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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Märzheft
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Glenk, Ludwig: Fürst Johann II. von Liechtenstein
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Bogeng, Gustav A. E.: Betrachtungen aus der Bibliophilen-Perspektive
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0336

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den 1880er Jahren eine Anzeige in die Zeitung setzte: „Ein unent-
decktes Land wird ftir eine illustrierte Reisebeschreibung gesucht“,
hätte heutzutage seine Anzeige etwa so zu fassen: „Propaganda-
organisation ersten Ranges zur Verfügung fiir entsprechenden
Lebensbeschreiber mit noch unbekannten großen, Männern und Zei-
ten“. Bleibt man vor einem Buchhändlerschaufenster stehen, ge-
denkt man der 42 Eulenspiegel-Historie: „Ein Schuhmacher hieß
Eulenspiegeln zuschneiden“. Euienspiegel fragt, was Fasson er
haben wollte. Der Schuhmacher sagt: „Schneid zw groß und klein,
wie der Schweinhirt aus dem Dorfe treibet“. Eulenspiegel sagt:
,,Ja!“. Der Schuhmacher ging aus und Eulenspiegel schnitt zu und
macht von dem Leder Schwein, Ochsen, Kälber, Schaf, Geiß, Bock
und allerlei Viehs.

Der Biograph, der im modernen Saisontempo arbeitet, hat es
nicht mehr so leicht wie der gute Eulenspiegel. Denn die zu bio-
graphierenden Objekte — längst sind sie für die Lebensbeschreiber
keine Subjekte mehr — werden rar. Biographie reimt sich mit
Gen.ie. Wenn die papierenen Denkmäler so weiter wie die Fliegen-
pilze emporschießen, wird man die Niemande auf die Sockel setzen
miissen. Die Ahnenreihe der Menschheit ist nicht unerschöpflieh.
Aber sie hat einen Anhang. Die angestrengten Bemühungen des
17. Jahrhunderts um die Adambiographie sind aufgegeben worden.
weil die Aufklärung dazwischen kam. Diese Normalbiographie un-
seres Urphänomen fehlt noch immer, sie wäre erst einmal zu lie-
fern, und selbstverständlich durch eine F-vabiographie zu supplemen-
tieren, allein schon der sexualwissenschaftlichen Pointierungen
wegen. Wir brauchen einen Maßstab, um die außergewöhnlichen
Menschen am gewöbnlichen Menschen zu messen.

Die Kollektivbiographie — die Geschichte der Menschheit ist
keine Biographie. Darüber kann man freilich nicht mehr im Zwei-
fel sein, daß die exakten biographischen Methoden der Gegenwart
die einer Kollektivbiographie sind. Man will die einzelne, die ein-
zige Persönlichkeit als ein soziales Phänomen erfassen und er-
klären, aus der Erlebnisgemeinschaft mit ihren Zeitgenossen heraus.
Das geschieht nun freilich vielfach nur so, daß man die Ergebnisse
der Forschung für eine literarische Porträtmalerei zu verwerten
sucht. Fehlen die Farben, muß die biographische Phantasie sie er-
setzen, durch psychologische oder sonstwelche Wertungen. Und
dann protestieren wieder die Historiker, wenn die Biographen die
etwas verstaubten Kostüme mit Schere und Kleister so modern-
stilecht auf neu umwenden und zurechtstutzen, daß der schöne
Schedn verblüfft. Literaturhistorische Parallelen zwischen den bio-
graphischen Belustigungen unserer Gegenwart und den um ein
Halbjahrhundert älteren historischen Romanen oder dem Meininger
Stil sind ohne weiteres zu ziehen. Dabei ergeben sich dann lehr-
reiche Unterscheidungen zwischen dem Wandel der Auffassung
geschichtlicher Vergangenheiten. Auch der Glaube an die Fiihrer-
persönlichkeiten ist durch den Weltkrieg vernichtet worden, der
Glaube an den Erfolg ist geblieben. Daher die „sachliche Ein-
stellung“ des Lesers: Jedermann kann erfolgreich sein, wenn er
we-iß, wie der Erfolg zu erreichen oder gar zu erzwingen ist. An
die Stelle der Goldmacher und Sternendeuter sind die Techniker
des Erfolges getreten. Deshalb variieren die Biographen die Frage,
warum und wo sich diesem oder jenem Tatmenschen der Erfolg
versagte und seine weitere Wirkung, wie wir säe jetzt sehen wollen.
Und kommen zur Nutzanwendung: was hätte das biographische
Ideal tun sollen, damit es, in der Anschauungswelt seines Besohrei-
bers, den Erfolg gemeistert hätte? Die Biographie wird so durch
das gedankliche biographische Experiment ersetzt.

Die Erweckung der Persönlichkeit im Rinascimento führte zu
ihren literarischen Uebersteigerungen. Entspringen die vielen Bio-
graphien, die wir uns zu eigen machen sollen, nun dem Verlangen
der Verleger und Verfasser und Leser, den Menschen auf den Men-
schen zurückzuführen, sind sie ein letztes Versuchen, den Ueber-
menschen der Renaissance zu retten oder sind sie trotz -ihrer zur
Schau getragenen. Wirklichkeitsbejahung nur ein begiinnendes
Totenklagen um sterbende Jdeale? Ein meistgenannter Biograph,
der allein Leben ersten Ranges verarbeitet, allein die historisch
Prominentesten beachtet, soll es abgelehnt haben, unter diesen
besten Namen auch den eines amerikanischen Milliardär Methusalem
mit dem ehernen Griffel der Geschichte zu verewigen, Man w-ird

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