Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0439
DOI Heft:
Heft 36
DOI Artikel:Nichtamtlicher Teil
DOI Artikel:Bülow, Joachim von: Was ist Italien für unsere Kunst?
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XIV, Heft 36.Die Werkstatt Ser Kunst.HZ
Schickt die „Werkstatt der Nunst" ins Zeld!
wir wollen mit unseren Freunden draußen in Fühlung bleiben. Übergebt der Zchrrft-
leitung belangreiche Feldpostbriefe zur Veröffentlichung
McdtLmtttcber Teil.
M»s ist Italien kür unsere klunlt?
Von I. v. Bülow.
Ohne uns durch die augenblickliche politische
Lage beirren zu lassen, haben wir das Recht und
die Pflicht uns die Frage zu stellen: was ist
unserer Kunst Italien? Darauf ganz ehrlich zu
antworten wird uns um so schwerer, als mit
keinem Lande der Welt uns Deutsche so nachhaltige
ererbte Beziehungen verbinden. Die Sehnsucht
nach dem Süden ist eine jahrtausendalte, wir Nord-
länder drängen zur Sonne wie die Motten zum
Licht, und zufällig ist das erste Sonnenland, das
wir da treffen, Italien, wären uns die Zugänge
zur Balkanhalbinsel, zu Spanien leichter als zu
Italien, so würden diese in unserem Herzen an die
Stelle Italiens getreten sein.
wir, die wir die Sonne nur als gütige Mutter
und Spenderin kennen, die, sich allzuoft versagend,
ihr Haupt in Nebelschleier hüllt, wir können uns
nicht vorstellen, daß die, denen sie ihre Segnungen
reicher spendet, dadurch nicht zu edleren, innerlich
und äußerlich reicheren Menschen werden, wir
sehen in jenen Ländern und ihren Bewohnern alles
das, was wir uns wünschen und ersehnen, und was
man zu finden erwartet, das glaubt man schließlich
auch gefunden zu haben, besonders wenn man mit
dem goldenen Herzen eines Deutschen ausgestattet ist.
Ls ist nicht zu leugnen, daß in den letzten Jahr-
zehnten diese uns von unseren Klassikern und
Romantikern neu belebte Italienliebe ein wenig ver-
dächtig wurde. Das Volk dort tat gar manches,
was uns nicht gefiel. Seine Königsmorde ließen
sich nur schwer mit der Ausrede heißen südlichen
Blutes entschuldigen, sein Ueberfall auf das fried-
lich schlummernde Tripolis und die wehrlose — da-
mals wehrlose — Türkei war kein Heldenstück.
wer zurückkam aus Italien, der brachte nicht
immer die Kunde von rein glänzenden Golde mit
sich. Lr wußte von Gaunerei und Schmutz zu er-
zählen, und war er Künstler, so verhehlten wir uns
nicht, daß die Einflüsse italienischer Zeit auf ihn
eher verderblich als nützlich gewirkt hatten. Ja es
gab gar manchen, der Italien mied, um dort nicht
jenen himmelblauen ewiggrünen Landschaften zu be-
gegnen, die er nach der Masse italienischer Bilder,
mit denen wir überschwemmt wurden, glaubte
finden zu müssen.
Traten wir vorurteilslos an die alte italienische
Kunst heran, nahmen wir vor ihr nicht von vorn-
herein anbetend den Hut ab, so zeigte sich auch in
ihr gar bald Oberflächliches, Unechtes, Geschicklich-
keit, die Schwindel schuf, aber nicht Kunst in un-
serem anspruchsvollen Sinne. Raffael sank von
seinem Throne und wurde oft allzuweit nach hinten
gestellt, weil man die geschmacklosen Tünchereien
seiner Schüler, wenn sie seine großzügigen Kom-
positionen austuschten, auf seine Rechnung setzte.
Lionardo, der andere Heros, wurde als der all-
zugewandte spielerische Liebhaber erkannt, dessen Tiefe
der Gedanken den wahren Kunstverstehenden nicht
über die Süßlichkeit und mangelnde Einheit im
Werk forttäuschen konnte.
Im Anschluß an sie fielen die anderen Italiener
um und nach Raffael, nicht im Marktpreise, wohl
aber im werte für den Gebildeten. Mit Schrecken
wurde uns klar, daß wir durch hundert und mehr
Jahre unserer Kunst ein Vorbild gesetzt hatten, das
ein tönernes war, ohne Leben, ohne Entwicklungs-
möglichkeit und daß uns italienische Kunst einen
Maßstab aufgezwungen, nach dem die oberflächliche,
den Markt beherrschende Masse Bilder beurteilte
und kaufte. '
Unsere Hochschulen lehrten die geistlose italienische
Machart als die höchst zu erstrebende, unsere Museen
füllten sich mit Werken solcher Art, fortzeugend Böses
gebärend.
Das mußte zu einen Rückschlag führen, der mit
der naturgesetzlichen Notwendigkeit jeder pendelnden
Bewegung zum Gegenteile wurde. Man vergaß,
daß Raffael einer der größten und geistvollsten
Bildnismaler aller Zeiten gewesen, daß an ihn in
Zeichnung und Aufbau des Bildes keiner der Späteren
heranreichte, man verwarf mit dem Erfolge, der
ausblieb, auch die Grundlagen, die ihn hätten
schaffen können. Die Schulung wurde mißachtet
und als talentlos jedes Werk verschrieen, daß ehr-
liche Arbeit und wirkliches Können nicht zu ver-
decken vermochte.
So konnte in dem jungen Deutschland, das
kindergleich in allen Fragen des Lebens und damit
auch der Kunst lieber verurteilte und nach dem
Neuen griff, die sogenannte moderne Kunst einen
Boden gewinnen, den sie in diesem Umfange und
vor allem in dieser auf keine geschichtliche und natür-
liche Entwicklung gegründeten Art nicht verdiente.
So brachte uns Italien, das uns mit seinen
Trugbildern jahrhundertelang beherrscht hatte, in-
direkt auch die Enttäuschungen des neusten Kunst-
Schickt die „Werkstatt der Nunst" ins Zeld!
wir wollen mit unseren Freunden draußen in Fühlung bleiben. Übergebt der Zchrrft-
leitung belangreiche Feldpostbriefe zur Veröffentlichung
McdtLmtttcber Teil.
M»s ist Italien kür unsere klunlt?
Von I. v. Bülow.
Ohne uns durch die augenblickliche politische
Lage beirren zu lassen, haben wir das Recht und
die Pflicht uns die Frage zu stellen: was ist
unserer Kunst Italien? Darauf ganz ehrlich zu
antworten wird uns um so schwerer, als mit
keinem Lande der Welt uns Deutsche so nachhaltige
ererbte Beziehungen verbinden. Die Sehnsucht
nach dem Süden ist eine jahrtausendalte, wir Nord-
länder drängen zur Sonne wie die Motten zum
Licht, und zufällig ist das erste Sonnenland, das
wir da treffen, Italien, wären uns die Zugänge
zur Balkanhalbinsel, zu Spanien leichter als zu
Italien, so würden diese in unserem Herzen an die
Stelle Italiens getreten sein.
wir, die wir die Sonne nur als gütige Mutter
und Spenderin kennen, die, sich allzuoft versagend,
ihr Haupt in Nebelschleier hüllt, wir können uns
nicht vorstellen, daß die, denen sie ihre Segnungen
reicher spendet, dadurch nicht zu edleren, innerlich
und äußerlich reicheren Menschen werden, wir
sehen in jenen Ländern und ihren Bewohnern alles
das, was wir uns wünschen und ersehnen, und was
man zu finden erwartet, das glaubt man schließlich
auch gefunden zu haben, besonders wenn man mit
dem goldenen Herzen eines Deutschen ausgestattet ist.
Ls ist nicht zu leugnen, daß in den letzten Jahr-
zehnten diese uns von unseren Klassikern und
Romantikern neu belebte Italienliebe ein wenig ver-
dächtig wurde. Das Volk dort tat gar manches,
was uns nicht gefiel. Seine Königsmorde ließen
sich nur schwer mit der Ausrede heißen südlichen
Blutes entschuldigen, sein Ueberfall auf das fried-
lich schlummernde Tripolis und die wehrlose — da-
mals wehrlose — Türkei war kein Heldenstück.
wer zurückkam aus Italien, der brachte nicht
immer die Kunde von rein glänzenden Golde mit
sich. Lr wußte von Gaunerei und Schmutz zu er-
zählen, und war er Künstler, so verhehlten wir uns
nicht, daß die Einflüsse italienischer Zeit auf ihn
eher verderblich als nützlich gewirkt hatten. Ja es
gab gar manchen, der Italien mied, um dort nicht
jenen himmelblauen ewiggrünen Landschaften zu be-
gegnen, die er nach der Masse italienischer Bilder,
mit denen wir überschwemmt wurden, glaubte
finden zu müssen.
Traten wir vorurteilslos an die alte italienische
Kunst heran, nahmen wir vor ihr nicht von vorn-
herein anbetend den Hut ab, so zeigte sich auch in
ihr gar bald Oberflächliches, Unechtes, Geschicklich-
keit, die Schwindel schuf, aber nicht Kunst in un-
serem anspruchsvollen Sinne. Raffael sank von
seinem Throne und wurde oft allzuweit nach hinten
gestellt, weil man die geschmacklosen Tünchereien
seiner Schüler, wenn sie seine großzügigen Kom-
positionen austuschten, auf seine Rechnung setzte.
Lionardo, der andere Heros, wurde als der all-
zugewandte spielerische Liebhaber erkannt, dessen Tiefe
der Gedanken den wahren Kunstverstehenden nicht
über die Süßlichkeit und mangelnde Einheit im
Werk forttäuschen konnte.
Im Anschluß an sie fielen die anderen Italiener
um und nach Raffael, nicht im Marktpreise, wohl
aber im werte für den Gebildeten. Mit Schrecken
wurde uns klar, daß wir durch hundert und mehr
Jahre unserer Kunst ein Vorbild gesetzt hatten, das
ein tönernes war, ohne Leben, ohne Entwicklungs-
möglichkeit und daß uns italienische Kunst einen
Maßstab aufgezwungen, nach dem die oberflächliche,
den Markt beherrschende Masse Bilder beurteilte
und kaufte. '
Unsere Hochschulen lehrten die geistlose italienische
Machart als die höchst zu erstrebende, unsere Museen
füllten sich mit Werken solcher Art, fortzeugend Böses
gebärend.
Das mußte zu einen Rückschlag führen, der mit
der naturgesetzlichen Notwendigkeit jeder pendelnden
Bewegung zum Gegenteile wurde. Man vergaß,
daß Raffael einer der größten und geistvollsten
Bildnismaler aller Zeiten gewesen, daß an ihn in
Zeichnung und Aufbau des Bildes keiner der Späteren
heranreichte, man verwarf mit dem Erfolge, der
ausblieb, auch die Grundlagen, die ihn hätten
schaffen können. Die Schulung wurde mißachtet
und als talentlos jedes Werk verschrieen, daß ehr-
liche Arbeit und wirkliches Können nicht zu ver-
decken vermochte.
So konnte in dem jungen Deutschland, das
kindergleich in allen Fragen des Lebens und damit
auch der Kunst lieber verurteilte und nach dem
Neuen griff, die sogenannte moderne Kunst einen
Boden gewinnen, den sie in diesem Umfange und
vor allem in dieser auf keine geschichtliche und natür-
liche Entwicklung gegründeten Art nicht verdiente.
So brachte uns Italien, das uns mit seinen
Trugbildern jahrhundertelang beherrscht hatte, in-
direkt auch die Enttäuschungen des neusten Kunst-