Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0605
DOI issue:
Heft 48
DOI article:Nichtamtlicher Teil
DOI article:Arriens, Carl: Der Neger und seine Umgebung in der Kunst
DOI article:Paul Meyerheim †
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XIV, Heft §8.
Die Werkstatt der Kunst.
597
enorme höhe erreichende Steppenpalme hat mit ihrem
in dreiviertel höhe des Stammes spindelförmig ver-
dickten Stamm und ihrer hübschen Fächerkrone ganz
außerordentlich schöne Proportionen. Ihre Wedel
sind oftmals mit Hunderten von Webervogelnestern
behängt, und so ein mit Tausenden durcheinander-
quietschender kanariengelber Vögel besetzter Baum
gewährt einen unvergeßlichen Anblick, von beson-
ders malerisch wirkenden Bäumen möchte ich noch
den Drachenbaum erwähnen, der beiläufig die in der
Malerei verwendete rote Drachenblutfarbe liefert.
Man sieht ihn, kleine Lichtungen im dichtesten Urwald
begrenzend, an heiligen Plätzen künstlich angepflanzt,
und er verleiht diesen Plätzen ein wahrhaft feier-
liches, zugleich düster unheimliches Ansehen, das üb-
rigens mit dem ursprünglichen Zweck dieser Plätze
ganz im Einklang steht, hier wurden nämlich im
Laufe früherer Zeit Hekatomben von Menschen ge-
opfert. Die hohen schlanken, wie Schlangen sich durch-
und umeinanderwindenden Stämme gabeln sich oben
vielfältig und tragen kompakte dunkelgrüne Blattbüschel.
Auf Photographien aus den Kolonien sieht man
vielfach den Baobab- oder Affenbrotbaum abgebildet,
der mit seinem riesigen Stammesumfang, man möchte
fast sagen Leibesumfang einer der imponierendsten
Bäume der Erde ist. Er ist nur in der Nähe be-
stehender oder ehemaliger Ortschaften zu finden, oft
schmückt und beschattet er in Riesenexemplaren die
Dorfplätze, wie bei uns die altehrwürdige Linde.
Jung sieht er ganz unauffällig aus, erst in hohem
Alter, wenn der Stamm des nicht sehr hohen Baumes,
der zerklüftet und weißgrau ist, seinen fabelhaften
Umfang angenommen hat, gelangt er zu malerischer
Wirkung. Die meiste Zeit des Jahres ist sein knor-
riges Gezweig kahl, und zahlreiche kopfgroße grüne
Früchte, die an langen Strippen hängen, verleihen
ihm ein bizarres Ansehen. Dutzende von Geiern
thronen gern auf seinen Aesten.
Wo die Menschheit noch nicht von den schreiend
bunten Produkten europäischer Kattunfabrikation heim-
gesucht ist, fügt sie sich dieser Natur in außerordent-
lich harmonischer Weise ein. In manchen Gegenden
herrscht indigoblaue Gewandung vor, und so ein
Marktplatz, wo Gestalten, Boden, Mauern, Dächer in
warmen gelben bis dunkel rotbraunen Tönen variieren,
von all den lebhaft blauen und nur vereinzelten
starkfarbigen Effekten unterbrochen, wirkt koloristisch
ganz reizend. In andern Gegenden im Innern ist
die farbige Wirkung wieder eigenartig anders. Statt
mit Indigo ist alles Zeug mit der schönen rostartigen
Notholzfarbe gefärbt. Die „dunkelweißen", reich
ornamentierten Toben der Männer haben durchs
Tragen soviel von der warmen Lrdfarbe angenommen,
daß sie nur den hellsten Ton in diesem einheitlichen
Farbenklang bilden. Auch die Lederbekleidung und
die rotbraunen Gewänder aus Baumrinde harmonieren
sehr schön mit Hautfarbe und Umgebung.
Ein Eldorado für Bildhauer bieten die Gegenden,
wo die Bevölkerung noch ganz im paradisischen Zu-
stand lebt. Es ist oft hervorgehoben, daß gerade
diese Leute moralisch auf einer höheren Stufe stehen
als andere Stämme, die viel Kleiderprunk entfalten,
von den Hosenniggern gar nicht zu reden. Ich war
wie meine Reisegefährten tatsächlich neugierig, auf
eine solche Umgebung, als wir uns der volkreichen
Stadt Djen (am oberen Benue*)) näherten. Aber
nach dem ersten fremdartigen Eindruck zerrann die
Sensation in nichts, und diese „Tracht" kam uns wie
die natürlichste Sache von der Welt vor. Das machte
nicht nur die den Eindruck der Nacktheit kaum auf-
kommen lassende braune Hautfarbe, von der der blaue
Perlenschmuck so hübsch absticht, sondern noch mehr
die harmlose Natürlichkeit und Ungezwungenheit der
Bewegungen in Verbindung mit schöner Körperhaltung.
Diese perlengeschmückten glatten Mädchengestalten und
die muskelstrotzenden Figuren dieser langen Wilden
müssen für jeden, der einmal beim Aktstudium sich
ernstlich mühte, ein fesselnder Anblick sein. Das war
auch schon der erste Gedanke unseres alten Lhamisso,
der bei der Schilderung seiner ersten Begegnung mit
nackten Südseeinsulanern entzückt ausruft: „Wenn
das doch so mancher unserer Künstler sehen könnte!"
*) Bi-nu-e, Königin der Gewässer, größter Nebenstrom
des Niger.
Vaul Meyerkeirn
Mit dem am 14. September in seinem heim in
der hildebrandstraße im Alter von 74 Jahren ver-
storbenen Tier- und Genremaler Paul Meyerheim
hat die Berliner Kunstwelt eine ihrer stärksten Per-
sönlichkeiten verloren, vor nahezu einem halben
Jahrhundert hatte er sich nach seinen Lehr- und
Wanderjahren in der Reichshauptstadt niedergelassen,
und den erst siebenundzwanzigjührigen Künstler wählte
die Berliner Akademie der Künste zu ihrem Mitglieds.
Er hatte, selbst ein starkes malerisches Talent, das
Glück, in einem Künstlerhause aufzuwachsen, und als
er siebzehnjährig die Akademie bezog, war er bereits
ein fertiger Künstler und konnte mit 18 Jahren sein
erstes Bild ausstellen. Er besaß stets eine Vorliebe
für exotische Tiere und beobachtete schon als Knabe
ihre Gewohnheiten im Berliner Zoologischen
Garten, dessen ständischer Besucher er bis zu seinem
Tode blieb. Schon 1865 brachte ihm in Paris seine
Menagerie mit dem Schlangenbändiger die Goldene
Medaille. Im gleichen Jahr trieb es ihn hinaus
in die Welt. Er begann eine größere Studienreise
durch Holland und Belgien und malte im Atelier des
befreundeten Heiligenmalers Jean Swertz in Ant-
werpen seine ersten Affenbilder. Als er nach Paris
kam, fand er des alleinseligmachenden Meisters Loutures
Atelier geschlossen und nahm sich ein eigenes. Im
Frühling zog es ihn hinaus nach Barbizon im Walde
von Fontainebleau, wo damals die großen Meister
Die Werkstatt der Kunst.
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enorme höhe erreichende Steppenpalme hat mit ihrem
in dreiviertel höhe des Stammes spindelförmig ver-
dickten Stamm und ihrer hübschen Fächerkrone ganz
außerordentlich schöne Proportionen. Ihre Wedel
sind oftmals mit Hunderten von Webervogelnestern
behängt, und so ein mit Tausenden durcheinander-
quietschender kanariengelber Vögel besetzter Baum
gewährt einen unvergeßlichen Anblick, von beson-
ders malerisch wirkenden Bäumen möchte ich noch
den Drachenbaum erwähnen, der beiläufig die in der
Malerei verwendete rote Drachenblutfarbe liefert.
Man sieht ihn, kleine Lichtungen im dichtesten Urwald
begrenzend, an heiligen Plätzen künstlich angepflanzt,
und er verleiht diesen Plätzen ein wahrhaft feier-
liches, zugleich düster unheimliches Ansehen, das üb-
rigens mit dem ursprünglichen Zweck dieser Plätze
ganz im Einklang steht, hier wurden nämlich im
Laufe früherer Zeit Hekatomben von Menschen ge-
opfert. Die hohen schlanken, wie Schlangen sich durch-
und umeinanderwindenden Stämme gabeln sich oben
vielfältig und tragen kompakte dunkelgrüne Blattbüschel.
Auf Photographien aus den Kolonien sieht man
vielfach den Baobab- oder Affenbrotbaum abgebildet,
der mit seinem riesigen Stammesumfang, man möchte
fast sagen Leibesumfang einer der imponierendsten
Bäume der Erde ist. Er ist nur in der Nähe be-
stehender oder ehemaliger Ortschaften zu finden, oft
schmückt und beschattet er in Riesenexemplaren die
Dorfplätze, wie bei uns die altehrwürdige Linde.
Jung sieht er ganz unauffällig aus, erst in hohem
Alter, wenn der Stamm des nicht sehr hohen Baumes,
der zerklüftet und weißgrau ist, seinen fabelhaften
Umfang angenommen hat, gelangt er zu malerischer
Wirkung. Die meiste Zeit des Jahres ist sein knor-
riges Gezweig kahl, und zahlreiche kopfgroße grüne
Früchte, die an langen Strippen hängen, verleihen
ihm ein bizarres Ansehen. Dutzende von Geiern
thronen gern auf seinen Aesten.
Wo die Menschheit noch nicht von den schreiend
bunten Produkten europäischer Kattunfabrikation heim-
gesucht ist, fügt sie sich dieser Natur in außerordent-
lich harmonischer Weise ein. In manchen Gegenden
herrscht indigoblaue Gewandung vor, und so ein
Marktplatz, wo Gestalten, Boden, Mauern, Dächer in
warmen gelben bis dunkel rotbraunen Tönen variieren,
von all den lebhaft blauen und nur vereinzelten
starkfarbigen Effekten unterbrochen, wirkt koloristisch
ganz reizend. In andern Gegenden im Innern ist
die farbige Wirkung wieder eigenartig anders. Statt
mit Indigo ist alles Zeug mit der schönen rostartigen
Notholzfarbe gefärbt. Die „dunkelweißen", reich
ornamentierten Toben der Männer haben durchs
Tragen soviel von der warmen Lrdfarbe angenommen,
daß sie nur den hellsten Ton in diesem einheitlichen
Farbenklang bilden. Auch die Lederbekleidung und
die rotbraunen Gewänder aus Baumrinde harmonieren
sehr schön mit Hautfarbe und Umgebung.
Ein Eldorado für Bildhauer bieten die Gegenden,
wo die Bevölkerung noch ganz im paradisischen Zu-
stand lebt. Es ist oft hervorgehoben, daß gerade
diese Leute moralisch auf einer höheren Stufe stehen
als andere Stämme, die viel Kleiderprunk entfalten,
von den Hosenniggern gar nicht zu reden. Ich war
wie meine Reisegefährten tatsächlich neugierig, auf
eine solche Umgebung, als wir uns der volkreichen
Stadt Djen (am oberen Benue*)) näherten. Aber
nach dem ersten fremdartigen Eindruck zerrann die
Sensation in nichts, und diese „Tracht" kam uns wie
die natürlichste Sache von der Welt vor. Das machte
nicht nur die den Eindruck der Nacktheit kaum auf-
kommen lassende braune Hautfarbe, von der der blaue
Perlenschmuck so hübsch absticht, sondern noch mehr
die harmlose Natürlichkeit und Ungezwungenheit der
Bewegungen in Verbindung mit schöner Körperhaltung.
Diese perlengeschmückten glatten Mädchengestalten und
die muskelstrotzenden Figuren dieser langen Wilden
müssen für jeden, der einmal beim Aktstudium sich
ernstlich mühte, ein fesselnder Anblick sein. Das war
auch schon der erste Gedanke unseres alten Lhamisso,
der bei der Schilderung seiner ersten Begegnung mit
nackten Südseeinsulanern entzückt ausruft: „Wenn
das doch so mancher unserer Künstler sehen könnte!"
*) Bi-nu-e, Königin der Gewässer, größter Nebenstrom
des Niger.
Vaul Meyerkeirn
Mit dem am 14. September in seinem heim in
der hildebrandstraße im Alter von 74 Jahren ver-
storbenen Tier- und Genremaler Paul Meyerheim
hat die Berliner Kunstwelt eine ihrer stärksten Per-
sönlichkeiten verloren, vor nahezu einem halben
Jahrhundert hatte er sich nach seinen Lehr- und
Wanderjahren in der Reichshauptstadt niedergelassen,
und den erst siebenundzwanzigjührigen Künstler wählte
die Berliner Akademie der Künste zu ihrem Mitglieds.
Er hatte, selbst ein starkes malerisches Talent, das
Glück, in einem Künstlerhause aufzuwachsen, und als
er siebzehnjährig die Akademie bezog, war er bereits
ein fertiger Künstler und konnte mit 18 Jahren sein
erstes Bild ausstellen. Er besaß stets eine Vorliebe
für exotische Tiere und beobachtete schon als Knabe
ihre Gewohnheiten im Berliner Zoologischen
Garten, dessen ständischer Besucher er bis zu seinem
Tode blieb. Schon 1865 brachte ihm in Paris seine
Menagerie mit dem Schlangenbändiger die Goldene
Medaille. Im gleichen Jahr trieb es ihn hinaus
in die Welt. Er begann eine größere Studienreise
durch Holland und Belgien und malte im Atelier des
befreundeten Heiligenmalers Jean Swertz in Ant-
werpen seine ersten Affenbilder. Als er nach Paris
kam, fand er des alleinseligmachenden Meisters Loutures
Atelier geschlossen und nahm sich ein eigenes. Im
Frühling zog es ihn hinaus nach Barbizon im Walde
von Fontainebleau, wo damals die großen Meister