Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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Heft 14
DOI Artikel:Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Klopfer, Paul: Rede bei der Eröffnung der "Ausstellung zur Unterstützung Weimarer Künstler im Kriegsjahr 1914"
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XIV, heft fq.
Die Werkstatt der Kunst.
zielten Gewinnes eine Kasse gründen will, aus der
den Bedürftigen Darlehen gewährt werden können.
Das klingt trocken und kalt und zahlenmäßig. Und
doch liegt diesem äußeren Hauptzweck, wenn ich so
sagen darf, ein innerer zugrunde, der wertvoller, zu-
kunftsreicher und dauernder sein soll.
Denn wenn heute und morgen eine oder die
andere freigebige Hand ein Kunstwerk kauft und damit
der in dieser Kriegszeit sichtbaren Not der Künstler-
schaft steuern hilft, so ist dies gewiß hoch anzuschlagen.
Uber im Grunde ist dies alles doch nur eine Teilhilfe —
ein vorübergehendes Stillen der Not.
Oer Künstler unserer Tage will mehr.
Und wollen wir selbst, das Publikum, nicht auch
mehr vom Künstler?
Soll uns in diesen hohen Tagen nur das dürre
Mitleid zum Ankauf eines Bildes überreden?
Dürfen wir angesichts des furchtbaren Krieges
uns an der Kunst nicht erfreuen, nicht erfrischen?
Wohl ist Nietzsches Wort richtig: Oer Krieg ist
für die Kultur Schlaf und Winterszeit.
Schlaf und Winterszeit sind aber nichtder
Tod. Für die deutsche Kunst — im engeren Sinne für
die deutsche Malerei — mag dieser Schlaf nicht
bloß wohltuend — er mag sogar nötig sein.
vielleicht, daß ihr ein Erwachen beschert ist, das
sie gekräftigt und mit frischer klarer Seele den neuen
Tag der Weltgeschichte atmen und mit frischen Kräften
zum Werkzeug greifen läßt.
Wie aber der Schlaf kein Tod ist, der Leben und
Wirken der Organe unseres menschlichen Körpers aus-
schaltet, sondern im Gegenteil in stillem Schaffen den
Körper auf die Forderungen des Tages vorbereitet,
so soll auch dieser Schlaf der Kunst kein Stillstand, kein
Tod sein, sondern ein Vorbereiten auf den neuen
Tag.
Es ist unsere Pflicht, dafür Sorge zu tra-
gen, daß unsere deutsche Kunst nicht über-
nächtig dastehe, wenn der Friede im Vater-
lande jubelnd-sieghaften Einzug hält, daß
sie vielmehr frisch, arbeitsbegierig, lebens-
froh gemacht werde! Dazu können nicht bloß
die Maler und Bildhauer, sondern dazu soll
das ganze deutsche Volk helfen!
Seitdem unsere Maler, mehr noch unsere Kunst-
gelehrten und Kritiker, die Malerei zu einer
Wissenschaft gemacht haben, hat sie freilich
den Zusammenhang mit dem deutschen Volke
verloren.
Oie Franzosen Manet, Eezanne, Degas und
Renoir haben in den letzten Jahrzehnten fast
allein die neue deutsche Kunst beherrscht. Aber
die französische Malerei war selbst einmal ab-
hängig von der Kunst eines Nachbarvolkes. Ich er-
innere an die Zeit nach dem siebziger Kriege, die die
Zungen Frankreichs nach England rief, wo sie von
Turner lernten, Landschaften zu malen.
Die Franzosen aber haben sich damals doch nicht
I5Z
an die Engländer verloren, sondern sie fanden sich in
einer von Turner befruchteten französischen Kunst
wieder. England ging es späterhin nicht anders, aber
auch England verlor sich nicht an Frankreich, sondern
zog für seine Malerei Nutzen, ohne sie zu französieren.
Ähnlich unterstanden und unterstehen zum Teil
bis heute auch die deutschen Maler dem Einfluß frem-
der Kunstanschauungen. Max Liebermann holte sich
seine Hellmalerei aus Paris und aus Holland, auch
Fritz von Uhde und nach ihm viele andere Große
taten desgleichen, und heute können wir es laut und
freudig feststellen, daß auch sie sich nicht verloren
haben an das Fremde, sondern es herübergenommen
haben in ihr eigenes malerisches Sehen und Können.
Das, was diese Künstler draußen lernten, war am
Ende das Naturbeobachten, das Sichlosreißen vom
Atelierton, das Sehen von Licht und Luft. Uber
dieses Studium an Werken von Meistern, die solches
Sehen vor ihnen gelernt halten, ist doch nun und nim-
mer etwas, das an sich undeutsch sein könnte, das auch
nur tiefer eindringen könnte als eben bis in das „ma-
lerische Gewissen"!
Wenn noch heute unsere Künstler an den Fran-
zosen lernen, oder an den Engländern, oder an den
Japanern, so braucht das ebenfalls kein undeutsches
Treiben zu sein. Zm Gegenteil: in dem Wechselspiel
des herüber und hinüber frischt sich die Kunstbetätl-
gung auf. Za, wir müssen uns fast davor hüten, in
jenes Fahrwasser zu geraten, in das nach 1870/71
die deutschen Künstler und Kritiker gerissen worden
sind, die damals Liebermann m Grund und Boden
vexurteckten, weil er der erste deutsche Hellmaler war
und die Hellmalerei zum ersten Male durch Millet
und Bastien Lepage drüben in Frankreich gepflegt
wurde!
Die Revolution, die diese Hellmalerei in der Kunst
darstellte, war eben eine Revolution des Sehens,
wenn ich so sagen darf, und gänzlich unabhängig von
allen politischen und nationalen Fragen. Es war
töricht damals, das Nationalgefühl in den Streit
der rein malerischen Auffassungen zu ziehen, wie
es ähnlich töricht sein würde, etwa technische Errungen-
schaften feindlicher Länder geflissentlich zu übersehen
und ungenutzt zu lassen, eben weil sie vom Feinde
stammen.
Antinationat würde es nur gewesen sein, wenn
unsere deutschen Maler dem französischen Einfluß
übers Sehen hinaus unterstanden wären, d. h.
nämlich in sich selbst nicht deutsch gewesen wären. An
Uhde, Liebermann, Leibl, Klinger, Kühl, Kalkreuth
und anderen Großen, die lange Zeit in Paris waren,
ist die französische Kunst nur bis ins malerische Ge-
wissen gegangen, sie waren alle dieselben, die sie vor-
her gewesen waren, als sie von Paris zurückkamen.
Wie viele deutsche Maler aber gibt es
heute, die da glauben, die Kunst selbst, nicht bloß
die Schule des Sehens, läge nur in Paris —
ähnlich wie vor 100 Zähren nur dann einer sich Künstler
nennen durfte, der mindestens ein halbes Zahr in
Die Werkstatt der Kunst.
zielten Gewinnes eine Kasse gründen will, aus der
den Bedürftigen Darlehen gewährt werden können.
Das klingt trocken und kalt und zahlenmäßig. Und
doch liegt diesem äußeren Hauptzweck, wenn ich so
sagen darf, ein innerer zugrunde, der wertvoller, zu-
kunftsreicher und dauernder sein soll.
Denn wenn heute und morgen eine oder die
andere freigebige Hand ein Kunstwerk kauft und damit
der in dieser Kriegszeit sichtbaren Not der Künstler-
schaft steuern hilft, so ist dies gewiß hoch anzuschlagen.
Uber im Grunde ist dies alles doch nur eine Teilhilfe —
ein vorübergehendes Stillen der Not.
Oer Künstler unserer Tage will mehr.
Und wollen wir selbst, das Publikum, nicht auch
mehr vom Künstler?
Soll uns in diesen hohen Tagen nur das dürre
Mitleid zum Ankauf eines Bildes überreden?
Dürfen wir angesichts des furchtbaren Krieges
uns an der Kunst nicht erfreuen, nicht erfrischen?
Wohl ist Nietzsches Wort richtig: Oer Krieg ist
für die Kultur Schlaf und Winterszeit.
Schlaf und Winterszeit sind aber nichtder
Tod. Für die deutsche Kunst — im engeren Sinne für
die deutsche Malerei — mag dieser Schlaf nicht
bloß wohltuend — er mag sogar nötig sein.
vielleicht, daß ihr ein Erwachen beschert ist, das
sie gekräftigt und mit frischer klarer Seele den neuen
Tag der Weltgeschichte atmen und mit frischen Kräften
zum Werkzeug greifen läßt.
Wie aber der Schlaf kein Tod ist, der Leben und
Wirken der Organe unseres menschlichen Körpers aus-
schaltet, sondern im Gegenteil in stillem Schaffen den
Körper auf die Forderungen des Tages vorbereitet,
so soll auch dieser Schlaf der Kunst kein Stillstand, kein
Tod sein, sondern ein Vorbereiten auf den neuen
Tag.
Es ist unsere Pflicht, dafür Sorge zu tra-
gen, daß unsere deutsche Kunst nicht über-
nächtig dastehe, wenn der Friede im Vater-
lande jubelnd-sieghaften Einzug hält, daß
sie vielmehr frisch, arbeitsbegierig, lebens-
froh gemacht werde! Dazu können nicht bloß
die Maler und Bildhauer, sondern dazu soll
das ganze deutsche Volk helfen!
Seitdem unsere Maler, mehr noch unsere Kunst-
gelehrten und Kritiker, die Malerei zu einer
Wissenschaft gemacht haben, hat sie freilich
den Zusammenhang mit dem deutschen Volke
verloren.
Oie Franzosen Manet, Eezanne, Degas und
Renoir haben in den letzten Jahrzehnten fast
allein die neue deutsche Kunst beherrscht. Aber
die französische Malerei war selbst einmal ab-
hängig von der Kunst eines Nachbarvolkes. Ich er-
innere an die Zeit nach dem siebziger Kriege, die die
Zungen Frankreichs nach England rief, wo sie von
Turner lernten, Landschaften zu malen.
Die Franzosen aber haben sich damals doch nicht
I5Z
an die Engländer verloren, sondern sie fanden sich in
einer von Turner befruchteten französischen Kunst
wieder. England ging es späterhin nicht anders, aber
auch England verlor sich nicht an Frankreich, sondern
zog für seine Malerei Nutzen, ohne sie zu französieren.
Ähnlich unterstanden und unterstehen zum Teil
bis heute auch die deutschen Maler dem Einfluß frem-
der Kunstanschauungen. Max Liebermann holte sich
seine Hellmalerei aus Paris und aus Holland, auch
Fritz von Uhde und nach ihm viele andere Große
taten desgleichen, und heute können wir es laut und
freudig feststellen, daß auch sie sich nicht verloren
haben an das Fremde, sondern es herübergenommen
haben in ihr eigenes malerisches Sehen und Können.
Das, was diese Künstler draußen lernten, war am
Ende das Naturbeobachten, das Sichlosreißen vom
Atelierton, das Sehen von Licht und Luft. Uber
dieses Studium an Werken von Meistern, die solches
Sehen vor ihnen gelernt halten, ist doch nun und nim-
mer etwas, das an sich undeutsch sein könnte, das auch
nur tiefer eindringen könnte als eben bis in das „ma-
lerische Gewissen"!
Wenn noch heute unsere Künstler an den Fran-
zosen lernen, oder an den Engländern, oder an den
Japanern, so braucht das ebenfalls kein undeutsches
Treiben zu sein. Zm Gegenteil: in dem Wechselspiel
des herüber und hinüber frischt sich die Kunstbetätl-
gung auf. Za, wir müssen uns fast davor hüten, in
jenes Fahrwasser zu geraten, in das nach 1870/71
die deutschen Künstler und Kritiker gerissen worden
sind, die damals Liebermann m Grund und Boden
vexurteckten, weil er der erste deutsche Hellmaler war
und die Hellmalerei zum ersten Male durch Millet
und Bastien Lepage drüben in Frankreich gepflegt
wurde!
Die Revolution, die diese Hellmalerei in der Kunst
darstellte, war eben eine Revolution des Sehens,
wenn ich so sagen darf, und gänzlich unabhängig von
allen politischen und nationalen Fragen. Es war
töricht damals, das Nationalgefühl in den Streit
der rein malerischen Auffassungen zu ziehen, wie
es ähnlich töricht sein würde, etwa technische Errungen-
schaften feindlicher Länder geflissentlich zu übersehen
und ungenutzt zu lassen, eben weil sie vom Feinde
stammen.
Antinationat würde es nur gewesen sein, wenn
unsere deutschen Maler dem französischen Einfluß
übers Sehen hinaus unterstanden wären, d. h.
nämlich in sich selbst nicht deutsch gewesen wären. An
Uhde, Liebermann, Leibl, Klinger, Kühl, Kalkreuth
und anderen Großen, die lange Zeit in Paris waren,
ist die französische Kunst nur bis ins malerische Ge-
wissen gegangen, sie waren alle dieselben, die sie vor-
her gewesen waren, als sie von Paris zurückkamen.
Wie viele deutsche Maler aber gibt es
heute, die da glauben, die Kunst selbst, nicht bloß
die Schule des Sehens, läge nur in Paris —
ähnlich wie vor 100 Zähren nur dann einer sich Künstler
nennen durfte, der mindestens ein halbes Zahr in