Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 10.1910/1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.52067#0476
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Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Westheim, Paul: Der Vorstoß des Kunstgewerbes, II
DOI Artikel:Deutschland und Bayern?
DOI Artikel:Max Liebermann über Empfindung und Erfindung in der Malerei
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.52067#0476
§68
Die Werkstatt der Runst.
Heft 3§.
schaffen" haben. Wer wollte das nicht verdammen! Wer
aber kann leugnen, daß die Kunstgewerbler diese Gebärde
von den Künstlern angenommen haben? Natürlich von
den Künstlern, die noch in Sammetjoppen hausten und
die an ihren Kneiptischen sich einbildeten, mit dem seligen
Dürer Duzbrüderschaft getrunken zu haben. Meiner Meinung
nach ist das alles nicht gerade tragisch zu nehmen. Ls ist
begreiflich, daß schöpferisch tätige Menschen, die etwas
abseits vorn normal geratenen Bürgertum stehen, zuweilen
auch dahin kommen, eine abseitige Geste anzunehmen.
Ich möchte daran erinnern, daß eine so scharfe Unter-
scheidung von Kunst und Kunstgewerbe eigentlich niemals
gemacht worden ist von kunstschaffenden und kunstgenießen-
den Menschen. Die Kunstphilosophen, also Aesthe-
tiker, die sich analysierend über die Kunstwerke hermachten,
haben diese Abgrenzung vorgenommen. Und zwar waren
es die Aesthetiker des «9. Jahrhunderts. Vor ihnen dachte
kein Mensch daran, solche spitzfindigen Unterscheidungen zu
machen. Dürer und Holbein waren Handwerker, hatten
eine Werkstatt, gehörten einer Zunft an; sie nannten
sich Gewerbler, und was sie machten, war Kunst.
Oder könnte man vielleicht die Persönlichkeit eines Uolbein
zersägen in einen regelrechten Künstler, der die Bilder
malte, und einen zweitklassigen Kunstgewerbler, der den
Handwerkern die Grnamentzeichnungen machte? Ich bin
der Ansicht, daß diese Ornamente — oder nehmen wir ein
anderes Stück Kunstgewerbe: eine griechische Tonvase —
in jeder Hinsicht bedeutsamer sind als so manches Dutzend-
bild, das überstießt vom „Ausdruck des Innerlichen". Da-
rnit ist eigentlich die ganze Streitfrage schon beantwortet.
Es kommt nämlich viel weniger darauf an, ob eine Ge-
staltung ganz voraussetzungslos oder unter der Voraus-
setzung eines Gebrauchszweckes entstanden ist, entscheidend
ist vielmehr die Reinheit und Reife der Leistung,
die persönliche und urtümliche Schöpferkraft, das
Können, das Genie und das Temperament des Ge-
stalters, mit einem Wort: die «Dualität. «Dualität ist
nicht gebunden an irgendeine bestimmte Form, an das
Staffeleibild oder die Freiplastik etwa. Sie kann stecken
in allem, was ein schöpferischer Geist aus sich heraus formt.
Wenn inan klagen will, so kann man meiner Meinung
nach nur klagen über den Mangel an «Dualität, der in
allem, was irgendwie zur Kunst gehört, heute so aufdring-
lich hervortritt. Gutes Kunstgewerbe ist jedenfalls besser
als mittelmäßige Kunst, und wirklich gutes Kunstgewerbe
ist unbedingt auch ein Ansporn, um ein zweifelhaftes
Kunstniveau aufzuhöhen.
Ich verstehe schließlich auch nicht, warum gerade die
Maler so eifersüchtig nach dem Kunstgewerbe hinüber-
blicken. Ls liegt doch auf der Hand, daß die Leute, die
sich, sagen wir einmal von einem geschmackvollen Menschen
eine geschmackvolle Häuslichkeit Herrichten lassen, sich über
kurz oder lang schämen werden, einen schlechten Geldruck
oder eine übermalte Photographie zu kaufen. Sie werden
so von selbst dazu gebracht, ihre Wände mit erträglichen
Bildern zu behängen, denn sie würden ja ihre ganze schöne
Raumkunst durch irgendwelchen Schund morden. Also
scheint mir der Pessimismus von dieser Seite aus nicht
gerade gerechtfertigt.
?s.ul Westkeiva.
Oeutfcblarid und Vayern?
(Vgl. Heft 26 des vorigen Jahrgangs)
In Barcelona findet vom 2Z. April bis «5. Juli
eine Internationale Kunstausstellung statt, von zuver-
lässiger Stelle wird der Ständigen Ausstellungs-
kommission für die Deutsche Industrie das Folgende
berichtet:
„Die deutsche Abteilung hat diesmal, iin Gegensatz zu
früher, zwei der besten Säle zugewiescn erhalten; sie ist
vorzugsweise von namhaften Düsseldorfer und Münchener
Malern beschickt und dürfte an Bedeutung hinter der an-
derer fremder Nationen nicht zurückstehen. — Die früher
bei gleichem Anlaß üblich gewesene Trennung von ,-^Ie-
rnLnia' und ,Luvierg/ ist diesmal auf einen von zu-
ständiger Seite nachdrücklich ausgesprochenen Wunsch unter-
blieben."
Das ist sehr erfreulich und wird hoffentlich auch in
Italiensvenedig) Widerhall finden. In Italien (Venedig)
scheint es überhaupt mit der Geographie nicht ganz gut
bestellt zu sein, denn neben Oesterreich erscheinen im Ver-
kaussergebnis der vorjährigen Internationalen Aus-
stellung in Venedig Ungarn und — Triest besonders.
Oder sollte da eine kleine politische Bosheit vorliegen?
Die Internationale Ausstellung «9«o in
Venedig hatte ein sehr gutes Ergebnis, denn es wurden
insgesamt 657 Kunstwerke (23-« Gelgemälde, 26 Skulp-
turen, «26 Schwarz-Weiß und 27« Kunstgewerbe) für
580 000 Lire abgesetzt. Insgesamt haben die bisherigen
9 Internationaler: Ausstellungen Venedigs schon mehr als
-« Millionen Lire unter die Künstler gebracht.
Deutschland hat im vorigen Jahre noch viel
schlechter abgeschlossen als im Jahre «909. Ls kamen
für die Ausstellung «9«0 in der hohen Kunst eigentlich
nur England, Frankreich und die Vereinigten Staaten, in
der angewandten Kunst nur Ungarn und Bulgarien in
Betracht.
von den 25-« Gelgemälden usw. entfielen nutzer-
halb Italiens: 6 2; nämlich auf England 59, auf Frank-
reich 8, auf Deutschland (mit Bayern) 4- (davon auf
Ludwig Dill 3), auch auf Rußland, Gesterreich(-Ungarn)
je 3, auf Spanien, Belgien und Bulgarien je 2 Werke.
Von den 26 Skulpturen: «-«; nämlich auf Eng-
land 8, auf Oesterreich und Bulgarien je -« Werke, auf
Deutschland und die anderen Länder nichts!
Von « 2 6 Schw arz-Weiß-Arb eiten: « «4; nämlich
auf Frankreich 77, auf die Vereinigten Staaten 22, auf
Belgien «0, auf Deutschland 5 Werke.
Die 27« Verkäufe des Kunstgewerbes kamen
alle nach außerhalb Italiens, und zwar nach Ungarn und
Bulgarien. (Deutschland hatte im vorigen Jahre hier ein
Fünftel aller Verkäufe, fehlt aber diesmal ganz.)
von den im Jahre «9«o in Venedig verkauften
657 Kunstwerken entfielen auf Deutschland 9, auf
Frankreich 85 und auf England -«7 Werke.
O. W. V. K.
Mas Liebermann über Empfindung
unct Erfindung in der Malerei
Prof. Max Liebermann nimmt im neuen Hefte von
„Kunst und Künstler" zu der alten Frage das Wort, welche
Rolle die Empfindung und welche die Erfindung in der
Malerei zu spielen habe — jener Frage, die Lessing mit
dem Paradoxon beantwortete, Raffael wäre auch der größte
Maler gewesen, wenn er ohne Hände geboren wäre. „Neu-
lich meinte wöfflin," so beginnt Liebermann, „in einem
kleinen Aufsatz über das Zeichnen, daß jeder, der einen
Kopf gut zeichnen könnte, auch gut zu schreiben verstände."
Gb das nicht zuviel behauptet ist, will ich als Maler nicht
untersuchen, aber das glaube ich mit Recht behaupten zu
dürfen, daß einer, der keinen Strich zeichnen kann, un-
fähig ist, über Malerei zu schreiben, was würden die
Musiker sagen, wenn ein Maler, der nicht einmal die
„wacht am Rhein" oder „Heil dir im Siegerkranz" „auf
dem Klavier nachklimpern kann, sich herausnehmen würde,
über Musik zu ästhetisieren. Das ästhetische Urteil über
Malerei ist von Schriftstellern gemacht. Der Schriftsteller
versteht in der Gedankenmalerei die literarische Phantasie,
und daher stellt er sie über die sinnliche Malerei, die er
aus Unkenntnis ihrer Wesenheit nicht verstehen kann.
Malerei ist Nachahmung der Natur, der sie ihre Stoffe ent-
lehnt, aber sie bleibt ohne die schöpferische Phantasie
eine geistlose Kopie, und es ist daher ganz gleich-
gültig, ob der Maler einen Sonnenuntergang aus der Tiefe
Die Werkstatt der Runst.
Heft 3§.
schaffen" haben. Wer wollte das nicht verdammen! Wer
aber kann leugnen, daß die Kunstgewerbler diese Gebärde
von den Künstlern angenommen haben? Natürlich von
den Künstlern, die noch in Sammetjoppen hausten und
die an ihren Kneiptischen sich einbildeten, mit dem seligen
Dürer Duzbrüderschaft getrunken zu haben. Meiner Meinung
nach ist das alles nicht gerade tragisch zu nehmen. Ls ist
begreiflich, daß schöpferisch tätige Menschen, die etwas
abseits vorn normal geratenen Bürgertum stehen, zuweilen
auch dahin kommen, eine abseitige Geste anzunehmen.
Ich möchte daran erinnern, daß eine so scharfe Unter-
scheidung von Kunst und Kunstgewerbe eigentlich niemals
gemacht worden ist von kunstschaffenden und kunstgenießen-
den Menschen. Die Kunstphilosophen, also Aesthe-
tiker, die sich analysierend über die Kunstwerke hermachten,
haben diese Abgrenzung vorgenommen. Und zwar waren
es die Aesthetiker des «9. Jahrhunderts. Vor ihnen dachte
kein Mensch daran, solche spitzfindigen Unterscheidungen zu
machen. Dürer und Holbein waren Handwerker, hatten
eine Werkstatt, gehörten einer Zunft an; sie nannten
sich Gewerbler, und was sie machten, war Kunst.
Oder könnte man vielleicht die Persönlichkeit eines Uolbein
zersägen in einen regelrechten Künstler, der die Bilder
malte, und einen zweitklassigen Kunstgewerbler, der den
Handwerkern die Grnamentzeichnungen machte? Ich bin
der Ansicht, daß diese Ornamente — oder nehmen wir ein
anderes Stück Kunstgewerbe: eine griechische Tonvase —
in jeder Hinsicht bedeutsamer sind als so manches Dutzend-
bild, das überstießt vom „Ausdruck des Innerlichen". Da-
rnit ist eigentlich die ganze Streitfrage schon beantwortet.
Es kommt nämlich viel weniger darauf an, ob eine Ge-
staltung ganz voraussetzungslos oder unter der Voraus-
setzung eines Gebrauchszweckes entstanden ist, entscheidend
ist vielmehr die Reinheit und Reife der Leistung,
die persönliche und urtümliche Schöpferkraft, das
Können, das Genie und das Temperament des Ge-
stalters, mit einem Wort: die «Dualität. «Dualität ist
nicht gebunden an irgendeine bestimmte Form, an das
Staffeleibild oder die Freiplastik etwa. Sie kann stecken
in allem, was ein schöpferischer Geist aus sich heraus formt.
Wenn inan klagen will, so kann man meiner Meinung
nach nur klagen über den Mangel an «Dualität, der in
allem, was irgendwie zur Kunst gehört, heute so aufdring-
lich hervortritt. Gutes Kunstgewerbe ist jedenfalls besser
als mittelmäßige Kunst, und wirklich gutes Kunstgewerbe
ist unbedingt auch ein Ansporn, um ein zweifelhaftes
Kunstniveau aufzuhöhen.
Ich verstehe schließlich auch nicht, warum gerade die
Maler so eifersüchtig nach dem Kunstgewerbe hinüber-
blicken. Ls liegt doch auf der Hand, daß die Leute, die
sich, sagen wir einmal von einem geschmackvollen Menschen
eine geschmackvolle Häuslichkeit Herrichten lassen, sich über
kurz oder lang schämen werden, einen schlechten Geldruck
oder eine übermalte Photographie zu kaufen. Sie werden
so von selbst dazu gebracht, ihre Wände mit erträglichen
Bildern zu behängen, denn sie würden ja ihre ganze schöne
Raumkunst durch irgendwelchen Schund morden. Also
scheint mir der Pessimismus von dieser Seite aus nicht
gerade gerechtfertigt.
?s.ul Westkeiva.
Oeutfcblarid und Vayern?
(Vgl. Heft 26 des vorigen Jahrgangs)
In Barcelona findet vom 2Z. April bis «5. Juli
eine Internationale Kunstausstellung statt, von zuver-
lässiger Stelle wird der Ständigen Ausstellungs-
kommission für die Deutsche Industrie das Folgende
berichtet:
„Die deutsche Abteilung hat diesmal, iin Gegensatz zu
früher, zwei der besten Säle zugewiescn erhalten; sie ist
vorzugsweise von namhaften Düsseldorfer und Münchener
Malern beschickt und dürfte an Bedeutung hinter der an-
derer fremder Nationen nicht zurückstehen. — Die früher
bei gleichem Anlaß üblich gewesene Trennung von ,-^Ie-
rnLnia' und ,Luvierg/ ist diesmal auf einen von zu-
ständiger Seite nachdrücklich ausgesprochenen Wunsch unter-
blieben."
Das ist sehr erfreulich und wird hoffentlich auch in
Italiensvenedig) Widerhall finden. In Italien (Venedig)
scheint es überhaupt mit der Geographie nicht ganz gut
bestellt zu sein, denn neben Oesterreich erscheinen im Ver-
kaussergebnis der vorjährigen Internationalen Aus-
stellung in Venedig Ungarn und — Triest besonders.
Oder sollte da eine kleine politische Bosheit vorliegen?
Die Internationale Ausstellung «9«o in
Venedig hatte ein sehr gutes Ergebnis, denn es wurden
insgesamt 657 Kunstwerke (23-« Gelgemälde, 26 Skulp-
turen, «26 Schwarz-Weiß und 27« Kunstgewerbe) für
580 000 Lire abgesetzt. Insgesamt haben die bisherigen
9 Internationaler: Ausstellungen Venedigs schon mehr als
-« Millionen Lire unter die Künstler gebracht.
Deutschland hat im vorigen Jahre noch viel
schlechter abgeschlossen als im Jahre «909. Ls kamen
für die Ausstellung «9«0 in der hohen Kunst eigentlich
nur England, Frankreich und die Vereinigten Staaten, in
der angewandten Kunst nur Ungarn und Bulgarien in
Betracht.
von den 25-« Gelgemälden usw. entfielen nutzer-
halb Italiens: 6 2; nämlich auf England 59, auf Frank-
reich 8, auf Deutschland (mit Bayern) 4- (davon auf
Ludwig Dill 3), auch auf Rußland, Gesterreich(-Ungarn)
je 3, auf Spanien, Belgien und Bulgarien je 2 Werke.
Von den 26 Skulpturen: «-«; nämlich auf Eng-
land 8, auf Oesterreich und Bulgarien je -« Werke, auf
Deutschland und die anderen Länder nichts!
Von « 2 6 Schw arz-Weiß-Arb eiten: « «4; nämlich
auf Frankreich 77, auf die Vereinigten Staaten 22, auf
Belgien «0, auf Deutschland 5 Werke.
Die 27« Verkäufe des Kunstgewerbes kamen
alle nach außerhalb Italiens, und zwar nach Ungarn und
Bulgarien. (Deutschland hatte im vorigen Jahre hier ein
Fünftel aller Verkäufe, fehlt aber diesmal ganz.)
von den im Jahre «9«o in Venedig verkauften
657 Kunstwerken entfielen auf Deutschland 9, auf
Frankreich 85 und auf England -«7 Werke.
O. W. V. K.
Mas Liebermann über Empfindung
unct Erfindung in der Malerei
Prof. Max Liebermann nimmt im neuen Hefte von
„Kunst und Künstler" zu der alten Frage das Wort, welche
Rolle die Empfindung und welche die Erfindung in der
Malerei zu spielen habe — jener Frage, die Lessing mit
dem Paradoxon beantwortete, Raffael wäre auch der größte
Maler gewesen, wenn er ohne Hände geboren wäre. „Neu-
lich meinte wöfflin," so beginnt Liebermann, „in einem
kleinen Aufsatz über das Zeichnen, daß jeder, der einen
Kopf gut zeichnen könnte, auch gut zu schreiben verstände."
Gb das nicht zuviel behauptet ist, will ich als Maler nicht
untersuchen, aber das glaube ich mit Recht behaupten zu
dürfen, daß einer, der keinen Strich zeichnen kann, un-
fähig ist, über Malerei zu schreiben, was würden die
Musiker sagen, wenn ein Maler, der nicht einmal die
„wacht am Rhein" oder „Heil dir im Siegerkranz" „auf
dem Klavier nachklimpern kann, sich herausnehmen würde,
über Musik zu ästhetisieren. Das ästhetische Urteil über
Malerei ist von Schriftstellern gemacht. Der Schriftsteller
versteht in der Gedankenmalerei die literarische Phantasie,
und daher stellt er sie über die sinnliche Malerei, die er
aus Unkenntnis ihrer Wesenheit nicht verstehen kann.
Malerei ist Nachahmung der Natur, der sie ihre Stoffe ent-
lehnt, aber sie bleibt ohne die schöpferische Phantasie
eine geistlose Kopie, und es ist daher ganz gleich-
gültig, ob der Maler einen Sonnenuntergang aus der Tiefe