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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Märzheft
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Glenk, Ludwig: Fürst Johann II. von Liechtenstein
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Bogeng, Gustav A. E.: Betrachtungen aus der Bibliophilen-Perspektive
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0337

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danach mutmaßen dürfen — und a-uch, weil heutzutage meist der
Biograph der Held ist und der von ihm biographierte nur sein
Schatten —, daß die solcher Art in der Lebensbeschreibung sich
verdoppelnden Größenverhältnisse den monumentalen Stil suchen,
den die Antike und die Renaissance pflegten, die großen Linien-
führungen auch um die Kleinigikeitenmotive herum. Das ist in-
dessen nicht der Fall. Fast alle modernen Biograpliien sind mit
einer betonten Nervösität geschrieben. Sie sind kinematographisch
aufgenommen und gut geschnitten. Programmatische Sohlagworte
umkränzen das mit ihnen errichtete Standbild so dicht, daß es hinter
ihnen den Blicken des Lesers entschwindet. Eines der belieb-
testen ist die Geniekonstruktion aus dem Gehirnbefund. In den
alten Mausoleen setzte man das Herz der großen Toten in goldener
oder silberner Urne bei-. Die Sage vom Hcrzen iist überwundeti
worden, sie hat sioh als anatomisch unrichtig herausgestellt. Um
das Gehirn Lenins herum ist ein modernes Forschungsinstitut ge-
gründet worden. Man hat dieses Gehirn gehärtet, gefärbt und in
tausende von mikroskopischen Präparaten zerlegt, die uns das
Geheimnis verraten werden, woher die hohen Gedanken kommen
und woher die tiefen Gefühle. Mit der Bedcutung der Persönlich-
keit muß auch die ihrer Biographie aufhören. Man will erkennen,
daß auch die Größten der Vergangenheit nur Zufallsergebnisse der
Fortpflanzung der Masse Mensch gewesen sind, daß die Vorzüge
des Genies nicht hinreichend gesteigert, die Fehler diieser Vorzüge
nieht rechtzeitig beseitigt worden sind. Die Auffassung des Genies
als die eines technischen Produktes der Zeugung und dessen teoh-
nischer Weiterbildung muß notwendigerweise auf einen Standpunkt
führenl, von dem aus zwischen den Figuren eines prähistorischen
Museums und den bisherigen Gestaltungen des menschlichen Geistes,
die uns noch die hohen Persönlichkeiten verkörpern, beträchtliche
Unterschiede nicht aufzufinden sind. Die Biographen werden dann
noch ganz anders unter den geschichtlichen Vorurteilen aufzuräu-
men haben als sie es schon jetzt gewohnt sind. Den negativen
Biographien der Pamphletliteratur des 16. Jahrhunderts und den
moralischen Ehrenrettungen des 18. Jahrhunderts mit ihren grellen
Kontrastierungen von Gut und Böse, den archivalisch dokumentier-
ten Biographien des 19. Jahrhunderts sind die desorientierten Bio-
graphien des 20. Jahrhunderts gefolgt: So war es, weil es so wer-
den mußte und auch, wefl er nur so einem abstrahierten Typ ent-
spricht. Man iist weit davon entfernt, sich das Kunstwerk des
Lebens als ein organisches Werden auszudenken wie deir große
Naturahner Goethe. (Und keine Macht der Welt zerstückelt die
geprägte Form, die lebend sich entwickelt.) Und man is.t weit
davon entfernt, das Handeln im Drama des Menschenlebens als
tragische Spannung zu empfinden, jene aeschyläische Problematik,
in deren Mittelpunkt die Schicksalsfrage steht: Was soll ich tun?
(Aeschylos und das Handeln im Drama von
Bruno Shell. Leipzig, Dieterich, 1928, sei nach-
denklichen Lesern empfohlen; eine der gehaltvollsten philologischen
Untersuchungen, die sei.t Nietzsche geschrieben worden sind. Sie
führt auch an den eben nur angedeuteten Berühirungspunkt der
Kunst des Biographen mit der des Dramatikers, an jene Stelle, die
die modernen Biographen gern zum Ausganspunkt der Formgebung
ihrer Werke wählen.)

Die Helden des Herzens sind heute ebeno unbeliebt wie die
der reinen Vernunft. Unsere Verehrung gilt nur noeh dem Heroen-
tum des Utilitätsprinzips. Weder Don Quixote noch Sancho Pansa
haben Anspruch äuf biographische Beachtung, eher schon Sancho
Pansa und Toby. Biographisch richtig ist nur der Zielsichere,
nicht der Zielsucher, nur der Zweckformer. Die Biographen einer
Zeit verdeutlichen vortrefflich, was die Menschen einer Zeit am
Menschen bewundern, wo sie die verwandten Wesenszüge eines
Heldenlebens aufspüren wollen, um nach ihnen die eigenen zu for-
men. Jedermann ist ein Conjektural-Autobiogriaph, auoh wenn er
es sich nicht wie Jean Paul cingestehen will. Der Mephisto en minia-
ture ist momentan angesehener als die biographische Freskomalerei.
Und wenn der Held ein Faust ist, übernimmt sein Biograph die
Mephistorolle.

Die neueste Biographie ist beim Buchhändler zu erfragen.
Soll man im allgemeinen dic modernen „literarischen“ Biographien
charakterisieren — sie leigen Wert darauf, für schönwissenschaft-
liche und nicht für wissenschaftliche Lebensdeutun.gen gehalten zu

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