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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/​1915

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Heft 26
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Redaktioneller Teil
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Ostini, Hans von: Revolution im Kunstverein
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2Y8

Die Werkstatt der Runst.

XIV, Heft 26.

RectaktioiieUer Teil.
Revolution im Runitverein.

In den Münchner Neuesten Nachrichten, 26. 2. 1915
(Morgenblatt), schreibt Fritz v. Gstini:
In den meist so friedlich stillen Räumen des
Münchner Kunstvereins herrscht Kriegszustand. Dis
Nusstellung der „Neuen Sezession" hat eine Auf-
regung hervorgerufen, die schon recht üble Formen
angenommen hat. Nm Sonntag, gleich bei der Eröff-
nung, befeuerte ein Volksredner die Gemüter, eine
Protestliste liegt auf — an sich ja etwas ganz Berech-
tigtes —, aber die Form der Einträge läßt an Manier-
lichkeit vielfach alles zu wünschen übrig! Anderseits
war es doch ein unentschuldbarer Bruch des Gastrechts,
wenn ein Angehöriger der Neuen Sezession, und zwar
gerade der, der durch sein vielerörtertes Plakat für
diese Vereinigung — die drei gelben Männertorsi —
auch bei den Weitherzigsten starkes Kopfschütteln
erregt hat, Mißfallensäußerungen im Kunstverein
selbst mit Handgreiflichkeiten erwiderte. Vas möchte
einem wohl die Lust nehmen, auf die herausfordern-
den Erscheinungen, an denen die Ausstellung wahr-
haftig nicht arm ist, überhaupt näher einzugehen.
Für diese häßlichen Vorfälle kann nun freilich die
Leitung des Münchner Kunstvereins nichts. Sie hat
einfach einer Gruppe, wie andern Münchner Künstler-
gruppen, Gastfreundschaft gewährt und nicht etwa
die Ausstellung selbst veranstaltet, sondern den Aus-
stellern die volle Verantwortung überlassen. Man
kann nun, wie der ergebenst Unterzeichnete, die hier
in der Hauptsache, will sagen in den herausfordernd-
sten Stücken, vertretene Richtung für einen schlimmen
Irrtum halten, kann auch glauben, daß neben den
Irrenden auch solche mitlaufen, die nichts Besseres
wollen, als Aufsehen erregen und die Möglichkeit, sich
ohne können als Künstler aufzuspielen — aber ein
Grund zu solcher Aufregung im Kunstverein ist doch
nicht gegeben. Erstens einmal hat der Kunstverein
auch alle übrigen Münchner Künstlergruppen zu Worte
kommen lassen. Zweitens bringt er so oft recht Min-
derwertiges älterer Richtung, daß man die Ausge-
fallenheiten der Jüngsten ebenso gut einmal ansehen
kann, wer darüber lachen will, der danke seinem
Schöpfer für diese schöne Gelegenheit in so düsterer
Zeit! Drittens wird jeder, der Augen hat zu sehen,
doch wohl hier eine ganze Anzahl Künstler vertreten
finden, die Anspruch darauf haben, nicht bloß ernst
genommen, sondern unter unsere Besten gezählt zu
werden. Bernhard Bleekers wundervolle Plastiken,
die Landschaften von Marie Laspar-Filser in ihrer
prächtigen, volltönenden Farbigkeit, Max Feld-
bauers Pferdeschwemme usw., Zagerspachers
Frauenakt seien in der Eile herausgegriffen. Die ge-
nannten Künstler glauben aber auch an die Sache, die
von den Andern vertreten wird. Darum muß sie
noch nicht gut, aber auf jeden Fall erörternswert sein.
Schon um weniger Gerechter willen wollte bekanntlich
Jehova Sodom und Gomorrha respektieren. Der

ungeheure Wirrwarr, den Expressionismus und Ku-
bismus, Französelei und Schlawinerei aller Art in
vielen jungen köpfen angerichtet haben, soll ent-
wirrt werden, was von guten, ehrlichen Kräften irre-
geleitet ist, soll gesunden und zur Entwicklung kommen,
kein besseres Mittel hierfür, als daß die Betreffenden
in solchen Ausstellungen sich selber sehen! Damit hätte
sich der Kunstverein, der doch weit davon entfernt ist,
die Verantwortung für einzelne Entgleisungen zu
übernehmen oder für jene Dinger gar eine dauernde
Werbetätigkeit zu beabsichtigen, also eher ein Ver-
dienst erworben, im Gegensätze natürlich zu jenen Unter-
nehmungen, die gewissenlos aus der Urteilslosigkeit
der Snobs, der Wunderlichkeit künstlerischer Eigen-
brötler und der frechen Mache einzelner Unehrlicher
ein Geschäft machen wollen!
Und nicht zu vergessen, ein Sturm tobte im Kunst-
verein auch, als zum Beispiel die ersten Sezessionisten
dort ausstellten, tobte, von der Prügelei abgesehen, fast
genau so wild wie heute. Ich habe vor einer
vortrefflichen und für heutige Begriffe gewiß nicht
exzentrischen Landschaft von hänisch vor 20 Jahren
einmal einen alten Herrn wie im Veitstanz herum-
toben sehen, schreiend: Dem Kerl sollte man fünfund-
zwanzig herunterhauen! Na also! Und warum soll
der Kunstverein, der zurzeit ohnehin nur mit Schwie-
rigkeit erträgliche Ausstellungen zustande bringt, nicht
einmal probeweise die Werke einer Richtung aus-
stellen, die an der Kgl. Kunstakademie in Vorlesun-
gen leidenschaftlich vertreten, an der Kgl. Kunstge-
werbeschule nicht minder sorgfältig gepflegt wird, die
in der Kölner Werkbundausstellung durch noch ärgere
Absonderlichkeiten vertreten war, die sich — was frei-
lich nicht das geringste für die Sache beweist — der
ganz besonderen Zuneigung einer Reihe von Berlin
aus orientierter jüngerer Museumsleiter erfreut?
Diese Erwägungen hindern freilich, wie gesagt
wurde, niemanden, einen großen Teil des Gebotenen
kräftig abzulehnen. Alles Üble hier ist ja wieder Nus-
länderei. Die einen rennen hinter L^zanne her, der
in seinem fieberhaften, aber ehrlichen Suchen hundert
Experimente gemacht hat, von denen gerade er am
letzten irgendeins für den endgültigen weg zur Wahr-
heit gehalten hätte, weil er mit Vorliebe die Dinge
perspektivisch verzeichnet hat, sehen die Urteilslosen
gerade in der Verzeichnung und falschen Perspektive
das heil der Kunst. Die andern folgen zwei Franzosen,
von denen der eine den Expressionismus und der an-
dere den Kubismus erfunden hat und die durch die
unerhörte Frechheit eines pariser Kunstschwindels als
letzte Neuheit auf den Markt gebracht worden waren.
Natürlich fanden sie dort unter den Wilden der Herbst-
salons ihre Nachbeter, und die „Richtung" war ge-
gründet. Daß von Berlin aus das weitere besorgt
wurde und daß man die absonderlichen Redensarten
auch bei uns in München mit gierigen Ohren einsog,
 
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