Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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Heft 8
DOI Artikel:Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Schütze, Friedrich: Die Bedeutung Ferdinand Hodlers und Jaques-Dalcrozes für das deutsche Volk und seine Kunst
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XIV, Heft 8.
Die Werkstatt der Kunst.
87
ler, die die schönste Hoffnung erwecken auf eine spätere
bedeutungsvolle monumentale deutsche Kunst.
Hodler und Iagues-Oalcroze haben bis zu ihrem
Durchdringen schwere Anfeindungen zu erdulden
gehabt. Für letzteren bestanden große Schwierigkeiten,
auf seinen Schülerdemonstrationsreisen, dem Publi-
kum auch nur in geringem Matze Einblick zu verschaf-
fen in das, was er eigentlich Neues und Grotzes zu
geben hatte. Als aber Iaques im Verein mit anderen
hervorragenden Kräften in der grotz angelegten Er-
ziehungsschule in Hellerau als der rechte Mann am
rechten Platze stand, gewann seine Sache schnell die
Sympathie und Anerkennung weitester Kreise, und
die Erkenntnis der vielseitigen Fruchtbarkeit der Me-
thode auf den verschiedensten Gebieten der Kunst
drang immer mehr durch. Sollte je nach dem natio-
nalen Aufschwung der so lange ersehnte der deutschen
Kunst Wirklichkeit werden, so kann, wenn wirs ernst
nehmen, weder Hodler noch Iagues-Oalcroze über-
gangen werden. Noch haben wir ja leider keine na-
tionale Kunst, die fähig wäre, die fruchtbarsten Kräfte
im Menschen frei zu machen, und dem Volke im Kunst-
werk sein eigenstes ideales Fühlen und Denken wieder-
zuspiegeln. Inwiefern dies aber Iagues-Oalcroze
innerhalb der Möglichkeiten seiner Betätigungs-
sphären schon zum Teil gelungen ist, beweist die glän-
zende, leider von viel zu wenigen erlebte Aufführung
von Glucks Orpheus auf den vorjährigen Schulfesten
. in Hellerau. ,,wovon Wagner träumte, die Einheit
von Sichtbarem und hörbarem, der rhythmische Aus-
druck der Chöre, Parallelität von Musik und Schritt
und Gebärde, die Materialisierung der Musik", das
gelang einem ,,Ausländer" mit der Jugend Deutsch-
lands auf einer deutschen Bühne, wer irgend noch
einen Zweifel hatte an dem wert der Bestrebungen
in Hellerau, mutzte ihn hier ablegen vor der Tatsache,
datz auf keiner Bühne des Zn- und Aus-
landes eine Aufführung zu sehen ist, die
sich an Schönheit und Kunstwürdigkeit mit
dieser vergleichen lietze. „O'est la Premiere kois,
ckepuis les jours cke la Orece, gue l'on voit cke la veri-
table beaute au tlreatre.« Zum ersten Male befrie-
digte darstellende Kunst sozusagenrestlos Auge und Ghr
des Architekten, Bildhauers, Malers und Tondichters.
Dies war nur ein Fest von Schülern ohne Aus-
wahl der besten nach erst zweijährigem Bestehen der
Anstalt. Es war auch nur ein Beleg für einen Teil
der Bestrebungen Iagues-Oalcroze, die der Bühne
und dem Theater eigentlich fernstehen: ,,Zch will das
Schauspiel der Alten wieder aufleben lassen, wo ein
großer Teil des Volkes dem andern einmal im Zahr
ein geistiges und künstlerisches Fest gab, wo Zuschauer
und Spieler dieselbe künstlerische Erregung teilten."
Welche große Anregungen von geradezu reforma-
torischer Bedeutung sich von hier aus auf alle Gebiete
der Kunst, ausgehend von der Musik, auf die darstel-
lenden und bildenden Künste ergeben müssen, liegt
in der Natur der Sache begründet.
Der Schwerpunkt der Zaques-Oalcroze-Bestre-
bungenliegt aber nicht allein auf dem künstlerisch vor-
bereitenden Unterricht, sondern ebenso sehr auf der
ethisch-sozialen Seite. Oie köstliche Art und weise,
wie sich Zaques mit seinen Schülern abgibt, die von
hohem sittlichen Ernst zeugenden Ansprachen an sie,
in denen er mit immer gleicher Frische, Liebe und Ver-
ständnis für ihre individuellen Anlagen, unermüdlich
zu einem Leben der Freude ermuntert, als der Grund-
lage allen fruchtbaren Schaffens und der Möglichkeit
und Hervorlockung dessen, was in einem jeden pro-
duktiv ist, lassen Iagues-Oalcroze ohne weiteres als
den geborenen Erzieher des Volkes für die
Kunst erkennen. Er ist ein großer Kinderfreund. Alle
Knaben und Mädchen der Dorfbewohner, auch schon
die ganz Kleinen, erfreuen sich seines unentgeltlichen
Unterrichts. Das ist auch ein Hinweis aus die nationale
Bedeutung des Unternehmens. von der pflege
deutschen Lebens in der aufblühenden Gartenstadt
zeugt auch die schöne Sitte, datz sich die Zugend des
Ortes am Sonntagmorgen oben auf der wiese am
Walde versammelt, um sich in altdeutschen Tanz- und
Sangesweisen zu ergehen. Auch werden verschiedene
Industrien deutschen Kunsthandwerks auf einer neuen
gesunden Basis dort betrieben.
Mir scheint neben der Neformation der eigentlichen
Bühne, speziell der Oper und Musik, die von Hellerau
erwartet wird, der größte Wert in der Anregung zu
liegen, die dort die künstlerische Produktion jeder Art
schöpfen kann. Merkwürdig ist, datz Iaques anfangs
ästhetische Wirkungen fern lagen, er wollte nur die
geistige Kraft der Schüler stärken und ihren Sinn für
Rhgthmus und Musik entwickeln. Erst später kam
die Erkenntnis: ,,verkörperter Rhgthmus mutz not-
wendig ein schönes Schauspiel bieten." Ballett und
Tanz, überhaupt Ausdrücke, die ans Theater erinnern,
wollen mir nicht recht passen zu der reinen, ernsten,
äußerlich sinnlichem Effekt abgewandten, von den
Franzosen nicht verstandenen Kunst Iaques-Oalcrozes.
was aber wird das Schicksal sein einer aufblühen-
den ersten Schule der Welt, die auch internationale
Bedeutung hat, nachdem ihr der lebengebende Genius
genommen? Geben wir uns dem zuversichtlichen Glau-
ben hin, datz es ihr unter der Führung von Harald
Oohrn, dem Bruder des verstorbenen, im Verein mit
den hervorragenden Kräften der Anstalt und der ur-
wüchsigen deutschen Iugend gelinge, die mit Recht
auf sie gesetzten kühnsten Hoffnungen für unser deut-
sches Volk erfüllen zu können.
warum aber jetzt diese krankhafte Furcht vor der
Auslandskunst, vor dem Romanentum? Verdanken
wir doch gerade seiner Anregung unsere besten Werke!
Machen wir im Bewußtsein unserer Kraft gute Kunst,
dann ist sie von selbst deutsche Kunst! Schwächlinge
wird's immer geben, die einer Moderichtung zum
Opfer fallen, stamme sie, von welcher Seite sie wolle.
Oder wären etwa die in Rom, im Zentrum romani-
scher Suggestion, entstandenen Werke eines Cornelius,
eines Feuerbach und anderer keine deutschen Werke?
Soll aber diese große Zeit nicht fruchtlos an uns
Die Werkstatt der Kunst.
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ler, die die schönste Hoffnung erwecken auf eine spätere
bedeutungsvolle monumentale deutsche Kunst.
Hodler und Iagues-Oalcroze haben bis zu ihrem
Durchdringen schwere Anfeindungen zu erdulden
gehabt. Für letzteren bestanden große Schwierigkeiten,
auf seinen Schülerdemonstrationsreisen, dem Publi-
kum auch nur in geringem Matze Einblick zu verschaf-
fen in das, was er eigentlich Neues und Grotzes zu
geben hatte. Als aber Iaques im Verein mit anderen
hervorragenden Kräften in der grotz angelegten Er-
ziehungsschule in Hellerau als der rechte Mann am
rechten Platze stand, gewann seine Sache schnell die
Sympathie und Anerkennung weitester Kreise, und
die Erkenntnis der vielseitigen Fruchtbarkeit der Me-
thode auf den verschiedensten Gebieten der Kunst
drang immer mehr durch. Sollte je nach dem natio-
nalen Aufschwung der so lange ersehnte der deutschen
Kunst Wirklichkeit werden, so kann, wenn wirs ernst
nehmen, weder Hodler noch Iagues-Oalcroze über-
gangen werden. Noch haben wir ja leider keine na-
tionale Kunst, die fähig wäre, die fruchtbarsten Kräfte
im Menschen frei zu machen, und dem Volke im Kunst-
werk sein eigenstes ideales Fühlen und Denken wieder-
zuspiegeln. Inwiefern dies aber Iagues-Oalcroze
innerhalb der Möglichkeiten seiner Betätigungs-
sphären schon zum Teil gelungen ist, beweist die glän-
zende, leider von viel zu wenigen erlebte Aufführung
von Glucks Orpheus auf den vorjährigen Schulfesten
. in Hellerau. ,,wovon Wagner träumte, die Einheit
von Sichtbarem und hörbarem, der rhythmische Aus-
druck der Chöre, Parallelität von Musik und Schritt
und Gebärde, die Materialisierung der Musik", das
gelang einem ,,Ausländer" mit der Jugend Deutsch-
lands auf einer deutschen Bühne, wer irgend noch
einen Zweifel hatte an dem wert der Bestrebungen
in Hellerau, mutzte ihn hier ablegen vor der Tatsache,
datz auf keiner Bühne des Zn- und Aus-
landes eine Aufführung zu sehen ist, die
sich an Schönheit und Kunstwürdigkeit mit
dieser vergleichen lietze. „O'est la Premiere kois,
ckepuis les jours cke la Orece, gue l'on voit cke la veri-
table beaute au tlreatre.« Zum ersten Male befrie-
digte darstellende Kunst sozusagenrestlos Auge und Ghr
des Architekten, Bildhauers, Malers und Tondichters.
Dies war nur ein Fest von Schülern ohne Aus-
wahl der besten nach erst zweijährigem Bestehen der
Anstalt. Es war auch nur ein Beleg für einen Teil
der Bestrebungen Iagues-Oalcroze, die der Bühne
und dem Theater eigentlich fernstehen: ,,Zch will das
Schauspiel der Alten wieder aufleben lassen, wo ein
großer Teil des Volkes dem andern einmal im Zahr
ein geistiges und künstlerisches Fest gab, wo Zuschauer
und Spieler dieselbe künstlerische Erregung teilten."
Welche große Anregungen von geradezu reforma-
torischer Bedeutung sich von hier aus auf alle Gebiete
der Kunst, ausgehend von der Musik, auf die darstel-
lenden und bildenden Künste ergeben müssen, liegt
in der Natur der Sache begründet.
Der Schwerpunkt der Zaques-Oalcroze-Bestre-
bungenliegt aber nicht allein auf dem künstlerisch vor-
bereitenden Unterricht, sondern ebenso sehr auf der
ethisch-sozialen Seite. Oie köstliche Art und weise,
wie sich Zaques mit seinen Schülern abgibt, die von
hohem sittlichen Ernst zeugenden Ansprachen an sie,
in denen er mit immer gleicher Frische, Liebe und Ver-
ständnis für ihre individuellen Anlagen, unermüdlich
zu einem Leben der Freude ermuntert, als der Grund-
lage allen fruchtbaren Schaffens und der Möglichkeit
und Hervorlockung dessen, was in einem jeden pro-
duktiv ist, lassen Iagues-Oalcroze ohne weiteres als
den geborenen Erzieher des Volkes für die
Kunst erkennen. Er ist ein großer Kinderfreund. Alle
Knaben und Mädchen der Dorfbewohner, auch schon
die ganz Kleinen, erfreuen sich seines unentgeltlichen
Unterrichts. Das ist auch ein Hinweis aus die nationale
Bedeutung des Unternehmens. von der pflege
deutschen Lebens in der aufblühenden Gartenstadt
zeugt auch die schöne Sitte, datz sich die Zugend des
Ortes am Sonntagmorgen oben auf der wiese am
Walde versammelt, um sich in altdeutschen Tanz- und
Sangesweisen zu ergehen. Auch werden verschiedene
Industrien deutschen Kunsthandwerks auf einer neuen
gesunden Basis dort betrieben.
Mir scheint neben der Neformation der eigentlichen
Bühne, speziell der Oper und Musik, die von Hellerau
erwartet wird, der größte Wert in der Anregung zu
liegen, die dort die künstlerische Produktion jeder Art
schöpfen kann. Merkwürdig ist, datz Iaques anfangs
ästhetische Wirkungen fern lagen, er wollte nur die
geistige Kraft der Schüler stärken und ihren Sinn für
Rhgthmus und Musik entwickeln. Erst später kam
die Erkenntnis: ,,verkörperter Rhgthmus mutz not-
wendig ein schönes Schauspiel bieten." Ballett und
Tanz, überhaupt Ausdrücke, die ans Theater erinnern,
wollen mir nicht recht passen zu der reinen, ernsten,
äußerlich sinnlichem Effekt abgewandten, von den
Franzosen nicht verstandenen Kunst Iaques-Oalcrozes.
was aber wird das Schicksal sein einer aufblühen-
den ersten Schule der Welt, die auch internationale
Bedeutung hat, nachdem ihr der lebengebende Genius
genommen? Geben wir uns dem zuversichtlichen Glau-
ben hin, datz es ihr unter der Führung von Harald
Oohrn, dem Bruder des verstorbenen, im Verein mit
den hervorragenden Kräften der Anstalt und der ur-
wüchsigen deutschen Iugend gelinge, die mit Recht
auf sie gesetzten kühnsten Hoffnungen für unser deut-
sches Volk erfüllen zu können.
warum aber jetzt diese krankhafte Furcht vor der
Auslandskunst, vor dem Romanentum? Verdanken
wir doch gerade seiner Anregung unsere besten Werke!
Machen wir im Bewußtsein unserer Kraft gute Kunst,
dann ist sie von selbst deutsche Kunst! Schwächlinge
wird's immer geben, die einer Moderichtung zum
Opfer fallen, stamme sie, von welcher Seite sie wolle.
Oder wären etwa die in Rom, im Zentrum romani-
scher Suggestion, entstandenen Werke eines Cornelius,
eines Feuerbach und anderer keine deutschen Werke?
Soll aber diese große Zeit nicht fruchtlos an uns