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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

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1./2. Maiheft
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Steinbart, Kurt: Experten-Instanz
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0396

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und lieute noch von prominenter Seite wird, ist nicht
um des Fehlenis der unbekannten Provenienz willen ein
grober Unfug, wohl aber darum, weit der Expert nur
die Schlußbilanz seiner Erwägiingen nennt und den
eigentiichen Beweis schuldig bleibt, auf den es für den
Interessenten um so mehr ankommt, als er meistens
Laie ist und ganz besonders dcr Aufklärung bedarf.
Schließlich muß in dem Urteil dcutlich etwas über die
Qualität venlauten, mag ein negativer Ausfall dem Ver-
käufer auch uicht gene'hm sein. Sich bei zweitrangigen
Objekten aus Mitgefühl oder anderen Motiven über den
wesentlichsten Punkt auszuschweigen, was ebenfalls
üblich ist, dünkt charakterlos und entwertet die Exper-
tise um ein Beträchtliches.

Aber auch unter Erfüllung sämtlicher aufgezeigter
Erfordernisse sind beiderlei genannte Gutachten nicht
als „objektiv“ zu nehmen. Immer handelt es sich letz-
ten Endes um eine subjektive Entscheidung, die, je rei-
cher der Expert mit Blickbegabung und Wissen aus-
gestattet ist, um so eigenwilliger erscheint, aber auch
— widerspruchsvoll —um so mehr der Wahrscheinlich-
keit nahe kommt. Gestehen wir uns damit Grenzen
unserer wissenschaftiichen Leistung und K’elativität un-
serer Maßstäbe ein, sind wir uns dessen bewußt, daß
jede Expertise in kürzester Zcit überholt, zumal dürch
neue Erkenntnisse verbessert werden kann, so brau-
chen wir dieselbc doch niclit für iltusorisch zu crklären.
Sie kann endgültig sein, sie brauclit es nicht. Und ist
sie nur Etappe fortschreitenden Wissens, blcibt sie zwar
nicht letztes, aber unentbehrliches Glied einer Vor-
steliungsreihe.

Trotzdem wird der berechtigte Wunsch nacli
Expertisen nicht verstummen. Dcr Drang des Publikums
in den Zeiten der Geldentwertung, Kunstwerke ais
Anlagepapiere zu erwerben, ist nicht der alleinige
Grund für das reger gewordcne Verlangen nach schrift-
liclien Sichcrheiten. Eiu sich lm letzten Jahrzehnt stark
wissenschaftlich orientierender Handel, dcr in enger
Fühlung mit Fachleuten steht und eine fundlerte, dem
Interessenten vorzuzeigende Bescheinigung schon aus
Gründen des Prestiges begehrt, hat nicht unwesentlich
dazu beigesteuert. Ist also die Expertise nicht zu um-
gehen, so wird man fügiich nacli Abwehrmitteln zu
suchen haben, um die unleugbarcn, im Vermögen jedes
noch so hoch entwickelten Subjektes ruhenden Schwä-
chen auf ein Minimum zu reduzieren. Die Erreichung
dieses Zieles erforderte ZusammenscMuß. Gleichsam
das Kollektiv-Subjekt, bestehend aus sämtliclien in- und
ausländischen Kennern, hätte allein das Keclit, Gut-
achten abzugeben, die größtdenkbare Genauigkeit ver-
sprächen. Existierte ein derart zusammengestztes
Gremium und wäre es um seine Meinung hinsichtlich
Dossenas Pisano und Wackers van Goghs befragt wor-
den, niemals, behaupte ich, Iiättc es einwandfreie Eclit-
heit attestiert. Nicht jetzt erst sind Zweifel an einigen
Bildern van Goglis aufgetäucht. Sie bestanden längst
von Mund zu Mund, ohne daß rnan seine Ansicht
schwarz auf weiß in die Oeffentiichkeit trug. Kommt

dann jemand, publiziert ein Standard-Werk, und in ihm
jenc van Goghs, so gilt das törichterweise als sakro-
sankt, gibt sich der Käufer keine Mühe mehr, andere mit
der Materie Vertraute zu konsultieren, und wiegt sicli
in schöne, ach so kurze Sicherheit. Abgesehen vom
Sammler hätte ein Befragen Wissender schon dern
Autor von vornhereiu die Möglichkeit geboten, die frag-
würdigen Bilder vau Goghs zum Mindesten als zweifel-
haft dem Oeuvre-Katalog einzuverleiben. Es fehlt an
gemeinsamer Arbeit. Ja, der Wissenschaftler weiß
beim besten Willen lräufig nicht einmal, wer sich mit
den gleichen Problemen wie er beschäftigt hat oder
geradc befaßt.

In die Praxis umgesetzt könnte dic geforderte Ge-
meinschaft grob umrrssen folgendermaßen tätig sein.
An einem Platze, der das stärkste Antreiben von Kunst-
werken aufzuweisen hat — es käme da wohl nur Berlin
in Frage — müßte ein vom Vertrauen der Mehrheit ge-
tragener, mcinetwegen gewählter, weitsichtiger,
organisatorisch begabter Kunsthistoriker in einem ge-
ringe Kosten verursachenden Büro seinen Sitz haben
und alle Auskunft Wtinschenden aus kunsthändlerischen
und privaten Kreisen würden nur au ihn verwiesen. Er
könnte von vornherein entscheiden, ob überhaupt eine
Bcgutachtung für den Interessenten in Frage kommt
— von hundert vorgelegten Stücken ist bekannter-
maßen nur ein verschwindend kleiner Teil beachtens-
wert — und würde dann auf Wunsch der Besitzer für
ein inöglichst ausgiebiges und genaues Zertifikat Sorge
zu tragen haben. Eine Karthotek, die mit der Zeit alle
Kenner, auch die gemeinhin unbekannten, aber
unschwer feststellbaren enthielte, böte ihm die Mög-
lichkeit, sich nunmehr mit mehreren einschlägigen Per-
sönlichkeiten in Verbindung zu setzen, die einzelnen
Urteile gegeneinander abzuwägen und aus ihnen die
endgültige Expertise zu gestellen. Bei Widersprüchen
in dcn Ansichten der Befragten wäre in gemeinsamen
Beratungen Klärung zu schaffen, wenn dies nicht mög-
lich, das disparate Ergebnis mit alleni Für und Wider
als ein vorläufiges auszuhändigen. Nebenher ginge eine
sorgfältige Registrierung der herausgehenden Exper-
tisen mit stichwortartfger Angabe ihrer Inhalte, und
zwar unter Hinzufügung guter Photographien, damit bei
der augenblicklichen Handhabung nachweisbare Irr-
tümer im Wiedererkennen später ctwa nochmals
präsentierter Objekte ausgeschlossen sind. Gleichzeitig
mag es empfehlenswert sein, fm Einvernehmen und in
Verbindung mit den zuständigen Stellen der Krimiual-
polizei Kunstdiebstähle materialgerecht zu sammeln,
um Aufdeckungen zu bescMeunigen und Arglose vor
Schaden zu bewahren. Die Zahlungen für die geliefer-
ten Zertifikate erfolgten direkt an die zentrale Stelle.
zumal selbstverständlich die Namen der jeweils zuge-
zogenen Experten nicht vermerkt wären, in einer Höhe,
die auf Grund gesammelter Erfahrungen zu fixicren,
labil zu halten und nach dem Umfang der geleisteten
Vorarbeiten zu bemessen wäre, und verteilten sich von
dort aus unter Zubiliigung einer kleinen Ouote für dic
Spesen des Hauptbüros an die geistigen Teilhaber. Mit

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