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Bezirk Schwetzingen [Hrsg.]; Amtsbezirk Philippsburg [Hrsg.]
Schwetzinger Wochenblatt: Amts-Verkündigungsblatt für den Bezirk Schwetzingen ; badische Hopfenzeitung — 1869

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No. 88
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https://doi.org/10.11588/diglit.29848#0357

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Freitag 30. Juli 1369.

Dritter Jahrgang.

X.a ^8.


Erscheint wöchentlich drei Mal nebst der belletristischen Beigabe S o n n t a g s b la tt. — Alle Postanstaltcn und Boten nehmen Bestellungen an. — Preis vierteljährlich 1 fl. 15 kr.
Anzeigen, die drcigespaltene Petitzeile oder deren Nauin 3 kr.

Die Jntriguen des Vicekönigs von
Aegypten
beleuchtet die „N. fr. Pr." in einem längeren Ar-
tikel wie folgt:
Heute wird Niemand mehr daran zweifeln,
daß Ismail Pascha nur darum Paris und Wien,
Berlin und London besuchte um die Stimmung der
europäischen Hofe in Betreff seiner ehrgeizigen Ab-
sichten kennen zu lernen. Weder der Vicekönig,
dem die Großherzogin von Gerolstein so wohl ge-
fällt, noch sein als ausgezeichneter Diplomat ge-
rühmter Premierminister haben bei dieser Son-
dirung eine besondere Schlauheit entwickelt. Man
errieth ihre Absichten und durchschaute, was die
Herren eigentlich wollten. Eine besonders ent-
gegenkommende Aufnahme dürften sie mit ihren
Projecten nirgends gefunden haben. Für die
Diplomatie liegt Aegypten in Europa; eine
Störung der dortigen Verhältnisse wäre eine
Störung des europäischen Friedens. Rebellirt der
Khedioe gegen den Sultan, so flammt die orien-
talische Frage in Hellem Brande auf. Welche
Macht außer Rußland könnte dies wünschen? Welche
sollte geneigt sein, Ismail Pascha in seinem Vor-
sätze zu bestärken? Allerdings ist der französische
Einfluß in Aegypten außerordentlich und man
könnte aus den Gedanken kommen, Napoleon III.
unterstütze die Loosreißungsgelüste des Vicekönigs.
Dieser baut für den kurzen Besuch der Kaiserin
Eugenie einen Palast. Denkt er vielleicht, der
kaiserliche Gemahl würde ihm zum Entgelt dafür
einen Thron bauen helfen? Das Geschäft wäre
nicht schlecht, und die Auslagen für den Empfang
Eugeniens würden sich in diesem Falle gut ver-
zinsen. Aber wir glauben nicht, daß Napoleon III.
Ismail Pascha gegen die Türkei beistehen würde.
Die orientalische Politik Frankreichs ist wegen der
Eifersucht auf England manchmal unberechenbar;

so vollständig jedoch wird sie ihren Ueberliefe-
rungen nicht untreu werden.
Wenn nian die Nachrichten liest, die gerade
jetzt über Ismail Pascha und sein Verhältnis; zu
der hohen Pforte umlaufen, so möchte man das
gerade Gegentheil dessen vermuthen, was nur eben
ausgesprochen. Es wimmelt von Mittheilungen
über die gute Gesinnung des Vicekönigs und von
seiner Absicht, nach Konstantinopel zn reisen und
den Sultan persönlich seiner Ergebenheit zn ver-
sichern. Das mag er thun; er wird dadurch
keinen Menschen überzeugen. Denn den schönen
Redensarten, welche der Khedive im Munde sührt
und durch seine Agenten verbreiten läßt, stehen
Thatsachen gegenüber, welche unumstößlich beweisen,
daß Jsmael Pascha den Abfall von der Türke im
Auge hat und sich zu diesem Zwecke rüstet. Ohne
Krieg, das erkennt er, wird es nicht abgehen;
znm Kriege bedarf er des Geldes. Er sucht sich
also Geld zu verschaffen, gleichviel um welchen
Preis. Voriges Jahr hat er die große ägyptische
Anleihe von dreihundert Millionen Franks auf die
europäischen Geldmärkte geworfen und, um die
Abnehmer günstig zu stimmen, ausdrücklich ver-
sprochen, daß er in den nächsten fünf Jahren
kein neues Anlehen contrahiren werde. Demun-
geachtet hat er soeben, wie uns von guter Hand
mitgetheilt wird, durch seinen Bankier in Paris,
Herrn Oppenheim, ein neues Anlehen von sechzig
Millionen Franks abgeschlossen. Diese Summe
ist dazu bestimmt, für militärische Rüstungen ver-
wendet zu werden nnd bei verschiedenen Waffen-
fabriken sind bereits große Bestellungen gemacht.
So verhält es sich mit der Loyalität Ismail
Paschas. Er will so lange Ergebenheit heucheln,
bis er hinlänglich gerüstet ist, um die Maske ab-
werfen und zur offenen Gewalt greifen zu können.
Rosen um das Pulverfaß und heimlich die Luuie

in Bereitschaft — das ist die ägyptische Polink
des Augenblicks.
Ismail Pascha hat also ans seiner Rundreise
wobl nur Enttäuschungen erlebt. Seinen beab-
sichtigten Besuch in Petersburg, wo er gleichge-
stimmte Seelen gefunden hätte, mußte er auf-
geben. Sei es, weil man ihn nicht empfallgcn
wollte, um dem zudringlichen Werber zu entgehen
— das Czarenthum spielt in solchen Fällen den
schüchternen Blöden — sei es, weil er einen
Wink aus Konstantinopel erhielt, man würde seine
Visite am russischen Hofe, den Verkehr des Va-
sallen mit den erklärten Todfeinden des Lehens-
herrn , nicht ungestraft hingehen lassen. Genug,
der Khedive verzichtete auf Rußland und zog sich
nach den Besuchen in Berlin und London wieder
in sein geliebtes Paris zurück, um fern von den
Regieruugssorgen die Blüthen abendländischer Cul-
tur pflücken zu können. Während dessen spann
sich aber die politische Jntrigue fort. Wie Louis
Napoleon während der Zeit, als er Artillerie-Offi-
zier irr der Schweiz war, lebte auch Ismail Pascha
nur scheinbar ganz dein Genüsse und den Freuden
der Weltstadt. In Wirklichkeit bereitete er Alles
vor, um seiue Pläne durchzusetzen, und Nubar
Pascha, der Impresario der ägyptische!! Unab-
hängigkeit arbeitete getreulich für seinen Herrn
und Meister. (Forts, folgt.)

O e ft r e i ch i s ch e BL o rr a rch i e.
Krarkatt, 2st. Juli. Am Dienstag den 20.
d., gelangte eine anonyme, augenscheinlich von
Frauenhand herrührende Anzeige an das hiesige
Strafgericht, daß in dem Kloster der Karmelitcr-
Barfüßleriunen eine Nonne Namens Barbara
Ubryk, feit einer Reihe von Jahren in finsterer
Zelle gewaltsamerweise einaespcrrt gehalten wird.
Der Vicepräsident des Strafgerichts, Ritter v.

Englische Wettrennen.

London, auf den Terbytag, 1869. Wenn dem
Londoner sein Derbytag genommen würde, der beliebteste unter
den vier Renntagen, so gäbe es sicher ein Unglück in der
Riesenstadt, wenn nicht gar offene Rebellion; so verpicht ist
er auf die Freuden dieses Festes. Was ist denn aber dieser
„Derby" wie der Engländer in seiner Neigung die Worte
abzukürzen oder überzuschlucken, sich lieber ausdrückt, was ist
an diesem Derby denn genauer bei Licht besehen, was ihn
so unentbehrlich macht für London? Ist es nur die Lust ani
Pferderennen, die Leidenschaft des Wettspiels, eine Vergnü-
gungssucht und Völlerei; oder ist nicht auch eine andere bessere
und darum mehr berechtigte Seite herauszufinden an diesem
national-englischen Volksfeste? Etwa die jedem Menschen be-
wußt oder unbewußt innewohnende Freude an der Natur,
das Bedürfniß, an einem schönen Frühjahrstage ferne von
der Stadt mit ihren meilenlangen endlosen Häuserreihen und
gepflasterten Straßen einmal etliche Stunden im Freien zu-
zubringen, in einer lieblichen Landschaft, so recht unmittel-
bar an dem allliebenden Busen der Mutter Erde, und die
ziemlich sichere Hoffnung, dieses so recht in vollen Zügen

thun zu können in den weiten Niederungen von Epsom, die
Raum bieten für Tausende und Aber-Tausende solch dür-
stender Menschenscelcn? Allerdings darf inan wohl den groß-
artigen und mehr noch den dauernden Erfolg der Feiertage
von Epsoin auf solche Motive mit zurückführen, ihn ableiten
aus einem in der Bevölkerung vorhandenen Bedürfniß nach
Sonnenschein und Blättergrün, nach Hügelland und Wiesen-
duft, lauter Tinge, die für die Bewohner der Weltstadt zu
den Seltenheiten gehören. Tenn hat's die Sonne auch eines
Morgen gut gemeint und ist früh aufgegangen über London
in frischem Hellem Glanze, so hat es doch meist bald wieder
ein Ende damit, sobald die Metropole sich erhebt von ihrer
kurzen Nachtruhe, und aus den Schloten von 400,000 Häusern
und vielleicht 50,000 Dampf-, Fabrik- rc. Schornsteinen je-
nen schwarzen Qualm über die um die Themse gruppirten
35 engl. Quardratmeilen, so da London heißen, in den
Tunstkreis entsendet, der dann alsoglcich wie ein graugclber
Nebel den Horizont einengt, obgleich außerhalb dieser Luft-
schicht die Sonne freundlich herniedcrscheinen kann auf Land
und Flur. Lägen die anmuthigen, wellenförmigen Nieder-
ungen von Epsoin nicht so weit ab südlich von London —
lüJ Stunden Eisenbahnfahrt von der City — und böten
sie eben nicht das, was sie allein in dieser Entfernung bieten
können: absolut freie von der Kultur noch nicht beleckte Na- ^

tur, rohe, ungcpflastcrte Wege, verhültnißmäßige Stille
Frühlingsluft und Wiescngrün, so wäre aus diesen Nennen
nie das geworden, was sie sind, das Volksfest einer Nation.
Dennoch gilt „nach dem Derby zu gehen", so volksthümlich
es ist, in vielen Kreisender guten Gesellschaft für ein kühnes
vielleicht etwas anrüchiges Unternehmen. Freilich, cs bc-
theiligen sich alle Schichten der Bevölkerung daran, und es
ist vom Herzog oder Lord im reich ausgcstatteten Rcise-
und Proviantwagen bis zu der alten Wahrsagerin im zer-
lumpten Kattunrock jeder Stand und jedes Gewerbe in
Duzenden und Tausenden von Vertretern auf dem Fcstplatze
anzutreffen. — Die sogenannten Derby-oder Epsom-Nennen
vertheilen sich auf 4 Tage; wer sich für den zweiten, den
eigentl. Terbytag, der die Hauptrolle spielt, ein Fuhrwerk
sichern will, hat sich bei Zeiten zu entschließen, wenn er mit
4—5 Guineen frei kommen will, später ist selbst unter Brü-
dern ein viersiziger Wagen seine 10—12 Guineen Werth und
er findet immer noch Nehmer zu diesem Preise. Da;ür gilt
er dann den ganzen Tag nicht blos als Fortbewegungs-
maschine, sondern auch als Wohn-, Eß- und allenfalls auch
Schlafzimmer für solche, die müde oder marode werden.
In vielen Hunderten sieht man auch die vierspännigen Om-
nibuse mit geschlossenen Gesellschaften von 25—30 Personen,
; dann die Equipagen der Aristokratie mit 2 oder 4 Pferden
 
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