Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0109
DOI Heft:
Heft 9
DOI Artikel:Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Neumann, Carl: Nationale und internationale Kunst: Deutschland und Frankreich, [1]
DOI Artikel:Nochmals Hodler
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0109
XIV, Heft 9.
Die Werkstatt der Kunst.
zösische Kunst des 18. Jahrhunderts begründet war,-
die Farbe war als ,,sinnliche Verführung", als un-
künstlerischer ,,Reiz" gebrandmarkt worden, und die
Kette dieser ästhetischen Theorie reichte von Kant bis
Cornelius. Ls galt als Axiom, datz eine ,,interesselose"
hohe Kunst den gemeinen Reiz verschmähen müsse.
Vas zweite Verhängnis dieser Kunstbewegung
wurde sodann, datz sie mit dem Züchen des Monu-
mentalen anfing, mit dem Ergreifen eines Stils des
Allgemeinen und Wesentlichen. Mas die wacken-
roder, die Boiserees an den alten Deutschen geliebt
hatten, die sauber liebevolle Ausführung, das mora-
lische Element der Treue im kleinen und kleinsten —
im Fortgang unserer jungen Kunst war das alles zu-
gunsten des Michelangelo- und Kartonstiles außer
acht gelassen worden. Wohl waren Schwind und
Rethel begabte Oiadochen des Meisters, und auch im
übrigen war kein Mangel an eigentümlichen und selb-
ständigen deutschen Ansätzen (die zu entdecken vor
allen Lichtwark sein Leben lang bemüht war), aber
die Hoffnung, das große Wollen mit Realität zu füllen,
bestätigte sich nicht. Oer große Anlauf wurde zu-
nächst um seine Frucht betrogen. Das junge Geschlecht
war zu radikal und riß zu Schutt nieder, was zu bauen
versucht war. Es geschah nicht, was Anselm Zeuer-
bach als Wunsch ausgesprochen: bei Holbein solle die
deutsche Kunst neu anfangen. Er selbst hat das wohl
gesagt, aber nicht getan. Was geschah, war etwas
ganz anderes. Unsere Kunst geriet in die alte Ab-
hängigkeit von Frankreich.
Dies ist eine der stärksten und drückendsten Tat-
sachen unserer Geschichte im abgelaufenen Jahrhun-
dert, diese mangelnde Sicherheit nationaler Instinkte,
dieses unausrottbare Fortleben alter kosmopolitisch
abstrakter Ideen. Alles Pathos der Befreiungskriege,
die antifranzösische Leidenschaft eines Jahn und
Arndt schienen eine Episode gewesen zu sein. Die
Lehre vom Erbfeind verschwand vor dem Stimmungs-
wechsel des politischen Liberalismus. Niklas Beckers
Rheinlied von 1840 und Bismarcks Jugendempfin-
dung, daß ihn der Anblick des Heidelberger Schlosses
zur Rachsucht gestimmt habe, wurden letzte, aller-
letzte Ausläufer eines großartigen und selbstbewußten
nationalen Hasses. (Fortsetzung folgt.)
Dockmals Hoctter.
Oer Aufsatz des Herrn Friedrich Schüz-Oüssel-
dorf über Hodler und Oalcroze hat viele Zuschriften
an uns zur Folge gehabt. Wir müssen daher wie-
derholt feststellen, daß wir unseren oft dar-
gelegten, schroff abweisenden Standpunkt
gegenüber dem Kall „Hodler" und damit
gegen Hodler überhaupt in keiner Weise ge-
ändert haben. Wir haben den Aufsatz trotzdem ge-
bracht, weil wir unparteiisch genug sein wollten, auch
einmal einer Ansicht Raum zu geben, die von der all-
gemein herrschenden abweicht. Diese Ansicht schien
uns deshalb besonders bemerkenswert, weil sie von
(01
einem Mitgliede der A. O. K. G. herrührte. Im fol-
genden veröffentlichen wir eine der Zuschriften, die
uns von besonders hochgeschätzter Seite zugegangen ist.
Vie Redaktion der W. d. K.
Im heft 8 des 16. Jahrganges der „Werkstatt der
Kunst" erschien ein Artikel von Friedrich Schüz, „Über
die Bedeutung Ferdinand Hodlers und Jaques-Oal-
crozes für das deutsche Volk und seine Kunst". Dieser
Artikel hat das schmerzlichste Befremden in den wei-
testen Kreisen der Künstlerschaft erregt. Glücklich
glaubte man, daß die üble Hodler-Angelegenheit in
der Öffentlichkeit abgetan sei! Der Deutsche Künstler-
bund, die Berliner Sezession und die Münchener Se-
zession haben Hodler aus ihren Listen gestrichen, die
Wiener Künstlerschaft hat öffentlich ihr freudiges Ein-
verständnis mit diesem Vorgehen erklärt. Da erscheint,
ausgerechnet aus den Reihen der Allgemeinen Deut-
schen Kunstgenossenschaft, eine Ehrenrettung Hodlers
und eine anschließende Verhimmelung Jaques-Val-
crozes. Noch in keinem der öffentlichen Proteste, die
gegen beide ergangen sind, wurden ihre künstlerischen
Qualitäten in irgendeiner weise herabgezogen, ob-
gleich sie zum mindesten oft sehr angreifbar und durch-
aus problematisch sind,' das gesteht selbst der Autor
dieses Artikels zu, denn er schreibt von Hodler: „Sind
auch seine besten Werke nicht frei von Unvollkommen-
heit." Ich glaube, es wird auch weiterhin dem Sinne
dieses Blattes entsprechen, wenn man sich von ästheti-
schen Erörterungen über den wert oder Unwert des
Schaffens einzelner Künstler fernhält, denn die „Werk-
statt der Kunst" hat ihre Leser in allen Kreisen der
deutschen Künstlerschaft und soll ihre „Interessen" ver-
treten. Es dürfte, um dies zu ermöglichen, aber absolut
nötig sein, daß in Zukunft auch derartige Dithyramben
über das Schaffen heißumstrittener künstlerischer Per-
sönlichkeiten nicht in ihr erscheinen. Auch jetzt muß
betont werden, daß trotz dieser Reizung hier nicht eine
kritische Wertung des Schaffens Hodlers und Dalcrozes
erfolgen soll- nur mit ihrer Person haben wir es zu tun.
was ist geschehen? Beide haben es für angebracht
gehalten, ihren Namen unter eine Veröffentlichung
zu setzen, von der man nicht anders sprechen kann, als
datz sie das deutsche Volk, sein kulturelles wirken und
seine kulturellen Anschauungen schmählich verleumdet.
Beide befinden sich dabei in der Gesellschaft einer
grotzen Anzahl von Künstlern und Schriftstellern mit
Namen, die in der Welt klingen: O'Anunzio, puccini,
Leoncavallo, Sartorio, Lorrado Ricci in Italien, Ana-
tole France, Saint Säens, Willette in Frankreich,
Kipling in England, Maeterlinck in Belgien seien von
dieser Meute genannt, der sich Hodler und Oalcroze
angeschlossen haben, wie kommt es, datz gerade das
Vorgehen dieser letzten beiden so tief empört hat?
Klar genug. Beiden hatte Deutschland in einer Weise
Gastfreundschaft gewährt, wie sie eben nur Deutsch-
land fremden künstlerischen Persönlichkeiten entgegen-
bringt. Hodler verdankt gewitz nicht sein Talent, aber
seine ganze künstlerische Laufbahn und seine grotzen
Die Werkstatt der Kunst.
zösische Kunst des 18. Jahrhunderts begründet war,-
die Farbe war als ,,sinnliche Verführung", als un-
künstlerischer ,,Reiz" gebrandmarkt worden, und die
Kette dieser ästhetischen Theorie reichte von Kant bis
Cornelius. Ls galt als Axiom, datz eine ,,interesselose"
hohe Kunst den gemeinen Reiz verschmähen müsse.
Vas zweite Verhängnis dieser Kunstbewegung
wurde sodann, datz sie mit dem Züchen des Monu-
mentalen anfing, mit dem Ergreifen eines Stils des
Allgemeinen und Wesentlichen. Mas die wacken-
roder, die Boiserees an den alten Deutschen geliebt
hatten, die sauber liebevolle Ausführung, das mora-
lische Element der Treue im kleinen und kleinsten —
im Fortgang unserer jungen Kunst war das alles zu-
gunsten des Michelangelo- und Kartonstiles außer
acht gelassen worden. Wohl waren Schwind und
Rethel begabte Oiadochen des Meisters, und auch im
übrigen war kein Mangel an eigentümlichen und selb-
ständigen deutschen Ansätzen (die zu entdecken vor
allen Lichtwark sein Leben lang bemüht war), aber
die Hoffnung, das große Wollen mit Realität zu füllen,
bestätigte sich nicht. Oer große Anlauf wurde zu-
nächst um seine Frucht betrogen. Das junge Geschlecht
war zu radikal und riß zu Schutt nieder, was zu bauen
versucht war. Es geschah nicht, was Anselm Zeuer-
bach als Wunsch ausgesprochen: bei Holbein solle die
deutsche Kunst neu anfangen. Er selbst hat das wohl
gesagt, aber nicht getan. Was geschah, war etwas
ganz anderes. Unsere Kunst geriet in die alte Ab-
hängigkeit von Frankreich.
Dies ist eine der stärksten und drückendsten Tat-
sachen unserer Geschichte im abgelaufenen Jahrhun-
dert, diese mangelnde Sicherheit nationaler Instinkte,
dieses unausrottbare Fortleben alter kosmopolitisch
abstrakter Ideen. Alles Pathos der Befreiungskriege,
die antifranzösische Leidenschaft eines Jahn und
Arndt schienen eine Episode gewesen zu sein. Die
Lehre vom Erbfeind verschwand vor dem Stimmungs-
wechsel des politischen Liberalismus. Niklas Beckers
Rheinlied von 1840 und Bismarcks Jugendempfin-
dung, daß ihn der Anblick des Heidelberger Schlosses
zur Rachsucht gestimmt habe, wurden letzte, aller-
letzte Ausläufer eines großartigen und selbstbewußten
nationalen Hasses. (Fortsetzung folgt.)
Dockmals Hoctter.
Oer Aufsatz des Herrn Friedrich Schüz-Oüssel-
dorf über Hodler und Oalcroze hat viele Zuschriften
an uns zur Folge gehabt. Wir müssen daher wie-
derholt feststellen, daß wir unseren oft dar-
gelegten, schroff abweisenden Standpunkt
gegenüber dem Kall „Hodler" und damit
gegen Hodler überhaupt in keiner Weise ge-
ändert haben. Wir haben den Aufsatz trotzdem ge-
bracht, weil wir unparteiisch genug sein wollten, auch
einmal einer Ansicht Raum zu geben, die von der all-
gemein herrschenden abweicht. Diese Ansicht schien
uns deshalb besonders bemerkenswert, weil sie von
(01
einem Mitgliede der A. O. K. G. herrührte. Im fol-
genden veröffentlichen wir eine der Zuschriften, die
uns von besonders hochgeschätzter Seite zugegangen ist.
Vie Redaktion der W. d. K.
Im heft 8 des 16. Jahrganges der „Werkstatt der
Kunst" erschien ein Artikel von Friedrich Schüz, „Über
die Bedeutung Ferdinand Hodlers und Jaques-Oal-
crozes für das deutsche Volk und seine Kunst". Dieser
Artikel hat das schmerzlichste Befremden in den wei-
testen Kreisen der Künstlerschaft erregt. Glücklich
glaubte man, daß die üble Hodler-Angelegenheit in
der Öffentlichkeit abgetan sei! Der Deutsche Künstler-
bund, die Berliner Sezession und die Münchener Se-
zession haben Hodler aus ihren Listen gestrichen, die
Wiener Künstlerschaft hat öffentlich ihr freudiges Ein-
verständnis mit diesem Vorgehen erklärt. Da erscheint,
ausgerechnet aus den Reihen der Allgemeinen Deut-
schen Kunstgenossenschaft, eine Ehrenrettung Hodlers
und eine anschließende Verhimmelung Jaques-Val-
crozes. Noch in keinem der öffentlichen Proteste, die
gegen beide ergangen sind, wurden ihre künstlerischen
Qualitäten in irgendeiner weise herabgezogen, ob-
gleich sie zum mindesten oft sehr angreifbar und durch-
aus problematisch sind,' das gesteht selbst der Autor
dieses Artikels zu, denn er schreibt von Hodler: „Sind
auch seine besten Werke nicht frei von Unvollkommen-
heit." Ich glaube, es wird auch weiterhin dem Sinne
dieses Blattes entsprechen, wenn man sich von ästheti-
schen Erörterungen über den wert oder Unwert des
Schaffens einzelner Künstler fernhält, denn die „Werk-
statt der Kunst" hat ihre Leser in allen Kreisen der
deutschen Künstlerschaft und soll ihre „Interessen" ver-
treten. Es dürfte, um dies zu ermöglichen, aber absolut
nötig sein, daß in Zukunft auch derartige Dithyramben
über das Schaffen heißumstrittener künstlerischer Per-
sönlichkeiten nicht in ihr erscheinen. Auch jetzt muß
betont werden, daß trotz dieser Reizung hier nicht eine
kritische Wertung des Schaffens Hodlers und Dalcrozes
erfolgen soll- nur mit ihrer Person haben wir es zu tun.
was ist geschehen? Beide haben es für angebracht
gehalten, ihren Namen unter eine Veröffentlichung
zu setzen, von der man nicht anders sprechen kann, als
datz sie das deutsche Volk, sein kulturelles wirken und
seine kulturellen Anschauungen schmählich verleumdet.
Beide befinden sich dabei in der Gesellschaft einer
grotzen Anzahl von Künstlern und Schriftstellern mit
Namen, die in der Welt klingen: O'Anunzio, puccini,
Leoncavallo, Sartorio, Lorrado Ricci in Italien, Ana-
tole France, Saint Säens, Willette in Frankreich,
Kipling in England, Maeterlinck in Belgien seien von
dieser Meute genannt, der sich Hodler und Oalcroze
angeschlossen haben, wie kommt es, datz gerade das
Vorgehen dieser letzten beiden so tief empört hat?
Klar genug. Beiden hatte Deutschland in einer Weise
Gastfreundschaft gewährt, wie sie eben nur Deutsch-
land fremden künstlerischen Persönlichkeiten entgegen-
bringt. Hodler verdankt gewitz nicht sein Talent, aber
seine ganze künstlerische Laufbahn und seine grotzen