Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0228
DOI issue:
Heft 19
DOI article:Redaktioneller Teil
DOI article:Worte Hans Thomas über französische und deutsche Kunst
DOI article:Frobenius, Hermann: Weltkrieg, Weltempfinden und nationaler Stil
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Die Werkstatt der Kunst.
XIV, Heft 49.
die höchste, weil neueste Weisheit in der Malerei
sei, erfuhr ich mit Staunen! Daß die Netzhaut dies
alles wieder vereinigen soll, sagte man mir auch
— aber meine Netzhaut versagte. Ls ist geradezu
traurig, wie ganz talentvolle Leute vor solcher win-
digkeit allen künstlerischen Halt verlieren. Ueber
Manet, Monet, Degas, Munch durste man ja gar
nicht mehr mucksen, wenn man nicht als Barbar
gelten wollte, und die spitzfindigsten unserer Kunst-
gelehrten gingen auf den Leim. Spitzfindigkeit fin-
det Spitzfindigkeit! was ist darüber Unsinn ge-
schrieben worden! Man war versucht, zu glauben,
es habe bisher in der Welt noch keine Kunst gegeben,
bis das Momentane in der Malerei erfunden wor-
den ....
Ls streift ja schon an das Komische, wenn es
nicht gar traurig wäre, daß es in Deutschland fast
als ein Wagnis erscheint, wenn man Dürer Führer
in der Kunst nennt — diese doch so selbstverständ-
liche Sache, woher kommt es nur, daß den Ma-
lern Dürer nicht ein solcher Grundstein ist, wie es
Bach den Musikern ist? welche Einflüsse sind es
denn, die den Deutschen das Allerdeutscheste immer
wieder verhüllen, aus die Seite schieben?? . . . .
Der Sinn für den deutschen Humor ist sowieso fast
erloschen — bösartiger Witz und giftige Entrüstung
ist an seine Stelle getreten in der Geffentlichkeit,
d. h., es ist alles brutal geworden... Ls ist schon
wichtig, dafür zu sorgen, daß das deutsche Gemüts-'
leben, was doch aus einer besonderen Innigkeit be-
ruht, nicht schamlos wird, wir Deutsche könnten
dadurch tiefer fallen in bezug aus Moralität als
unsere leichtlebigeren Nachbarn. — Unklare Künst-
lerköpse fühlen sich geniert und meinen, daß ihnen
die Freiheit genommen werden könnte .... ich aber
befürworte nur die deutsche würde des ehrbaren
Menschen, der jetzt bald jeder geistige Fex und Ham-
pelmann mit seiner Nacktheit ins Gesicht springen
will; als ob das das wäre, als ob das Kulturfort-
schritt und Freiheit bedeutete. Ich will nur das
erhalten wissen, was unserer Väter Sitte und was
deutsches Hausrecht ist."
Mellkrieg,
Meilern pfinäen unä nationaler Stil,
von Herman Frobenius.
wir sind durch den Krieg gezwungen, nicht mehr
unsere Blicke allein auf die Grenzen des Vaterlan-
des zu lenken, sondern werden durch die dreisten
feindlichen Eingriffe in unsre Rechte auf allen Tei-
len des Erdballes dazu gezwungen, stärker als früher
auch als Weltmacht zu denken. Die weite unserer
Beziehungen kapitalistischer und kultureller Natur
wird uns damit besonders energisch eingeprägt und
tritt in verstärktem Maße in unser Bewußtsein ein.
Das Gefühl von unserer Persönlichkeit wird also
erweitert und erhält eine Breite, die schließlich auch
auf die Kunst einwirken muß.
Zwingt auf der einen Seite die Gegnerschaft
von fast der ganzen Erde, uns auf unser besonderes
nationales Gefühl zurückzuziehen, so sind wir an-
dererseits genötigt, dies nicht wie nach l8s3 als
kleine Bürger, eingehüllt in eine Goldschnittroman-
tik, zum Ausdruck zu bringen, sondern als Männer,
deren Kultur Beziehungen nnterhält und Anregungen
empfängt von den scheinbar fremdartigsten Nassen.
Die Betonung unserer Individualität muß also nicht
nur auf eine nationale Vertiefung, sondern auch auf
eine Ausdehnung über ein kleinbürgerliches Maß
und eine ethische Vergrößerung hinauslaufen.
Diese allgemein verbreiteten Gedanken werden
im allgemeinen Lebensgefühl und in dessen Aus-
drucksmitteln mit Notwendigkeit eine Aussprache
verlangen, und stets ist es die Kunst gewesen, die
zuerst dafür die Mittel gefunden hat. Ls wird an
sie vor allem der Anspruch einer gewissen inneren
Größe gestellt werden, die über bisherige Gepflogen-
heiten hinausgeht.
Denn es ist ausgeschlossen, daß ein Volk, dessen
kapitalistische Beziehungen den Erdball umspannen,
eine engherzige und kleinbürgerliche Kunst als ein-
zige Manifestation seines Wesens ertragen kann.
Das meiste von dem, was unser Dasein bereichert,
was uns täglich umgibt, was wir genießen, ent-
stammt längst nicht mehr dem heimischen Boden
allein. Nicht nur das Leder, die Baumwolle, die
wolle werden großenteils aus dem Auslande be-
zogen. Gehen wir einmal durch die Straßen und
blicken in die Schaufenster: da prangen große Büschel
von Bananen, wie riesige Perücken über dicke Kokos-
nüsse gestülpt. Die Ananas strahlt goldgelb in einem
Berge grauer Paranüsse, die geschickt in weißen in-
dischen Reis gebettet sind. Tee aus China und
Indien, in großen schimmernden Blechbüchsen, Kaffee
aus Abessinien, Gewürze aus Westindien! Schals
und Teppiche neben syrischen Bronzen, Federn aus
Ägypten und Affenpelze aus dem Innern Afrikas!
Alles das assimilieren wir uns. Nicht wie der
Orientale verwenden wir diese Dinge, sondern indem
wir sie verarbeiten, europäisieren wir sie und ent-
kleiden sie ihres exotischen Charakters. Die Kraft
einer Kultur spricht sich in der Fähigkeit aus, den
ursprünglichen fremden Geist umzuschalten in den
eigenen nationalen, wie jene bunten Schaufenster,
die den noch unverarbeiteten ursprünglichen Charak-
ter des Materials bewahrt haben, sieht nun aber
teilweise auch unsere geistige Kultur bis jetzt aus.
was wir von diesem Kriege erwarten, ist daher die
verstärkte Kraft der Persönlichkeit, die Rohstoffe, die
zum Teil erst halb umgeschaltet in unserm Geiste
ruhen, vollkommen uns zu eigen zu machen. Denn
auf künstlerischem Gebiete streben die verschiedenen
Betätigungen je nach den gänzlich verschiedenen An-
regungen noch gänzlich auseinander.
Da haben wir zunächst die absolute Malerei,
deren schöne französische Mutter dem deutschen Kinde
viele Ähnlichkeiten vererbt hat, da haben wir Land-
Die Werkstatt der Kunst.
XIV, Heft 49.
die höchste, weil neueste Weisheit in der Malerei
sei, erfuhr ich mit Staunen! Daß die Netzhaut dies
alles wieder vereinigen soll, sagte man mir auch
— aber meine Netzhaut versagte. Ls ist geradezu
traurig, wie ganz talentvolle Leute vor solcher win-
digkeit allen künstlerischen Halt verlieren. Ueber
Manet, Monet, Degas, Munch durste man ja gar
nicht mehr mucksen, wenn man nicht als Barbar
gelten wollte, und die spitzfindigsten unserer Kunst-
gelehrten gingen auf den Leim. Spitzfindigkeit fin-
det Spitzfindigkeit! was ist darüber Unsinn ge-
schrieben worden! Man war versucht, zu glauben,
es habe bisher in der Welt noch keine Kunst gegeben,
bis das Momentane in der Malerei erfunden wor-
den ....
Ls streift ja schon an das Komische, wenn es
nicht gar traurig wäre, daß es in Deutschland fast
als ein Wagnis erscheint, wenn man Dürer Führer
in der Kunst nennt — diese doch so selbstverständ-
liche Sache, woher kommt es nur, daß den Ma-
lern Dürer nicht ein solcher Grundstein ist, wie es
Bach den Musikern ist? welche Einflüsse sind es
denn, die den Deutschen das Allerdeutscheste immer
wieder verhüllen, aus die Seite schieben?? . . . .
Der Sinn für den deutschen Humor ist sowieso fast
erloschen — bösartiger Witz und giftige Entrüstung
ist an seine Stelle getreten in der Geffentlichkeit,
d. h., es ist alles brutal geworden... Ls ist schon
wichtig, dafür zu sorgen, daß das deutsche Gemüts-'
leben, was doch aus einer besonderen Innigkeit be-
ruht, nicht schamlos wird, wir Deutsche könnten
dadurch tiefer fallen in bezug aus Moralität als
unsere leichtlebigeren Nachbarn. — Unklare Künst-
lerköpse fühlen sich geniert und meinen, daß ihnen
die Freiheit genommen werden könnte .... ich aber
befürworte nur die deutsche würde des ehrbaren
Menschen, der jetzt bald jeder geistige Fex und Ham-
pelmann mit seiner Nacktheit ins Gesicht springen
will; als ob das das wäre, als ob das Kulturfort-
schritt und Freiheit bedeutete. Ich will nur das
erhalten wissen, was unserer Väter Sitte und was
deutsches Hausrecht ist."
Mellkrieg,
Meilern pfinäen unä nationaler Stil,
von Herman Frobenius.
wir sind durch den Krieg gezwungen, nicht mehr
unsere Blicke allein auf die Grenzen des Vaterlan-
des zu lenken, sondern werden durch die dreisten
feindlichen Eingriffe in unsre Rechte auf allen Tei-
len des Erdballes dazu gezwungen, stärker als früher
auch als Weltmacht zu denken. Die weite unserer
Beziehungen kapitalistischer und kultureller Natur
wird uns damit besonders energisch eingeprägt und
tritt in verstärktem Maße in unser Bewußtsein ein.
Das Gefühl von unserer Persönlichkeit wird also
erweitert und erhält eine Breite, die schließlich auch
auf die Kunst einwirken muß.
Zwingt auf der einen Seite die Gegnerschaft
von fast der ganzen Erde, uns auf unser besonderes
nationales Gefühl zurückzuziehen, so sind wir an-
dererseits genötigt, dies nicht wie nach l8s3 als
kleine Bürger, eingehüllt in eine Goldschnittroman-
tik, zum Ausdruck zu bringen, sondern als Männer,
deren Kultur Beziehungen nnterhält und Anregungen
empfängt von den scheinbar fremdartigsten Nassen.
Die Betonung unserer Individualität muß also nicht
nur auf eine nationale Vertiefung, sondern auch auf
eine Ausdehnung über ein kleinbürgerliches Maß
und eine ethische Vergrößerung hinauslaufen.
Diese allgemein verbreiteten Gedanken werden
im allgemeinen Lebensgefühl und in dessen Aus-
drucksmitteln mit Notwendigkeit eine Aussprache
verlangen, und stets ist es die Kunst gewesen, die
zuerst dafür die Mittel gefunden hat. Ls wird an
sie vor allem der Anspruch einer gewissen inneren
Größe gestellt werden, die über bisherige Gepflogen-
heiten hinausgeht.
Denn es ist ausgeschlossen, daß ein Volk, dessen
kapitalistische Beziehungen den Erdball umspannen,
eine engherzige und kleinbürgerliche Kunst als ein-
zige Manifestation seines Wesens ertragen kann.
Das meiste von dem, was unser Dasein bereichert,
was uns täglich umgibt, was wir genießen, ent-
stammt längst nicht mehr dem heimischen Boden
allein. Nicht nur das Leder, die Baumwolle, die
wolle werden großenteils aus dem Auslande be-
zogen. Gehen wir einmal durch die Straßen und
blicken in die Schaufenster: da prangen große Büschel
von Bananen, wie riesige Perücken über dicke Kokos-
nüsse gestülpt. Die Ananas strahlt goldgelb in einem
Berge grauer Paranüsse, die geschickt in weißen in-
dischen Reis gebettet sind. Tee aus China und
Indien, in großen schimmernden Blechbüchsen, Kaffee
aus Abessinien, Gewürze aus Westindien! Schals
und Teppiche neben syrischen Bronzen, Federn aus
Ägypten und Affenpelze aus dem Innern Afrikas!
Alles das assimilieren wir uns. Nicht wie der
Orientale verwenden wir diese Dinge, sondern indem
wir sie verarbeiten, europäisieren wir sie und ent-
kleiden sie ihres exotischen Charakters. Die Kraft
einer Kultur spricht sich in der Fähigkeit aus, den
ursprünglichen fremden Geist umzuschalten in den
eigenen nationalen, wie jene bunten Schaufenster,
die den noch unverarbeiteten ursprünglichen Charak-
ter des Materials bewahrt haben, sieht nun aber
teilweise auch unsere geistige Kultur bis jetzt aus.
was wir von diesem Kriege erwarten, ist daher die
verstärkte Kraft der Persönlichkeit, die Rohstoffe, die
zum Teil erst halb umgeschaltet in unserm Geiste
ruhen, vollkommen uns zu eigen zu machen. Denn
auf künstlerischem Gebiete streben die verschiedenen
Betätigungen je nach den gänzlich verschiedenen An-
regungen noch gänzlich auseinander.
Da haben wir zunächst die absolute Malerei,
deren schöne französische Mutter dem deutschen Kinde
viele Ähnlichkeiten vererbt hat, da haben wir Land-