Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0356
DOI Heft:
Heft 30
DOI Artikel:Nichtamtlicher Teil
DOI Artikel:Burgfrieden
DOI Artikel:Wiethüchter, Gustav: Ein Fetwa für den heiligen Frieden unter den deutschen Künstlern während des Kriegs
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3§8
Die Werkstatt der Runst.
XIV, Heft 30.
sich dieMühe geben würde, ihnen das handwerkzu legen,
und sie waren darauf vorbereitet, jedem sogleich mit
der Entgegnung: Burgfrieden! in die Parade zu fahren.
Vie Gefahr der Unterdrückung jeder Kritik liegt
nicht so sehr in der Erhöhung des Umsatzes jener mehr
als zweifelhaften, scheinbaren Kunstwerke als in der
Geschmacksverschlechterung, die beim Publikum sofort
eintreten muß. U)ir dürfen nicht verkennen, daß, so
unsachlich und einseitig häufig die öffentliche Kritik
arbeitet, sie doch in einer Richtung einmütig tätig
gewesen ist: das deutsche Publikum über vollkom-
mene Unwerte nicht im Zweifel zu lassen! Zn der
Beziehung hat der Burgfrieden einen leichten Bei-
geschmack von Faulheit und Gleichgültigkeit! Darum
muß er bekämpft werden.
Zn gleicher weise bedenklich ist aber die Durch-
brechung des Burgfriedens unter dem Deckmantel des
Patriotismus. Es ist auch in diesen Blättern ver-
schiedentlich hervorgehoben worden, daß von jetzt
an nur noch deutsche Kunst für uns Deutsche zu gel-
ten hat, ein verlangen, das wir auf das feurigste
unterstützen werden, wir wollen uns freimachen
von jenen lediglich auf Modefragen und kaufmänni-
schen Erwägungen beruhenden Einschlägen, die einen
großen Teil der modernen Kunst der letzten Jahr-
zehnte gekennzeichnet haben. Vies verlangen um-
schließt aber nicht das Recht, nun jeden deutschen
Künstler, der nach der Meinung des gerade die Fahne
des Vaterlandes schwingenden Kritikers sich der Fran-
zöselei schuldig gemacht hat, in Bausch und Bogen zu
verdammen. Es sind uns Fälle bekannt, wo Kunst-
werke einfach deshalb vom Kritiker verurteilt wur-
den, weil dieser glaubte, den Anklang an das Fran?
zösische darin zu sehen. Er sprach nicht über den
künstlerischen, den ästhetischen wert oder Unwert des
Werkes, sondern über die Vaterlandsfreundlichkeit der
künstlerischen Tat. Er kämpfte somit im Schatten einer
Waffe, gegen die der andere machtlos war, denn:
vaterländische Fragen in die Bewertung eines Kunst-
werkes bringen, bedeutet eine Verschiebung des Ge-
sichtsfeldes, die wir nicht dulden dürfen. Es ist nach
dem großen Kriege von l870/71 gar vieles als Kunst-
werk nur deshalb hoch bewertet worden, weil vs sich
auf die Kriegsereignisse bezog. In der Verurteilung
dieser Verkennung werden wir ebenso einig sein
müssen wie in der des Gegenteils, ein gutes Kunster-
zeugnis abzulehnen, weil es französischen oder sonst
fremden Einflusses scheint, wohlverstanden, eines
Kunstwerkes, wir werden nichts dagegen einwen-
den, wenn ein Kritiker einer geistlosen, aus geschäftlichen
Rücksichten hergestellten Nachäffung Lezannes oder
Gauguins sich widersetzt und dabei zur Bekräftigung
seiner Ablehnung auf die Fremdtümelei hinweist, wir
verlangen aber die ehrliche Anerkennung einer ver-
ständnisvollen Verwertung fremder Kunsterfahrungen.
Erschwert wird ein solcher Bruch des Burgfriedens
da, wo es sich um Werke handelt, deren Urheber im
Felde steht, der sich also gegen eine derartige Kritik
nicht verteidigen kann, wir haben gerade anläßlich der
Vorkommnisse im Münchener Kunstverein von im
Felde stehenden Künstlern entrüstete Zuschriften er-
halten, und diese haben vollkommen recht! wir
dürfen bei der Erörterung solcher Fragen, solange sie
nicht rein vorbereitender Natur bleiben, nicht ver-
gessen, daß auch die draußenstehenden Künstler das
Recht haben, mitzusprechen, ein Recht, das sie sich
nicht erst im eigentlichen Sinne des Wortes zu er-
kämpfen brauchen. Sie, die drautzenstehen, werden
das Leben in ganz anderer weise auffassen, als wir
daheim es ahnen, und sie werden uns überall mit
Recht entgegenhalten können, daß wir ja nicht die
großen Erschütterungen durch gemacht haben, die sie
im Granatenregen erlebten, wir werden ihren Wor-
ten gläubig zuhören und uns beugen. Zn ihrem
Interesse werden wir als Abwesenheitspfleger den
Burgfrieden in der rechten weise auffassen müssen!
Zum gleichen Gedanken geben wir gern nachstehen-
den dichterischen Mahnruf eines älteren Künstlers Raum.
Er wird trotz der ungewohnten Form seine Wirkung
nicht verfehlen. v. B.
bin felna kür cten k eiligen Frieden unter
äen äeutkcken Rünktlern tväkrenck des Kriegs.
von Gustav wiethüchter, Barmen.
Ist nicht der große Krieg über unsere Kunst ge-
kommen,
wie der Schneesturm über einen blühenden Garten,
der durch viel Sorgen und Arbeit des werklichen
Lebens
die liebende, zweckliche pflege entbehrt hat,
in dem sich mancherlei Unkraut breitet
neben den Blumen
und ihnen den Platz nimmt, sich voll zu entfalten?
Antwort: Ia!
Ist es nicht ratsam, unter dem eisigen Brausen
des keimtötenden Schneesturms
den Garten der Blumen in Ruhe zu lassen,
im Frühling,
wenn neues Leben von selber erwacht,
Schmarotzer und anderes Unkraut entfernen,
die alten Triebe sorglich zu pflegen
und Neues zu samen von kundiger Hand?
Antwort: Ia!
Ist es nicht unklug und der Zukunft
der deutschen Kunst schädlich,
unter dem Druck dieses furchtbaren Krieges,
der alle Starken im Felde der Kämpfe vereint
und alle Geschlechter und Stände des Volks
zu siegwollendem Ausharren zwingt,-
der alle stillen und großen Werke
der poetischen Künste klein macht,
die nicht ein Krieg oder ein Hatz der Völker gebar,
Grenzpflöcke und Richtschnur
der deutschen Kunst stecken zu wollen?
Antwort: Za!
Die Werkstatt der Runst.
XIV, Heft 30.
sich dieMühe geben würde, ihnen das handwerkzu legen,
und sie waren darauf vorbereitet, jedem sogleich mit
der Entgegnung: Burgfrieden! in die Parade zu fahren.
Vie Gefahr der Unterdrückung jeder Kritik liegt
nicht so sehr in der Erhöhung des Umsatzes jener mehr
als zweifelhaften, scheinbaren Kunstwerke als in der
Geschmacksverschlechterung, die beim Publikum sofort
eintreten muß. U)ir dürfen nicht verkennen, daß, so
unsachlich und einseitig häufig die öffentliche Kritik
arbeitet, sie doch in einer Richtung einmütig tätig
gewesen ist: das deutsche Publikum über vollkom-
mene Unwerte nicht im Zweifel zu lassen! Zn der
Beziehung hat der Burgfrieden einen leichten Bei-
geschmack von Faulheit und Gleichgültigkeit! Darum
muß er bekämpft werden.
Zn gleicher weise bedenklich ist aber die Durch-
brechung des Burgfriedens unter dem Deckmantel des
Patriotismus. Es ist auch in diesen Blättern ver-
schiedentlich hervorgehoben worden, daß von jetzt
an nur noch deutsche Kunst für uns Deutsche zu gel-
ten hat, ein verlangen, das wir auf das feurigste
unterstützen werden, wir wollen uns freimachen
von jenen lediglich auf Modefragen und kaufmänni-
schen Erwägungen beruhenden Einschlägen, die einen
großen Teil der modernen Kunst der letzten Jahr-
zehnte gekennzeichnet haben. Vies verlangen um-
schließt aber nicht das Recht, nun jeden deutschen
Künstler, der nach der Meinung des gerade die Fahne
des Vaterlandes schwingenden Kritikers sich der Fran-
zöselei schuldig gemacht hat, in Bausch und Bogen zu
verdammen. Es sind uns Fälle bekannt, wo Kunst-
werke einfach deshalb vom Kritiker verurteilt wur-
den, weil dieser glaubte, den Anklang an das Fran?
zösische darin zu sehen. Er sprach nicht über den
künstlerischen, den ästhetischen wert oder Unwert des
Werkes, sondern über die Vaterlandsfreundlichkeit der
künstlerischen Tat. Er kämpfte somit im Schatten einer
Waffe, gegen die der andere machtlos war, denn:
vaterländische Fragen in die Bewertung eines Kunst-
werkes bringen, bedeutet eine Verschiebung des Ge-
sichtsfeldes, die wir nicht dulden dürfen. Es ist nach
dem großen Kriege von l870/71 gar vieles als Kunst-
werk nur deshalb hoch bewertet worden, weil vs sich
auf die Kriegsereignisse bezog. In der Verurteilung
dieser Verkennung werden wir ebenso einig sein
müssen wie in der des Gegenteils, ein gutes Kunster-
zeugnis abzulehnen, weil es französischen oder sonst
fremden Einflusses scheint, wohlverstanden, eines
Kunstwerkes, wir werden nichts dagegen einwen-
den, wenn ein Kritiker einer geistlosen, aus geschäftlichen
Rücksichten hergestellten Nachäffung Lezannes oder
Gauguins sich widersetzt und dabei zur Bekräftigung
seiner Ablehnung auf die Fremdtümelei hinweist, wir
verlangen aber die ehrliche Anerkennung einer ver-
ständnisvollen Verwertung fremder Kunsterfahrungen.
Erschwert wird ein solcher Bruch des Burgfriedens
da, wo es sich um Werke handelt, deren Urheber im
Felde steht, der sich also gegen eine derartige Kritik
nicht verteidigen kann, wir haben gerade anläßlich der
Vorkommnisse im Münchener Kunstverein von im
Felde stehenden Künstlern entrüstete Zuschriften er-
halten, und diese haben vollkommen recht! wir
dürfen bei der Erörterung solcher Fragen, solange sie
nicht rein vorbereitender Natur bleiben, nicht ver-
gessen, daß auch die draußenstehenden Künstler das
Recht haben, mitzusprechen, ein Recht, das sie sich
nicht erst im eigentlichen Sinne des Wortes zu er-
kämpfen brauchen. Sie, die drautzenstehen, werden
das Leben in ganz anderer weise auffassen, als wir
daheim es ahnen, und sie werden uns überall mit
Recht entgegenhalten können, daß wir ja nicht die
großen Erschütterungen durch gemacht haben, die sie
im Granatenregen erlebten, wir werden ihren Wor-
ten gläubig zuhören und uns beugen. Zn ihrem
Interesse werden wir als Abwesenheitspfleger den
Burgfrieden in der rechten weise auffassen müssen!
Zum gleichen Gedanken geben wir gern nachstehen-
den dichterischen Mahnruf eines älteren Künstlers Raum.
Er wird trotz der ungewohnten Form seine Wirkung
nicht verfehlen. v. B.
bin felna kür cten k eiligen Frieden unter
äen äeutkcken Rünktlern tväkrenck des Kriegs.
von Gustav wiethüchter, Barmen.
Ist nicht der große Krieg über unsere Kunst ge-
kommen,
wie der Schneesturm über einen blühenden Garten,
der durch viel Sorgen und Arbeit des werklichen
Lebens
die liebende, zweckliche pflege entbehrt hat,
in dem sich mancherlei Unkraut breitet
neben den Blumen
und ihnen den Platz nimmt, sich voll zu entfalten?
Antwort: Ia!
Ist es nicht ratsam, unter dem eisigen Brausen
des keimtötenden Schneesturms
den Garten der Blumen in Ruhe zu lassen,
im Frühling,
wenn neues Leben von selber erwacht,
Schmarotzer und anderes Unkraut entfernen,
die alten Triebe sorglich zu pflegen
und Neues zu samen von kundiger Hand?
Antwort: Ia!
Ist es nicht unklug und der Zukunft
der deutschen Kunst schädlich,
unter dem Druck dieses furchtbaren Krieges,
der alle Starken im Felde der Kämpfe vereint
und alle Geschlechter und Stände des Volks
zu siegwollendem Ausharren zwingt,-
der alle stillen und großen Werke
der poetischen Künste klein macht,
die nicht ein Krieg oder ein Hatz der Völker gebar,
Grenzpflöcke und Richtschnur
der deutschen Kunst stecken zu wollen?
Antwort: Za!