Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0119
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Heft 10
DOI Artikel:Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Neumann, Carl: Nationale und internationale Kunst: Deutschland und Frankreich, [2]
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XIV, heft 40.
Die Werkstatt der Runst.
send und irreführend. Liebermann war nur den
Spuren gefolgt, die längst andere gegangen waren,
und hatte kaum Anlaß sich zu verteidigen, und auf der
anderen Seite hatte Thoma nie ein hehl daraus ge-
macht, daß der Franzose Lourbet ihn ,,erlöst" habe.
Es war mit dem großen nationalen Programm vorbei-
die Pendelschwingung ging nach der genau entgegen-
gesetzten Seite. Nicht genug, daß in der ganzen zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts das zarte Pflänzchen natio-
naler Runstanfänge durch die mit Vorliebe sogenannte
neue „klassische" französische Runst entwurzelt und
gebrochen wurde: dieser Rückschlag hat überhaupt
dazu geführt, daß ein neuer Kosmopolitismus auf-
kam, der jede nationale Bindung abstreifte. Oie Feuer-
bach und Marees haben im Glgmp und in hesperion
eine „absolute Runst" gesucht und mit all ihrer Be-
gabung bestenfalls einen deutschen poussinstil ge-
schaffen. Diese zeitlos absoluten Neigungen haben auch
in der Architektur Säulenstil und Rlassizismus wieder
„belebt".
Als der Rrieg ausbrach, war die Lage unserer bil-
denden Runst diese. Als Richtung hatte der franzö-
sische Impressionismus abgewirtschaftet (wir sprechen
hier nur von Richtungen, nicht von Rünstlerpersön-
lichkeiten). Oie Apostel des Impressionismus waren
sichtlich in Verteidigungsstellungen gedrängt. Man
spitzte eben die Ohren, ob nicht der Manetkult des
schönen Vortrags ein wenig zurückebben würde, ob
sich niemand zum Worte melden wolle, der die schlichte
Wahrheit des Treitschkeschen Satzes wieder verkündete:
„Solange die Deutschen dichteten, hatte sich ihnen die
schöne Form immer aus dem reichen Inhalt ergeben,
und wie viele unserer großen Dichter waren nie dazu
gelangt, für ihre hohen Gedanken die rechte künstle-
rische Form zu finden." Inzwischen kamen als natür-
liche Reaktionserscheinungen Expressionismus und
Rubismus empor, zu denen die Maljugend mit klin-
gendem Spiel neuer Phrasen überging. Oie deutsche
Runst wollte sich nirgends zeigen außer in papierenen
Protesten gegen die Begünstiger französischer Runst,
und Papier pflegt in solchem Fall nicht zu genügen.
Jedenfalls war das „germanische Runstfieber", wie
es ein Berliner Museumsdirektor der Lorneliuszeit
spöttisch genannt hatte, gründlich verflogen, und nie-
mandem mag man den Zweifel verübeln, ob über-
haupt eine nationale Runst im Bereich des Mög-
lichen liege.
Und doch mutz man sagen: wenn jetzt aus dem
Schmelztiegel dieses Rrieges und seiner furchtbaren
Glut nicht Einsicht und Antrieb und Einkehr kommt,
dann ist eine der ganz großen Gelegenheiten der Welt-
geschichte verpaßt, hierbei ist weniger auf die Rünst-
ler als auf das Publikum zu rechnen. Vas 19. Jahr-
hundert hat die Rünstler mit dem Dogma ihrer Sou-
veränität mehr als je in ihren Werkstätten abgesperrt.
Der feste halt an einem sicheren Runstwillen und ver-
langen des Publikums hat ihnen gefehlt. Etwas der-
art muß sich in uns neu bilden, eine stille Überein-
stimmung der Geister, ein Besinnen auf uns selber, ein
(U
Erkennen des Programms, das doch trotz Abweichung
und Untreue seit hundert Jahren klar vor Augen steht,
wir alle müssen fühlen und einsehen lernen, was wir
nicht wollen, und dann, was wir wollen.
Oie widerstände in unseren Gepflogenheiten und
Gesinnungen sind freilich ungeheuer. Eine hoch- und
Zwingburg des Franzosentums ragt über uns empor:
die Frauenmode. Sie war von je französisch, weil
die Mode das stärkste Reizmittel der Sinnlichkeit, der
sicherste Bürge des Geschlechtserfolges ist, und weil
seit der Renaissance kein Land so ausschließlich und
inbrünstig den Rult des „Weibes" gepflegt hat wie
Frankreich. Aller Feminismus und alle Erotik haben
dort ein Hauptquartier. Es mag verzweifelt scheinen,
gegen Moden anzukämpfen. Aber das Übel dieser
feminierten Erotik, die der Grundtrieb der Mode ist,
mit seinem unverhüllten Namen zu bezeichnen ,ist
Pflicht, von den Rünstlern und der Runst kam keine
Hilfe und kein Widerspruch. Sie stand im gleichen
Lager wie dieser Feind, wie viele Rünstler waren
nicht begeistert und fanden die jüngste Frauenmode
die schönste von allen! Nie ist die Mode dem ganz
Nackten näher gewesen als vor dem Rrieg, da die
Frauenkleider keinen anderen Zweck hatten, als die
Rörperformen scharf und absichtlich zu verdeutlichen
und bloßzustellen. Nie ist romanische Zügellosigkeit
und romanisch-heidnischer Mangel an Schamgefühl
so auf dem Gipfel gewesen; nie hat Paris, die Heimat
aller süßen Sünden, wie Treitschke sie nannte, so über
unsere Frauenwelt triumphiert wie eben, da der Rrieg
ausbrach.
Gb das furchtbare Geschick unseres Nachbarstaates,
der, man weiß warum, zusammenbricht und in eine
Art von Hellenismus von Bildungsfermenten ohne
politische Rraft degenerieren wird, bekehrend wirken
kann? Sicher wäre es für die Zukunft unserer natio-
nalen Runst das Verhängnisvollste von allem, wenn
in Sachen des Geschmacks unsere tonangebende Frauen-
welt im feindlichen Lager steht. Es wäre die gefähr-
lichste Rlippe unserer Hoffnungen.
Alles kommt darauf an, ob sich ein Wille zu natio-
naler Runst in allen maßgebenden Rreisen bilden kann,
der sich auf deutsche Überlieferung besinnt. Er hätte
den glatten kosmopolitischen Akademismus auszu-
stoßen, er hätte die öffentliche Meinung von dem Bann
eines anmaßlichen internationalen Rennertums zu
befreien, dem Chinesisch, Japanisch, Französisch,
Deutsch vollkommen gleichwertig sind,- er hätte die
Vorstellung eines leeren, unlebendigen Rlassischen aus-
zurotten. Es gilt, das Werk der Romantik aufzuneh-
men und die verschütteten nationalen Quellen zu er-
schließen. viel ist schon geschehen, aber lange nicht ge-
nug, bis wir unsere großen alten Meister nicht bloß
als ein Rapitel internationaler Runstgeschichte, son-
dern als ein lebendiges Stück von uns selber begreifen
lernen, bis wir die Riemenschneider und Altdorfer,
die Grünewald und Dürer, die wundersamen Rupfer-
stecher des 15. Jahrhunderts nicht mehr „häßlich"
finden, weil sie die akademische Richtigkeit vermissen
Die Werkstatt der Runst.
send und irreführend. Liebermann war nur den
Spuren gefolgt, die längst andere gegangen waren,
und hatte kaum Anlaß sich zu verteidigen, und auf der
anderen Seite hatte Thoma nie ein hehl daraus ge-
macht, daß der Franzose Lourbet ihn ,,erlöst" habe.
Es war mit dem großen nationalen Programm vorbei-
die Pendelschwingung ging nach der genau entgegen-
gesetzten Seite. Nicht genug, daß in der ganzen zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts das zarte Pflänzchen natio-
naler Runstanfänge durch die mit Vorliebe sogenannte
neue „klassische" französische Runst entwurzelt und
gebrochen wurde: dieser Rückschlag hat überhaupt
dazu geführt, daß ein neuer Kosmopolitismus auf-
kam, der jede nationale Bindung abstreifte. Oie Feuer-
bach und Marees haben im Glgmp und in hesperion
eine „absolute Runst" gesucht und mit all ihrer Be-
gabung bestenfalls einen deutschen poussinstil ge-
schaffen. Diese zeitlos absoluten Neigungen haben auch
in der Architektur Säulenstil und Rlassizismus wieder
„belebt".
Als der Rrieg ausbrach, war die Lage unserer bil-
denden Runst diese. Als Richtung hatte der franzö-
sische Impressionismus abgewirtschaftet (wir sprechen
hier nur von Richtungen, nicht von Rünstlerpersön-
lichkeiten). Oie Apostel des Impressionismus waren
sichtlich in Verteidigungsstellungen gedrängt. Man
spitzte eben die Ohren, ob nicht der Manetkult des
schönen Vortrags ein wenig zurückebben würde, ob
sich niemand zum Worte melden wolle, der die schlichte
Wahrheit des Treitschkeschen Satzes wieder verkündete:
„Solange die Deutschen dichteten, hatte sich ihnen die
schöne Form immer aus dem reichen Inhalt ergeben,
und wie viele unserer großen Dichter waren nie dazu
gelangt, für ihre hohen Gedanken die rechte künstle-
rische Form zu finden." Inzwischen kamen als natür-
liche Reaktionserscheinungen Expressionismus und
Rubismus empor, zu denen die Maljugend mit klin-
gendem Spiel neuer Phrasen überging. Oie deutsche
Runst wollte sich nirgends zeigen außer in papierenen
Protesten gegen die Begünstiger französischer Runst,
und Papier pflegt in solchem Fall nicht zu genügen.
Jedenfalls war das „germanische Runstfieber", wie
es ein Berliner Museumsdirektor der Lorneliuszeit
spöttisch genannt hatte, gründlich verflogen, und nie-
mandem mag man den Zweifel verübeln, ob über-
haupt eine nationale Runst im Bereich des Mög-
lichen liege.
Und doch mutz man sagen: wenn jetzt aus dem
Schmelztiegel dieses Rrieges und seiner furchtbaren
Glut nicht Einsicht und Antrieb und Einkehr kommt,
dann ist eine der ganz großen Gelegenheiten der Welt-
geschichte verpaßt, hierbei ist weniger auf die Rünst-
ler als auf das Publikum zu rechnen. Vas 19. Jahr-
hundert hat die Rünstler mit dem Dogma ihrer Sou-
veränität mehr als je in ihren Werkstätten abgesperrt.
Der feste halt an einem sicheren Runstwillen und ver-
langen des Publikums hat ihnen gefehlt. Etwas der-
art muß sich in uns neu bilden, eine stille Überein-
stimmung der Geister, ein Besinnen auf uns selber, ein
(U
Erkennen des Programms, das doch trotz Abweichung
und Untreue seit hundert Jahren klar vor Augen steht,
wir alle müssen fühlen und einsehen lernen, was wir
nicht wollen, und dann, was wir wollen.
Oie widerstände in unseren Gepflogenheiten und
Gesinnungen sind freilich ungeheuer. Eine hoch- und
Zwingburg des Franzosentums ragt über uns empor:
die Frauenmode. Sie war von je französisch, weil
die Mode das stärkste Reizmittel der Sinnlichkeit, der
sicherste Bürge des Geschlechtserfolges ist, und weil
seit der Renaissance kein Land so ausschließlich und
inbrünstig den Rult des „Weibes" gepflegt hat wie
Frankreich. Aller Feminismus und alle Erotik haben
dort ein Hauptquartier. Es mag verzweifelt scheinen,
gegen Moden anzukämpfen. Aber das Übel dieser
feminierten Erotik, die der Grundtrieb der Mode ist,
mit seinem unverhüllten Namen zu bezeichnen ,ist
Pflicht, von den Rünstlern und der Runst kam keine
Hilfe und kein Widerspruch. Sie stand im gleichen
Lager wie dieser Feind, wie viele Rünstler waren
nicht begeistert und fanden die jüngste Frauenmode
die schönste von allen! Nie ist die Mode dem ganz
Nackten näher gewesen als vor dem Rrieg, da die
Frauenkleider keinen anderen Zweck hatten, als die
Rörperformen scharf und absichtlich zu verdeutlichen
und bloßzustellen. Nie ist romanische Zügellosigkeit
und romanisch-heidnischer Mangel an Schamgefühl
so auf dem Gipfel gewesen; nie hat Paris, die Heimat
aller süßen Sünden, wie Treitschke sie nannte, so über
unsere Frauenwelt triumphiert wie eben, da der Rrieg
ausbrach.
Gb das furchtbare Geschick unseres Nachbarstaates,
der, man weiß warum, zusammenbricht und in eine
Art von Hellenismus von Bildungsfermenten ohne
politische Rraft degenerieren wird, bekehrend wirken
kann? Sicher wäre es für die Zukunft unserer natio-
nalen Runst das Verhängnisvollste von allem, wenn
in Sachen des Geschmacks unsere tonangebende Frauen-
welt im feindlichen Lager steht. Es wäre die gefähr-
lichste Rlippe unserer Hoffnungen.
Alles kommt darauf an, ob sich ein Wille zu natio-
naler Runst in allen maßgebenden Rreisen bilden kann,
der sich auf deutsche Überlieferung besinnt. Er hätte
den glatten kosmopolitischen Akademismus auszu-
stoßen, er hätte die öffentliche Meinung von dem Bann
eines anmaßlichen internationalen Rennertums zu
befreien, dem Chinesisch, Japanisch, Französisch,
Deutsch vollkommen gleichwertig sind,- er hätte die
Vorstellung eines leeren, unlebendigen Rlassischen aus-
zurotten. Es gilt, das Werk der Romantik aufzuneh-
men und die verschütteten nationalen Quellen zu er-
schließen. viel ist schon geschehen, aber lange nicht ge-
nug, bis wir unsere großen alten Meister nicht bloß
als ein Rapitel internationaler Runstgeschichte, son-
dern als ein lebendiges Stück von uns selber begreifen
lernen, bis wir die Riemenschneider und Altdorfer,
die Grünewald und Dürer, die wundersamen Rupfer-
stecher des 15. Jahrhunderts nicht mehr „häßlich"
finden, weil sie die akademische Richtigkeit vermissen