme-
freudigkeit dieser Art sicher erhöht würde.
Es ist kaum nötig, zu erwähnen, daß diese Dezentralisation
der Disziplinen noch eine Anzahl weiterer Vorteile in sich
schließt. So braucht hier nur darauf hingewiesen zu
werden, daß das Schülermateriale rascher und besser der
Erwerbsfähigkeit zugeführt, daß die Schwierigkeit der Wahl
des Berufes ziemlich verschwindet, daher im Kampfe ums
Dasein der Einzelne durch diese Lehrmethode eher auf den
richtigen Platz gestellt wird, Umstände, die bei den allerorts
sehr angespannten Verhältnissen gewiß hoch anzuschlagen
sind. Die Dezentralisation der schon nach Fächern geordneten
oberen Mittelschulen bietet durch die erwähnte Entlastung
auch die Möglichkeit, unser heutiges so ausgedehntes wissen
mit der Aufnahmefähigkeit des Einzelnen und hauptsächlich
mit dessen so wertvollen günstigen körperlichen Entwicklung
in Einklang zu bringen. Schaffenslust, Schaffenskraft,
Individualität, Geschmack, Kunstempfindung, Fähigkeit des
Zeichnens, räumliches Denken, Handfertigkeit usw. sind
Dinge, welche dem Schüler nur durch Einschränkung der
Gedächtnisübungen zuteil werden können, dem Maturierten
aber sicher mehr wert verleihen werden, als er heute durch
die Aufnahme so vieler schwer belastender Disziplinen er-
hält. Auch wird diese Methode der Bildung den Staat
von der bisherigen Verantwortung entlasten, Kräfte ge-
schaffen zu haben, für welche ihm die Verwendung fehlt;
der höhere wert der Herangebildeten wird die Konkurrenz
mit anderen Völkern erleichtern.
Selbstredend befindet sich unter den Disziplinen oder
Visziplinsgruppen der oberen Mittelschule auch eine Fach-

schule für Kunst, womit aber nicht gesagt ist, daß alle
Frequentanten dieser Schule Künstler werden sollen.
Die letzte Stufe in der Ausbildung zur Kunst bildet
wie bei den anderen Disziplinen die Hochschule, in diesem
Falle also die Akademie der bildenden Kunst.
Es kann nicht Aufgabe dieser Schrift sein, alle Fach-
gruppen der oberen Mittelschule anzuführen und auf die
einzelnen Disziplinen des Näheren einzugehen, nur bezüglich
der oberen Mittelschule für Kunst erscheint es wichtig, auf
das ziemlich große, jetzt bestehende Bildungsmanko der
Frequentanten der allgemeinen Kunstschulen hinzuweisen.
Es wären deshalb nebst anderem noch folgende Themas
in den Lehrplan dieser oberen Mittelschule einzusügen:
Kunst und Kunstgewerbe unserer Zeit,
Kunstgeschichte,
Literatur (Kunstzeitschriften),
Zeichnen (Konstruktion),
Materialkunde, Materialtechnik,
Anschauungsunterricht,
Exkursionen (körperliche Uebungen, Exerzieren),
Ehre,
Weltsprachen.
Die oberen Mittelschulen für Kunst haben selbstredend
keine Kunstfächer, es kann sich dort also weder um Mal-
kunst, Bildhauerkunst oder Baukunst oder um Kunstgewerbe
handeln, sondern sind dem Schüler diese Dinge ungetrennt
in dem Allgemeinbegriffe „Kunst" vorzuführen und dem-
entsprechend die Uebungen anznordnen.
Eine Trennung tritt erst bei Eintritt in die Kunst-
hochschule, in diesem Falle die Meisterschulen der Akademie
ein. Selbstredend ist der Eintritt irr letztere vom Aus-
spruche des führenden Meisters abhängig, so daß dort die
letzte Siebung der Kunstjünger stattfindet.
Für die Baukunst ergibt sich bei diesem Vorgänge nur
insofern eine Ausnahme, als das bautechnische wissen, das
zur Basis dieser Kunst gehört, heute Dimensionen ange-
nommen hat, welche bis zu diesem Zeitpunkte der Reife
des Kunstjüngers von demselben nicht ausgenommen wer-
den können. Die Bildungszeit des Baukünstlers verlängert
sich daher um ca. zwei Jahre, welche er an der technischen
Hochschule zuzubringen hätte, damit er dort jene Disziplinen
erlerne, die zu beherrschen heute mit vollem Rechte von
jedem Baukünstler gefordert werden kann.
Die Baukunsthochschulen bedürfen einer eingehenden
kritischen Erörterung und soll diese an späterer Stelle Platz
finden.
Daß eine Reorganisation der Schulen auf der hier
kurz erläuterten Basis eine richtigere allgemeine Bildung
als Resultat haben würde, muß nach dem Angeführten als
sicher vorauszusehen angenommen werden; den größten
Vorteil aber würde Kultur und Kunst und damit das
Volkswohl und dadurch der Staat erzielen. Ja, es kann
ruhig behauptet werden, daß dieser Art eine neue, fähigere
Generation entstände.
Mit der Schulfrage steht die Frage der Lehrkräfte im
engsten Zusammenhänge. Ls ist sicher, daß der Staat, was
seine Kunstlehrkräfte anlangt, auf höchster Stufe stehen muß.
Da Kunst nicht gelehrt werden kann, und es nur auf
die vorbildliche Vollkommenheit des Meisters ankommt, so
ist bei der Wahl von Kunstlehrkräften darauf zu sehen,
daß diese Lehrkräfte erstklassig sind. Der Ausspruch: „Dieser
oder jener eignet sich zum Lehrer", bleibt, für eine Meister-
schule wie immer, eine Phrase.
welch ungeheuren wert die Wahl der richtigen Persön-
lichkeit als Lehrkraft hat, dafür haben wir in Mcsterreich
ein recht eklatantes Beispiel in der Berufung von Hoffmann
und Moser an die Kunstgewerbeschule; diese beiden Meister
waren in verschwindend kurzer Zeit imstande, Gesterreichs
Kunstgewerbe an die auch vom Auslande anerkannte
künstlerisch erste Stelle zu heben und dieser volle, wirt-
schaftlich so bedeutende Erfolg wäre sicher noch größer ge-
worden, wenn der ganze, vor Jahren gestellte Vorschlag
des Verfassers dieser Schrift, der dahin ging, auch Josef
 
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