Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0607
DOI issue:
Heft 48
DOI article:Nichtamtlicher Teil
DOI article:Ganske, Willy: Adolf Oberländer: zu seinem 70. Geburtstag
DOI article:Ganske, Willy: Andreas Achenbach: zu seinem hundertsten Geburtstag
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XIV, Heft 48.
Die Werkstatt der Kunst.
599
Wochenschrift befreit, noch eine viel tiefere Wirkung
aus. Der Kunstgelehrte Bayersdorfer hat Gber-
länders Kunst mit Recht eine „seherhafte Physio-
gnomik" genannt. Die Figuren des Künstlers be-
sitzen Leben, und nur vereinzelt sind sie ins Groteske
verzerrt. Oft gibt er naturalistische Bilder der
Wirklichkeit. So in dem köstlichen Blatt „Hausrecht",
wo der Mann sich vorsichtigerweise unter dem Tisch
verkrochen hat, und die schon ältliche Gattin ihn
mit dem Feuerhaken in der Hand zum Herauskommen
auffordert. Viele seiner humorvollen Schöpfungen
stehen unvergänglich im Gedächtnis des Deutschen
Volkes. Fabelhaft ist der menschliche Gesichtsausdruck
in den wilden Tieren des „Viehmarktes von Tim-
buktu". Das urkomische mit breitem Maul grinsende
Nilpferd steht neben dem Löwen in seiner theatra-
lischen Pose und das mißvergnügte Rhinozeros blickt
mit wehmütigen Augen und gefesselter Schnauze in
die Welt. Auf der Tafel in der Mitte steht: „Rian
bittet dem Löwen nicht auf den Schweif zu treten".
Der Meister auf dem Gebiet der Tierkarikatur, der
mit seinen Enten, Fröschen und Elefanten, Heringen,
Hunden und Hühnern ungeahnte Humorwirkungen
ausläst, hat alles geschildert, was da kreucht und
fleucht. Seine Leutnants und Parvenüs, seine Bauern,
Pfaffen, Studenten, Geschäftsreisenden, Gigerln,
Kaffeeschwestern und Pennbrüder erheitern den Be-
schauer mit bezwingender Kraft. Von zwerchfell-
erschütternder Wirkung ist der groteske „Konzert-
bildhauer", dessen Zuschauer sich in Todesangst vor
den umherfliegenden Steinsplittern hinter den Stuhl-
lehnen verkriechen. Und dieser Mann, der die Lach-
muskeln der ganzen Welt in Bewegung gesetzt hat,
ist eine zurückgezogene, beschauliche Natur, ein
Menschenkenner, der einsam seine Wege geht und
nur immer schaut, wer sein Bildnis von Franz
von Lenbachs Meisterhand mit den großen, klaren
und tiefen Augen sieht, kann einen Blick in die
Seele dieses Künstlers tun, dessen schalkhafte Ueber-
treibungen stets von menschlicher Güte erfüllt sind.
Lr ist glänzend in der Komposition und in vielen
seiner Zeichnungen stecken Ansätze zu Bildern, die
verdienten farbig und größer gemalt zu werden.
Daß er aber nicht nur mit der Feder zeichnen kann,
hat er damit bewiesen, daß er in den letzten ^5 Zähren
wieder als Maler auf den plan getreten ist. Der
Erfolg dieser zweiten Malperiode war so groß, daß
man des Künstlers Bilder heute in vielen Museen
findet. Das Gemälde „Humor und Schwerfällig-
keit" hängt im Kaiser-Friedrich-Museum zu Magde-
burg, die „Siesta" in der Galerie zu Dresden, das
Bild „Auf derHimmelswiese" in der Berliner National-
galerie. Die Münchener Pinakothek besitzt das
Werk „Resignation" und der Verein für historische
Kunst in Berlin erwarb „Noahs Weinschenke".
Zn den Ausstellungen der Berliner Sezession war
Oberländer seit Zähren mit Bildern von zarter
elegischer Stimmung vertreten, die besonders im
landschaftlichen ein schlichtes Naturgefühl verraten.
Die Stadt Berlin kaufte im vorigen Zahre das
Bild „Am Bach". Griginalzeichnungen des Künstlers
haben die Graphische Sammlung in München und
die Berliner Nationalgalerie erworben.
Unter den größeren Folgen des Künstlers haben
die primitiven „Randzeichnungen des kleinen Moritz"
viel Heiterkeit entfesselt. Seine Technik in diesen
lustigen Einfällen erinnert an die Treffsicherheit
uralter Zeichnungen von Höhlenbewohnern der Stein-
zeit. Als liebenswürdiger Satiriker ist Oberländer'
in dem Zyklus „Alt-Athen und Zsar-Athen" aufgetreten
und geradezu geniale Malerparodien gab er in dem
Zyklus der „Kuß", in dem er die Manier von
Menzel, Genelli, Tadema, Rethel, Lourbet und an-
deren glücklich persifliert. Zm ersten flüchtigen Mo-
ment der Betrachtung wirkt die Rethelparodie wie
eine Originalarbeit dieses Meisters.
Anckreas Ackenback
zu seinem hundertsten Geburtstag,
von G. Koldeman
Als der Düsseldorfer Landschaftsmaler Andreas
Achenbach am f. April f9^0 im fünfundneunzig-
sten Lebensjahre starb, hatte er eine künstlerische
Schaffenszeit von zweiundachtzig Zähren vollendet.
Zwölfjährig war der am 29. September zu
Karlsruhe geborene Künstler bereits in der Düssel-
dorfer Akademie eingetreten. Sein Vater hatte sich
nach vorübergehendem Aufenthalt in Petersburg
l823 in Düsseldorf als Kaufmann niedergelassen.
Der Akademiebesuch unter Leitung von Schadow
und Schirmer zeitigte, trotzdem der Knabe ein un-
gewöhnlich starkes Zeichentalent besaß, anfangs
nicht die erwünschten Ergebnisse, und so verließ er
früh die Akademie und bildete sich autodidaktisch
weiter. Der Kunstverein für die Rheinlands kaufte
dem kaum ^4jährigen Kunstbeflifsenen ein Bild ab
z.
und weitere Erfolge ermöglichten ihm eine Studien-
reise nach der Nordsee und Ostsee zu machen. Auf
dieser Reise, die ihn in Begleitung seines Vaters
über Rotterdam, Scheveningen, Amsterdam durch
die Nordsee nach Hamburg und von dort nach Riga
führte, lernte er die alten holländischen Landschafter
kennen, die ihn auch später stark beeinflußt haben.
Hobbema, Ruysdael und von Lverdingen, die selbst
ihre Stoffe im westfälischen Münsterlande gesucht ha-
ben, galten ihm als vorbildlich. Lr ließ sich durch
weitere Erfolge nicht blenden und trat wieder in
Düsseldorf in die Landschafterklasse Wilhelm Schir-
mers ein, dem die peinliche Durchführung des Zeich-
nerischen die Hauptsache war, während die Farbe
bei ihm erst in der zweiten Linie stand. Achenbach
hat bald mir dieser romantischen Landschaftskunst
Die Werkstatt der Kunst.
599
Wochenschrift befreit, noch eine viel tiefere Wirkung
aus. Der Kunstgelehrte Bayersdorfer hat Gber-
länders Kunst mit Recht eine „seherhafte Physio-
gnomik" genannt. Die Figuren des Künstlers be-
sitzen Leben, und nur vereinzelt sind sie ins Groteske
verzerrt. Oft gibt er naturalistische Bilder der
Wirklichkeit. So in dem köstlichen Blatt „Hausrecht",
wo der Mann sich vorsichtigerweise unter dem Tisch
verkrochen hat, und die schon ältliche Gattin ihn
mit dem Feuerhaken in der Hand zum Herauskommen
auffordert. Viele seiner humorvollen Schöpfungen
stehen unvergänglich im Gedächtnis des Deutschen
Volkes. Fabelhaft ist der menschliche Gesichtsausdruck
in den wilden Tieren des „Viehmarktes von Tim-
buktu". Das urkomische mit breitem Maul grinsende
Nilpferd steht neben dem Löwen in seiner theatra-
lischen Pose und das mißvergnügte Rhinozeros blickt
mit wehmütigen Augen und gefesselter Schnauze in
die Welt. Auf der Tafel in der Mitte steht: „Rian
bittet dem Löwen nicht auf den Schweif zu treten".
Der Meister auf dem Gebiet der Tierkarikatur, der
mit seinen Enten, Fröschen und Elefanten, Heringen,
Hunden und Hühnern ungeahnte Humorwirkungen
ausläst, hat alles geschildert, was da kreucht und
fleucht. Seine Leutnants und Parvenüs, seine Bauern,
Pfaffen, Studenten, Geschäftsreisenden, Gigerln,
Kaffeeschwestern und Pennbrüder erheitern den Be-
schauer mit bezwingender Kraft. Von zwerchfell-
erschütternder Wirkung ist der groteske „Konzert-
bildhauer", dessen Zuschauer sich in Todesangst vor
den umherfliegenden Steinsplittern hinter den Stuhl-
lehnen verkriechen. Und dieser Mann, der die Lach-
muskeln der ganzen Welt in Bewegung gesetzt hat,
ist eine zurückgezogene, beschauliche Natur, ein
Menschenkenner, der einsam seine Wege geht und
nur immer schaut, wer sein Bildnis von Franz
von Lenbachs Meisterhand mit den großen, klaren
und tiefen Augen sieht, kann einen Blick in die
Seele dieses Künstlers tun, dessen schalkhafte Ueber-
treibungen stets von menschlicher Güte erfüllt sind.
Lr ist glänzend in der Komposition und in vielen
seiner Zeichnungen stecken Ansätze zu Bildern, die
verdienten farbig und größer gemalt zu werden.
Daß er aber nicht nur mit der Feder zeichnen kann,
hat er damit bewiesen, daß er in den letzten ^5 Zähren
wieder als Maler auf den plan getreten ist. Der
Erfolg dieser zweiten Malperiode war so groß, daß
man des Künstlers Bilder heute in vielen Museen
findet. Das Gemälde „Humor und Schwerfällig-
keit" hängt im Kaiser-Friedrich-Museum zu Magde-
burg, die „Siesta" in der Galerie zu Dresden, das
Bild „Auf derHimmelswiese" in der Berliner National-
galerie. Die Münchener Pinakothek besitzt das
Werk „Resignation" und der Verein für historische
Kunst in Berlin erwarb „Noahs Weinschenke".
Zn den Ausstellungen der Berliner Sezession war
Oberländer seit Zähren mit Bildern von zarter
elegischer Stimmung vertreten, die besonders im
landschaftlichen ein schlichtes Naturgefühl verraten.
Die Stadt Berlin kaufte im vorigen Zahre das
Bild „Am Bach". Griginalzeichnungen des Künstlers
haben die Graphische Sammlung in München und
die Berliner Nationalgalerie erworben.
Unter den größeren Folgen des Künstlers haben
die primitiven „Randzeichnungen des kleinen Moritz"
viel Heiterkeit entfesselt. Seine Technik in diesen
lustigen Einfällen erinnert an die Treffsicherheit
uralter Zeichnungen von Höhlenbewohnern der Stein-
zeit. Als liebenswürdiger Satiriker ist Oberländer'
in dem Zyklus „Alt-Athen und Zsar-Athen" aufgetreten
und geradezu geniale Malerparodien gab er in dem
Zyklus der „Kuß", in dem er die Manier von
Menzel, Genelli, Tadema, Rethel, Lourbet und an-
deren glücklich persifliert. Zm ersten flüchtigen Mo-
ment der Betrachtung wirkt die Rethelparodie wie
eine Originalarbeit dieses Meisters.
Anckreas Ackenback
zu seinem hundertsten Geburtstag,
von G. Koldeman
Als der Düsseldorfer Landschaftsmaler Andreas
Achenbach am f. April f9^0 im fünfundneunzig-
sten Lebensjahre starb, hatte er eine künstlerische
Schaffenszeit von zweiundachtzig Zähren vollendet.
Zwölfjährig war der am 29. September zu
Karlsruhe geborene Künstler bereits in der Düssel-
dorfer Akademie eingetreten. Sein Vater hatte sich
nach vorübergehendem Aufenthalt in Petersburg
l823 in Düsseldorf als Kaufmann niedergelassen.
Der Akademiebesuch unter Leitung von Schadow
und Schirmer zeitigte, trotzdem der Knabe ein un-
gewöhnlich starkes Zeichentalent besaß, anfangs
nicht die erwünschten Ergebnisse, und so verließ er
früh die Akademie und bildete sich autodidaktisch
weiter. Der Kunstverein für die Rheinlands kaufte
dem kaum ^4jährigen Kunstbeflifsenen ein Bild ab
z.
und weitere Erfolge ermöglichten ihm eine Studien-
reise nach der Nordsee und Ostsee zu machen. Auf
dieser Reise, die ihn in Begleitung seines Vaters
über Rotterdam, Scheveningen, Amsterdam durch
die Nordsee nach Hamburg und von dort nach Riga
führte, lernte er die alten holländischen Landschafter
kennen, die ihn auch später stark beeinflußt haben.
Hobbema, Ruysdael und von Lverdingen, die selbst
ihre Stoffe im westfälischen Münsterlande gesucht ha-
ben, galten ihm als vorbildlich. Lr ließ sich durch
weitere Erfolge nicht blenden und trat wieder in
Düsseldorf in die Landschafterklasse Wilhelm Schir-
mers ein, dem die peinliche Durchführung des Zeich-
nerischen die Hauptsache war, während die Farbe
bei ihm erst in der zweiten Linie stand. Achenbach
hat bald mir dieser romantischen Landschaftskunst