Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0307
DOI issue:
Heft 26
DOI article:Redaktioneller Teil
DOI article:Ostini, Hans von: Revolution im Kunstverein
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0307
XIV, Heft 26.
Die Werkstatt der Runst.
29Z
versteht sich von selbst. Auch die verrückteste Redensart
in Runstdingen findet ihre Hörer, denn Begabung und
Urteilsfähigkeit wachsen nicht immer auf einem Holz.
Selbst der ungeheure Blödsinn der „Farbenübertta-
gung" wurde begeistert aufgegriffen, und wir sehen im
Treppenhaussaale eine grünblaue Madonna mit brau-
nem Rinde und einen Frauenraub mit grünen und
schokoladefarbigen Akten. Wir sehen anderswo einen
zitronengelben Akt und wir sehen eine ganze Serie von
Bildern, die zum Teil nur aus rechteckigen, vollkom-
men sinnlosen Zarbflecken bestehen, die ganz hübsch
zueinander stehen mögen, aber mit Runst nichts mehr
zu tun haben, als ein paar Dutzend nebeneinander
geklebte farbige Briefmarken. Gerade an diesen Din-
gen ist leicht zu erkennen, wohin der, oft von ganz ernst-
haften Rünstlern vertretene Wahn führt, schöne Farben
seien an sich schon gute Malerei oder doch eine Runst-
leistung! Diese Meinung nimmt gerne auf unsere
älteren Meister Bezug, von denen in den ersten Sälen
der Alten Pinakothek so herrliche Proben weiser
„Farbensgnthese" zu sehen sind. Aber man vergißt
immer wieder, daß das wohlüberlegte Nebeneinander
der Farben doch nur einen Teil dieser großen Runst,
daß in ihr die Innigkeit der Ausführung, die Heraus-
arbeitung des Sachlichen und die Strenge der Form
mindestens ebensoviel bedeutet. Man sieht in den
eckigen Formen der Gotik, in manchen tastenden Er-
scheinungen der Frührenaissance Urbilder des Rubis-
mus. Nur daß der letztere die graueste Theorie der
Übersättigten darstellt, während jenen Alten echte
Naivität, oft kindliches Ungeschick die Hand führten.
Wenn all die neuen Ismen schließlich auf den Weg zu
unseren köstlichen Meistern der Frühzeit zurückführen
— dann handelt es sich doch sicher um einen zwecklosen
und weiten Umweg, auf dem ein großer Aufwand von
Rraft und Willen schmählich vertan wird. Das hätten
wir schneller und billiger haben können!
Die schlechte Form, die an so vielen Bildern
auffällt, geht auf ganz verschiedene Ursachen zurück,
hier auf einen grundsätzlichen Irrtum, dort ganz
gewiß auf Nichtskönnen. Oer grundsätzliche Irrtum,
hinter dem sich auch die Nichtskönner verstecken, sieht
in der Genauigkeit der Form eine Fessel für den Aus-
druck. Das skizzenhafte hinwerfen ist merkwürdiger
als der klare Umriß. Das Ergründen der Form ver-
langsamt das Tempo. Also lustig verzeichnen! Aber
was sich im Skizzenbuch sehr flott ausnimmt, ist eben
im Bilde oft bloß schlecht! Was ein solcher Irrtum für
Unheil anrichten kann, sieht man besonders klar an den
beiden trostlosen Leinwänden von Rarl Hofer - dieser
war einmal eine Hoffnung und ein Talent — heute
steht er auf einem Wege, der ins Nichts führt, und wer
sich weismachen läßt, daß diese hingefegten Frauen-
akte Bilder sind, verdient, daß man sie an seine Wand
hängt. Vas positive an diesen Stücken ließe sich in
handgroßen Skizzenblättchen auch erschöpfen, die gro-
ßen Tafeln sind unerquicklich und leer. Zu den vielen
Mißverständnissen, die hier herrschen, gehört eben auch
die Meinung, man könne die ganze malerische Runst
vom Standpunkt der Wandmalerei, der Dekoration
großer Flächen aus ansehen und umgestalten.
(Ostini.)
Leilungslckau.
In der „Münchener Zeitung" lesen wir:
Vie Neue SezeMon.
verschiedene Umstände tragen dazu bei, daß die
erste Frühjahrsausstellung der „Neuen Mün-
chener Sezession", die am Sonntag eröffnet wor-
den ist, als Ganzes auch auf den einen peinlichen Ein-
druck macht, der nicht gerne das Rind mit dem Bade
ausschütten und alle in ihrem Bereich ans Tageslicht
drängenden Bestrebungen um ihrer Auswüchse willen
gleich totschlagen möchte. Schon die Tatsache, daß diese
Ausstellung in den Räumen des Runstver eins statt-
findet, muß als ein Stilfehler angesehen werden. Es
sind hier weder räumlich die notwendigen Vorbedin-
gungen für eine richtige Wirkung dieser Runst ge-
geben, noch verkehrt unter den Arkaden ein Publikum,
von dem man erwarten könnte, daß es sich für die
Ziele dieser Außenseiter auch nur interessierte. Alles
das liegt dem Runstvereinsbesucher, der für Modernes
sonst durchaus nicht unempfänglich ist, so fern, daß
man wohl begreift, wenn sich seine Enttäuschung
darüber in Spott und hohn, ja sogar in zornigem Pro-
test äußert. Wie soll er auch ein Verhältnis zu einer
Runst gewinnen können, die bewußt und systematisch
alle Brücken zum Laienpublikum abgebrochen hat
und ihren Lohn darin findet, von einem kleinen Rreis
„Wissender" für bedeutend gehalten zu werden?
Aber noch etwas anderes kommt hinzu. Oie künst-
lerischen Ideale dieser Gruppe decken sich nämlich,
von wenigen Ausnahmen abgesehen, so ziemlich mit
den extrem-modernen, auflösenden Tendenzen, die
unter slawischer Beeinflussung in Paris zuerst ge-
pflegt und als alleinseligmachend gepriesen worden
sind. Man hat nun zwar Heuer die Ausländer (be-
sonders die Russen und die Franzosen) von der Liste
gestrichen. Aber machen wir uns nichts vor: Oie meisten
Mitglieder und Gäste dieser Vereinigung sind, so
deutsch auch ihre Namen klingen mögen, doch eifrige
Propagandisten der Runstideale unserer Feinde. Und
war der Unmut über diese geschmackverderbende, alles
solide Rönnen untergrabende Ausländerei schon vor
dem Rriege bei allen Urteilsfähigen auf das höchste
gestiegen, so begreift man um so weniger, woher der-
artige undeutsche Dinge gerade jetzt den Mut nehmen,
sich vorzudrängen.
Man mißverstehe mich nicht: es ist selbstverständ-
lich das gute Recht der Runst, sich ihre Anregungen
von überallher zu holen, und die größten deutschen
Rünstler haben davon reichlichen Gebrauch gemacht.
Aber vom Lernen (will sagen: der eigenen Art
anpassen) im Ausland bis zur völligen Selbst-
preisgabe ist ein weiter Weg, und eben weil
bei den meisten Rünstlern dieser „Neuen Sezession"
Die Werkstatt der Runst.
29Z
versteht sich von selbst. Auch die verrückteste Redensart
in Runstdingen findet ihre Hörer, denn Begabung und
Urteilsfähigkeit wachsen nicht immer auf einem Holz.
Selbst der ungeheure Blödsinn der „Farbenübertta-
gung" wurde begeistert aufgegriffen, und wir sehen im
Treppenhaussaale eine grünblaue Madonna mit brau-
nem Rinde und einen Frauenraub mit grünen und
schokoladefarbigen Akten. Wir sehen anderswo einen
zitronengelben Akt und wir sehen eine ganze Serie von
Bildern, die zum Teil nur aus rechteckigen, vollkom-
men sinnlosen Zarbflecken bestehen, die ganz hübsch
zueinander stehen mögen, aber mit Runst nichts mehr
zu tun haben, als ein paar Dutzend nebeneinander
geklebte farbige Briefmarken. Gerade an diesen Din-
gen ist leicht zu erkennen, wohin der, oft von ganz ernst-
haften Rünstlern vertretene Wahn führt, schöne Farben
seien an sich schon gute Malerei oder doch eine Runst-
leistung! Diese Meinung nimmt gerne auf unsere
älteren Meister Bezug, von denen in den ersten Sälen
der Alten Pinakothek so herrliche Proben weiser
„Farbensgnthese" zu sehen sind. Aber man vergißt
immer wieder, daß das wohlüberlegte Nebeneinander
der Farben doch nur einen Teil dieser großen Runst,
daß in ihr die Innigkeit der Ausführung, die Heraus-
arbeitung des Sachlichen und die Strenge der Form
mindestens ebensoviel bedeutet. Man sieht in den
eckigen Formen der Gotik, in manchen tastenden Er-
scheinungen der Frührenaissance Urbilder des Rubis-
mus. Nur daß der letztere die graueste Theorie der
Übersättigten darstellt, während jenen Alten echte
Naivität, oft kindliches Ungeschick die Hand führten.
Wenn all die neuen Ismen schließlich auf den Weg zu
unseren köstlichen Meistern der Frühzeit zurückführen
— dann handelt es sich doch sicher um einen zwecklosen
und weiten Umweg, auf dem ein großer Aufwand von
Rraft und Willen schmählich vertan wird. Das hätten
wir schneller und billiger haben können!
Die schlechte Form, die an so vielen Bildern
auffällt, geht auf ganz verschiedene Ursachen zurück,
hier auf einen grundsätzlichen Irrtum, dort ganz
gewiß auf Nichtskönnen. Oer grundsätzliche Irrtum,
hinter dem sich auch die Nichtskönner verstecken, sieht
in der Genauigkeit der Form eine Fessel für den Aus-
druck. Das skizzenhafte hinwerfen ist merkwürdiger
als der klare Umriß. Das Ergründen der Form ver-
langsamt das Tempo. Also lustig verzeichnen! Aber
was sich im Skizzenbuch sehr flott ausnimmt, ist eben
im Bilde oft bloß schlecht! Was ein solcher Irrtum für
Unheil anrichten kann, sieht man besonders klar an den
beiden trostlosen Leinwänden von Rarl Hofer - dieser
war einmal eine Hoffnung und ein Talent — heute
steht er auf einem Wege, der ins Nichts führt, und wer
sich weismachen läßt, daß diese hingefegten Frauen-
akte Bilder sind, verdient, daß man sie an seine Wand
hängt. Vas positive an diesen Stücken ließe sich in
handgroßen Skizzenblättchen auch erschöpfen, die gro-
ßen Tafeln sind unerquicklich und leer. Zu den vielen
Mißverständnissen, die hier herrschen, gehört eben auch
die Meinung, man könne die ganze malerische Runst
vom Standpunkt der Wandmalerei, der Dekoration
großer Flächen aus ansehen und umgestalten.
(Ostini.)
Leilungslckau.
In der „Münchener Zeitung" lesen wir:
Vie Neue SezeMon.
verschiedene Umstände tragen dazu bei, daß die
erste Frühjahrsausstellung der „Neuen Mün-
chener Sezession", die am Sonntag eröffnet wor-
den ist, als Ganzes auch auf den einen peinlichen Ein-
druck macht, der nicht gerne das Rind mit dem Bade
ausschütten und alle in ihrem Bereich ans Tageslicht
drängenden Bestrebungen um ihrer Auswüchse willen
gleich totschlagen möchte. Schon die Tatsache, daß diese
Ausstellung in den Räumen des Runstver eins statt-
findet, muß als ein Stilfehler angesehen werden. Es
sind hier weder räumlich die notwendigen Vorbedin-
gungen für eine richtige Wirkung dieser Runst ge-
geben, noch verkehrt unter den Arkaden ein Publikum,
von dem man erwarten könnte, daß es sich für die
Ziele dieser Außenseiter auch nur interessierte. Alles
das liegt dem Runstvereinsbesucher, der für Modernes
sonst durchaus nicht unempfänglich ist, so fern, daß
man wohl begreift, wenn sich seine Enttäuschung
darüber in Spott und hohn, ja sogar in zornigem Pro-
test äußert. Wie soll er auch ein Verhältnis zu einer
Runst gewinnen können, die bewußt und systematisch
alle Brücken zum Laienpublikum abgebrochen hat
und ihren Lohn darin findet, von einem kleinen Rreis
„Wissender" für bedeutend gehalten zu werden?
Aber noch etwas anderes kommt hinzu. Oie künst-
lerischen Ideale dieser Gruppe decken sich nämlich,
von wenigen Ausnahmen abgesehen, so ziemlich mit
den extrem-modernen, auflösenden Tendenzen, die
unter slawischer Beeinflussung in Paris zuerst ge-
pflegt und als alleinseligmachend gepriesen worden
sind. Man hat nun zwar Heuer die Ausländer (be-
sonders die Russen und die Franzosen) von der Liste
gestrichen. Aber machen wir uns nichts vor: Oie meisten
Mitglieder und Gäste dieser Vereinigung sind, so
deutsch auch ihre Namen klingen mögen, doch eifrige
Propagandisten der Runstideale unserer Feinde. Und
war der Unmut über diese geschmackverderbende, alles
solide Rönnen untergrabende Ausländerei schon vor
dem Rriege bei allen Urteilsfähigen auf das höchste
gestiegen, so begreift man um so weniger, woher der-
artige undeutsche Dinge gerade jetzt den Mut nehmen,
sich vorzudrängen.
Man mißverstehe mich nicht: es ist selbstverständ-
lich das gute Recht der Runst, sich ihre Anregungen
von überallher zu holen, und die größten deutschen
Rünstler haben davon reichlichen Gebrauch gemacht.
Aber vom Lernen (will sagen: der eigenen Art
anpassen) im Ausland bis zur völligen Selbst-
preisgabe ist ein weiter Weg, und eben weil
bei den meisten Rünstlern dieser „Neuen Sezession"