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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/​1915

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Heft 33
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Nichtamtlicher Teil
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Reinold, Ferdinand: Auf dem Feldmarsche durch Galizien: Soldatenbrief eines Malers
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0398

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3A0

Die Werkstatt der Runst.

XIV, heft 33.

Schickt die „Werkstatt der Nunst" ins Zeld!
wir wollen mit unseren Freunden draußen in Fühlung bleiben. Übergebt der Schrift-
leitung belangreiche Feldpostbriefe zur Veröffentlichung

Dicktamriicber Teil.
Auf ciem felLimarfcke ciurck Galizitzn.*)
Soldatenbrief eines Malers.

Ein weites Land mit prächtiger Fernsicht, da-
rüber ein Himmel mit herrlichen Wolkenformationen,
LLrohhäuser, verkrüppelte weiden, schlanke weiße
Birken, Schmutz, Rot, knietiefer Sand, schnurgerade
Landstraßen in fürchterlichem Zustand: — der Rriegs-
schauplatz.
Der erste Eindruck ist ein Ehaos, aber je näher man
diese Gegend kennen lernt, um so mehr erschließen
sich Schönheiten von eigenem Reiz, und man beginnt
das Land zu lieben. Die sanften Übergänge der Felder
dehnen sich meilenweit dahin, und der weg geht durch
verträumte Dörfer, wo kleine strohgedeckte Hütten
sich unter die hohen, bizarrgeformten Silberpappeln
ducken und aus dem bunten Laub die Zwiebeltürme
von Holzkirchlein mit herrlicher architektonischer Wir-
kung hervorragen. Schmutzige Bachläufe, umsäumt
von kleinen grotesken Lumpfweiden, spiegeln das
tiefe Blau des Himmels wieder. Friedlich grasende
Viehherden, kleine unsaubere Rühe, dickbäuchige
Pferdchen, schwarze Lämmer, das Volk mit seinen
prächtigen Nationaltrachten, all dies verklärt von
einer leuchtend goldigen Herbstsonne, — ein Bild
des tiefsten Friedens, — und dies ist der Rriegsschau-
platz.
Nichts deutet oft äußerlich darauf hin, daß hier
schon große Rümpfe stattgefunden, daß der Boden
Menschenblut trank, und man ist versucht, schauend
und träumend diese tiefe Stille zu genießen.
Das einzig Rriegsmätzige in all diesen Frieden
bringen wir selbst, und laut schnatternd und Protest
erhebend verläßt eine Gänseherde die Oorfstratze.
Es geht weiter, und wir erreichen die Heerstraße.
Augenblicklich ist alles verändert: die Straße gleicht
mehr einem Ackerfeld als einer Fahrbahn, sie ist tat-
sächlich gepflügt, und stellenweise sind metertiefe
und mehrere Meter breite Sandgruben.
Jetzt ist alles belebt, meilenlange Verpflegungs-
kolonnen, Truppenzüge, Infanterie, Ravallerie, Ar-
tillerie, Feldspitäler, Verwundeten- und Gefangenen-
transporte, lange Wagenreihen flüchtender Ein-
wohner mit Sack und pack ziehen an uns vorüber, wir
selbst stecken in einer Rolonne. Rechts und links fast
alle 100 Meter liegen Pferdekadaver, oft so im Rot

*) Aus der Monatsschrift „Deutsche Arbeit" (Verlag
Prag I., Palais Elam-Gallas).

der Straße begraben, daß nur ein geübtes Auge diesen
Schlammberg als Pferdeleib erkennen kann, und
schon sieht man stellenweise dunkelrote Flecken — Blut)
Pferdeblut vielleicht, vielleicht auch Menschenblut,
ziehen sich doch längst der Straße verlassene Lauf-
gräben dahin, haben darin die Unsern wacker ge-
fochten? Lind darin die Russen gewesen? wer mag
dies wissen? vielleicht waren es dieselben Russen, die
jetzt an uns vorüberziehen, bewacht von Infanterie
mit aufgepflanztem Bajonett, warst du, blonder
Hüne vom Raukasus, in dieser Erdburg vergraben,
und hat deine braune Hand, die eben jetzt aus der
schmutzigen Pfütze in einem Scherben Wasser schöpft,
Tod und verderben in unsere Reihen gesandt? wer
fragt darnach! Es geht weiter und weiter. Auto-
mobile rasen vorbei, überholen uns, und hoch in den
Lüften rattert und knattert ein Riesenvogel, ein
Doppeldecker, und verschwindet in weiter nördlicher
Ferne, was mag er dort alles sehen? Und nun all
dies übertönend, wie ein fernes Gewitter, der Donner
der Ranonen. Jeder freie Platz an der Straße ist
mit Fuhrwerken bedeckt oder stand als Lagerplatz in
Benutzung. Strohhaufen, leere Konservenbüchsen,
zerbrochene wagen, alles ist voll davon. Und nun
geht's durch ein Dorf, herrenloses Geflügel, zer-
trümmerte Hütten, alles zertreten, zerrissen, zer-
brochen, oft streckt von einer Wohnstube nur der
Ramin sein berußtes Haupt wie klagend zum Himmel,
wo sind sie, die sich an seinem Feuer wärmten zur-
zeit, als noch das Heimchen seinversöhnendes Lied sang?
Nun durch ein anderes Dorf, hier sind an den
Häusern Rreuze — Lholera. Oft ganze Ortschaften
mit jenen Rreuzen versehen, ein wahrer Friedhof.
Eholera — dieses Wort hat einen beängstigenden
Rlang, es erweckt den Gedanken an Elend, Schmutz
und Tod. Jetzt haben wir uns schon daran gewöhnt.
Doch nie werd ich wohl jene Flüchtlingskolonne ver-
gessen, wo das alte Weib am Boden lag, die Verkör-
perung von Elend und Not — umringt von ihren
Rindern und den anderen Armen. Ein Arzt unter-
suchte flüchtig das Weib vom Pferde herab, und
er sprach nur ein Wort — Lholera, — kein Schreck,
keine Angst war auf den Gesichtern der Umstehenden
zu lesen, es war eine Rrankheit, so wie jede andere.
Man gewöhnt sich eben an alles- an Freilager in
Sturm und wind, an tage- und nächtelange Märsche.
 
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