Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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Heft 9
DOI Artikel:Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Nochmals Hodler
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^02
materiellen Erfolge ebenso Deutschland, wie dies mit
Dalcroze der Kall ist. In demselben Deutschland, in
dem sich für das vielleicht größte deutsche dekorativ-
monumentale Talent Kranz von Stuck noch nirgendwo
die Wandfläche gefunden hat, die ihn davon erlöst,
sein Talent ausschließlich in Staffeleibildern zu ver-
zetteln, sind Hodler gewaltige monumentale Aufträge
in öffentlichen Gebäuden geworden- ja, man hat
schonend darüber hinweggesehen, daß er jene Serien
von „Mähern" und „Baumfällern" in immer und
immer wiederholten Kopien in den deutschen Kunst-
handel warf,- man hätte schon hier erkennen können,
wie Deutschland ihm das reiche Barbarenland war,
dessen gedankenlose Anbetung sich für den intelligenten
„murekiuucl urkiste" in Goldströme verwandeln ließen.
Iaques-Dalcroze, in Wien geboren, der seine
künstlerische Ausbildung zum Teil in Wien genossen
hat, hat als „französischer Schweizer" eine Külle
literarischer Publikationen in französischer Sprache
veröffentlicht, plötzlich fand er die Förderer, die ihm
die Mittel an die Hand gaben, ein durchaus literarisch
zusammengebautes rhgthmisch-musikalisches Sgstem
praktisch zu erproben. Nur Deutsche in ihrem un-
geheuren Idealismus sind dazu fähig. Dalcroze hat
Jahre Zeit gehabt, bei der Ausführung seiner Ideen
die Seele des deutschen Menschen bis ins Innerste zu
erkennen und eine Wertung für sie zu finden, denn
jahrelang hat man ihm deutsche Jugend anvertraut,
jahrelang haben sich geistig und künstlerisch strebende
Deutsche um ihn geschart. Er hat die Wertung, die er
für uns gefunden hat, nun ausgesprochen. Seine
Unterschrift unter dem die deutsche Ehre beschmutzen-
den Pamphlet bezeugt, was er von uns denkt. Offen-
bar fühlt er sich als die durchaus internationale Per-
sönlichkeit, zu der ihn sein Werdegang stempelt, dem
deutschen Nulturbegriffe so überlegen, daß er ihn nur
bespeien kann. Das sind die Tatsachen, die die Em-
pörung gegen Hodler und Dalcroze geweckt haben.
Sind jetzt irgendwelche Gründe vorhanden, daß Deutsch-
land seine Meinung über beide zu revidieren hätte?
Nichts davon! Es bleibt demgegenüber unverständ-
lich, wie sich eine Keder, noch dazu die eines deutschen
Künstlers, finden kann, die dazu auffordert. Wenn der
Verfasser dieses Artikels schreibt: „Hodler, als einer
der Höhepunkte neuer deutscher Kunst betrachtet, gibt
allerdings den nicht erfreulichen Beweis vom trau-
rigen Tiefstand unserer Kunst, der selbst der Glaube
an die Möglichkeit ihrer Befähigung geschwunden
scheint, den Menschen aus den Tiefen des Daseins er-
heben zu können, was doch als ihre vornehmste Auf-
gabe gelten und gerade in diesen Zeiten neben dem
wunderbaren nationalen Aufschwung als besonders
schwer empfunden werden muß", so ist das, wenn auch
sehr unklar ausgedrückt, doch das Beschämendste, was
je über die deutsche Kunst gesagt worden ist, und wenn
das gesagt wird, um einen ausländischen Künstler,
denn Hodler bedankt sich augenscheinlich dafür, als
„südlichster Deutscher" angesehen zu werden, in den
Himmel zu heben, so spricht daraus nichts weiter, als
XIV, Heft 9.
daß jener Bedientengeist, den Goethe schon im deut-
schen Volke beklagt, immer noch nicht ausgestorben ist.
wenn Iaques-Oalcroze nach seinem Auftreten von
einem deutschen Künstler noch in einer weise ver-
himmelt wird, wie dies hier geschieht, so daß von ihm
nur als „Jaques" gesprochen wird, so ist das derselbe
Geist, der sich da offenbart, wir scheinen noch sehr
weit entfernt zu sein von dem, was Krank Wedekind
als das herrlichste und gewaltigste Resultat unseres
ungeheuren Ringens um unsere Kreiheit bezeichnet:
„ein einheitlicher, unantastbarer, selbstverständlicher
vaterlandsstolz." Es ist ganz gewiß keine Gefahr
vorhanden, daß wir Deutsche uns dem, was die
Großen des Auslandes als Unverlierbares der Mensch-
heit schenken, je verschließen werden. Das haben wir
nie getan und sind unfähig, dies zu tun. Aber eins
mutz klar sein: wir verdienen das, was uns geschehen
ist, wenn wir nicht den Mut finden, es mit der vollen
Verachtung für die Persönlichkeiten, die es uns an-
getan haben, zu erwidern, wir verdienen die Ver-
achtung, die uns zuteil wird, wenn wir der Persönlich-
keit eines Dalcroze noch weiter unsere Jugend nicht
nur zu künstlerischer, sondern auch zu „ethisch-sozialer"
Beeinflussung anvertrauen, wenn wir weiter unsere
deutsche Kunst darunter leiden lassen, daß jedes
Eckchen in den Räumen der deutschen Gallerien, des
deutschen geistigen Lebens vollgestopft wird mit der
ganz gleichgültigen Massenware, die jene produzieren.
Bei „euch" kehrt ein, ihr deutschen Künstler, dann
wird auch das deutsche Volk bei euch einkehren,
wertet die großen Auslandstalente als das, wozu
sie euch dienen können, als Anreger. Aber hütet euch
vor Überschätzung und Verhimmelung, die euch hin-
wiederum zwingt, sie geistlos nachzuahmen, um nur
ein paar von den Strahlen der Sonne zu erhaschen,
die ihr ihnen erst geschaffen habt. Zu mindest seid
endlich soviel Deutsche, daß ihr den Mut habt, das
Tafeltuch zwischen euch und denen zu zerschneiden,
die euer deutsches Vaterland und die Kultur eures
Volkes beschimpfen. Sie zeigt sich jetzt wahrlich höher,
als diejenige der sonst so heiß Bewunderten um uns,
die uns die Hunnen, Barbaren, unseren Kaiser den
Attila nennen, die wie jener verhaeren, dem auch wir
das warme Bett gerichtet haben, dichten:
Und wenn sie am Rande des Weges einen Teutonen
den eine geschickte Kugel getroffen hatte, fanden,
entdeckten sie oft in der Tiefe seiner Taschen
neben goldenen Halsbändern und gestohlenem
Seidenzeug
zwei kleine, gräßlich abgeschnittene Kinderfütze.
Nur mit Widerstreben erörtert man immer und
immer wieder diese Dinge, die eigentlich sich für ein
großes Volk von selbst verstehen sollten.
Die Werkstatt der Kunst.
materiellen Erfolge ebenso Deutschland, wie dies mit
Dalcroze der Kall ist. In demselben Deutschland, in
dem sich für das vielleicht größte deutsche dekorativ-
monumentale Talent Kranz von Stuck noch nirgendwo
die Wandfläche gefunden hat, die ihn davon erlöst,
sein Talent ausschließlich in Staffeleibildern zu ver-
zetteln, sind Hodler gewaltige monumentale Aufträge
in öffentlichen Gebäuden geworden- ja, man hat
schonend darüber hinweggesehen, daß er jene Serien
von „Mähern" und „Baumfällern" in immer und
immer wiederholten Kopien in den deutschen Kunst-
handel warf,- man hätte schon hier erkennen können,
wie Deutschland ihm das reiche Barbarenland war,
dessen gedankenlose Anbetung sich für den intelligenten
„murekiuucl urkiste" in Goldströme verwandeln ließen.
Iaques-Dalcroze, in Wien geboren, der seine
künstlerische Ausbildung zum Teil in Wien genossen
hat, hat als „französischer Schweizer" eine Külle
literarischer Publikationen in französischer Sprache
veröffentlicht, plötzlich fand er die Förderer, die ihm
die Mittel an die Hand gaben, ein durchaus literarisch
zusammengebautes rhgthmisch-musikalisches Sgstem
praktisch zu erproben. Nur Deutsche in ihrem un-
geheuren Idealismus sind dazu fähig. Dalcroze hat
Jahre Zeit gehabt, bei der Ausführung seiner Ideen
die Seele des deutschen Menschen bis ins Innerste zu
erkennen und eine Wertung für sie zu finden, denn
jahrelang hat man ihm deutsche Jugend anvertraut,
jahrelang haben sich geistig und künstlerisch strebende
Deutsche um ihn geschart. Er hat die Wertung, die er
für uns gefunden hat, nun ausgesprochen. Seine
Unterschrift unter dem die deutsche Ehre beschmutzen-
den Pamphlet bezeugt, was er von uns denkt. Offen-
bar fühlt er sich als die durchaus internationale Per-
sönlichkeit, zu der ihn sein Werdegang stempelt, dem
deutschen Nulturbegriffe so überlegen, daß er ihn nur
bespeien kann. Das sind die Tatsachen, die die Em-
pörung gegen Hodler und Dalcroze geweckt haben.
Sind jetzt irgendwelche Gründe vorhanden, daß Deutsch-
land seine Meinung über beide zu revidieren hätte?
Nichts davon! Es bleibt demgegenüber unverständ-
lich, wie sich eine Keder, noch dazu die eines deutschen
Künstlers, finden kann, die dazu auffordert. Wenn der
Verfasser dieses Artikels schreibt: „Hodler, als einer
der Höhepunkte neuer deutscher Kunst betrachtet, gibt
allerdings den nicht erfreulichen Beweis vom trau-
rigen Tiefstand unserer Kunst, der selbst der Glaube
an die Möglichkeit ihrer Befähigung geschwunden
scheint, den Menschen aus den Tiefen des Daseins er-
heben zu können, was doch als ihre vornehmste Auf-
gabe gelten und gerade in diesen Zeiten neben dem
wunderbaren nationalen Aufschwung als besonders
schwer empfunden werden muß", so ist das, wenn auch
sehr unklar ausgedrückt, doch das Beschämendste, was
je über die deutsche Kunst gesagt worden ist, und wenn
das gesagt wird, um einen ausländischen Künstler,
denn Hodler bedankt sich augenscheinlich dafür, als
„südlichster Deutscher" angesehen zu werden, in den
Himmel zu heben, so spricht daraus nichts weiter, als
XIV, Heft 9.
daß jener Bedientengeist, den Goethe schon im deut-
schen Volke beklagt, immer noch nicht ausgestorben ist.
wenn Iaques-Oalcroze nach seinem Auftreten von
einem deutschen Künstler noch in einer weise ver-
himmelt wird, wie dies hier geschieht, so daß von ihm
nur als „Jaques" gesprochen wird, so ist das derselbe
Geist, der sich da offenbart, wir scheinen noch sehr
weit entfernt zu sein von dem, was Krank Wedekind
als das herrlichste und gewaltigste Resultat unseres
ungeheuren Ringens um unsere Kreiheit bezeichnet:
„ein einheitlicher, unantastbarer, selbstverständlicher
vaterlandsstolz." Es ist ganz gewiß keine Gefahr
vorhanden, daß wir Deutsche uns dem, was die
Großen des Auslandes als Unverlierbares der Mensch-
heit schenken, je verschließen werden. Das haben wir
nie getan und sind unfähig, dies zu tun. Aber eins
mutz klar sein: wir verdienen das, was uns geschehen
ist, wenn wir nicht den Mut finden, es mit der vollen
Verachtung für die Persönlichkeiten, die es uns an-
getan haben, zu erwidern, wir verdienen die Ver-
achtung, die uns zuteil wird, wenn wir der Persönlich-
keit eines Dalcroze noch weiter unsere Jugend nicht
nur zu künstlerischer, sondern auch zu „ethisch-sozialer"
Beeinflussung anvertrauen, wenn wir weiter unsere
deutsche Kunst darunter leiden lassen, daß jedes
Eckchen in den Räumen der deutschen Gallerien, des
deutschen geistigen Lebens vollgestopft wird mit der
ganz gleichgültigen Massenware, die jene produzieren.
Bei „euch" kehrt ein, ihr deutschen Künstler, dann
wird auch das deutsche Volk bei euch einkehren,
wertet die großen Auslandstalente als das, wozu
sie euch dienen können, als Anreger. Aber hütet euch
vor Überschätzung und Verhimmelung, die euch hin-
wiederum zwingt, sie geistlos nachzuahmen, um nur
ein paar von den Strahlen der Sonne zu erhaschen,
die ihr ihnen erst geschaffen habt. Zu mindest seid
endlich soviel Deutsche, daß ihr den Mut habt, das
Tafeltuch zwischen euch und denen zu zerschneiden,
die euer deutsches Vaterland und die Kultur eures
Volkes beschimpfen. Sie zeigt sich jetzt wahrlich höher,
als diejenige der sonst so heiß Bewunderten um uns,
die uns die Hunnen, Barbaren, unseren Kaiser den
Attila nennen, die wie jener verhaeren, dem auch wir
das warme Bett gerichtet haben, dichten:
Und wenn sie am Rande des Weges einen Teutonen
den eine geschickte Kugel getroffen hatte, fanden,
entdeckten sie oft in der Tiefe seiner Taschen
neben goldenen Halsbändern und gestohlenem
Seidenzeug
zwei kleine, gräßlich abgeschnittene Kinderfütze.
Nur mit Widerstreben erörtert man immer und
immer wieder diese Dinge, die eigentlich sich für ein
großes Volk von selbst verstehen sollten.
Die Werkstatt der Kunst.