Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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Heft 3
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DOI Artikel:Lamprecht, Theodor: Der deutsche Krieg und die deutsche Kunst
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Vereinsorgan 6er Allgemeinen veullcken Runllgenolsensckafl,
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Berliner llünliler uncl cler 8. O. kl. 6. zu kerlin.
XIV. Jakrgang.
k)elt 3.
19. Oktober 1914
Redaktioneller ^eil.
Der ckeull^e Krieg unck ckie äeullcbe Kunlt
von Theodor Lamprecht.
I.
Als der große Krieg ausbrach, da hatten viele
Deutsche, aller Gefahren und Schrecken unerachtet,
mit denen er drohte, ein Gefühl der Erleichterung.
Zu groß war der politische Druck geworden, unerträg-
lich das Bewußtsein, überall umlauert und umstellt
zu werden, unerschütterlich die Überzeugung, daß eine
Auseinandersetzung schließlich doch unvermeidlich sei.
So wirkte der Kriegsausbruch wie eine Erlösung.
Es klingt wunderlich genug, aber ich bin überzeugt,
daß er etwas ähnliches auch für die deutsche Kunst
bedeutet. Auch hier waren die Zustände am Ende so
unnatürlich, so verworren, so unhaltbar geworden,
daß ein Ausweg mcht mehr zu erkennen war. Eine
neue höhere Gewalt mußte in Kraft treten, um freie
Bahn zu schaffen. Sie trat in Kraft: der Krieg.
Ich spreche hier in erster Linie von den Verhältnissen
auf dem Gebiete der Malerei. Ich weiß es wohl, daß
begeisterte Adepten, besonders aus den jüngeren Se-
mestern, unermüdlich der Welt verkündeten, wir steuer-
ten geradenweges einer großen Blüte der deutschen
Malerei entgegen, ständen wohl gar schon mitten drin.
Lassen wir diese Versicherungen und Auffassungen auf
sich beruhen- mir kommt es hier auf ein anderes an,
und das kann selbst der fanatischste Modernissimus
nicht wohl bestreiten. Das ist: die modernste deutsche
Malerei stand dem deutschen Leben völlig fern. Sie
hatte die Beziehung, die Wechselwirkung mit ihm ver-
loren. Sie lebte nicht mit ihm, sie hatte ihm nichts zu
geben. Sie war sogar stolz darauf: endlich einmal, so
hörten wir, wolle sich eine reine Kunst bilden, un-
versetzt von Beimischungen aus anderen Lebens-
sphären. Eine Kunst der absoluten Form, eine Kunst
des absoluten Gefühls und wie all die schönen Zormeln
lauteten, die mich in ihrer Unwirklichkeit immer an
die Programme der „Pazifisten" erinnert haben. Oie
absolute Form und der Weltfrieden — sie sind gleicher-
weise Konstruktionen eines durch und durch unwirk-
lichen, blutleeren Denkens.
Natürlich sind auch in der modernen Kunst psycho-
logische Kräfte und Tendenzen wahrzunehmen, die
wir im Geistes- und Seelenleben unserer Zeit über-
haupt wahrnehmen. Oer Künstler ist ja auch nur ein
Mensch und Zeitgenosse sozusagen, obgleich ihn eine
verstiegene Ästhetik am liebsten zu einem Homunkulus
von einer Organisation jenseits des Menschlichen prä-
parieren möchte. Ich rechne zu diesen Tendenzen die
im Kunsttreiben und Kunstschaffen der jüngsten Jahr-
zehnte wahrnehmbare unstillbare Ruhelosigkeit des
Experimentierens. Den hochgesteigerten Spannungs-
zustand, der kein Beharren, Ausschöpfen, Ausnutzen
zuließ, sondern immer nach Neuestem verlangte. Oie
der modernen Technik verwandte Neigung, die Pro-
bleme völlig zu isolieren, zu absolut eindeutigen For-
meln zu gelangen.
Aber hier gerade lag die Gefahr. Was der Tech-
niker kann, kann der Künstler nicht. Das Werk der
Technik trägt die Erfüllung seiner Bestimmung in sich