Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0296
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Heft 25
DOI article:Redaktioneller Teil
DOI article:Nissen, Benedikt Momme: Kunstverrohung und Kunstwürde
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288
Die Werkstatt der Kunst.
XIV, Heft 25.
sprach; dieser zeigt entgegen der dem Bayern
eigenen Duldsamkeit eine ganz ungewöhnliche Ent-
schiedenheit. Nach der Meldung mehrerer Blätter
war die Empörung der Besucher bei der Eröffnung
so groß, daß ein ausstellender Maler handgreiflich
wurde. Eine aufgelegte Liste füllte sich rasch mit
Beschwerden. „Staatszeitung" und „Abendzeitung"
berichten von dem ihnen kundgegebenen „Sturm
der Entrüstung". Die „Münchener Zeitung" emp-
fiehlt eine Abkürzung der Ausstellungsfrist. Gründe
genug, dies Zeichen der Zeit ernstlich zu beachten.
was enthält denn der Kunstverein jetzt? Bei
sorgsamer Verdeckung seines Besitzstandes älterer
Gemälde Arbeiten von 82 Künstlernamen, unter
denen ganz wenige durch Formendurchbildung und
geistige Vertiefung so völlig herausfallen, daß sie
das aufrührerische Programm des Ganzen um so
mehr unterstreichen. Hypnotisch gebannt steht man
vor einer neuesten Auslese der Expressionisten, Futu-
risten, Kubisten. Durch die Kriegsflucht tonangebender
Ausländer aus ihren Reihen ist ihre Wesensart
nicht verändert. Man kann leicht die ferngeborenen,
zu Paris gezüchteten Neumaler nennen, die in bunter
Reihe bei diesen „deutschen" Erzeugnissen pathe
standen. Läßt man den Blick über diese Musterkarte
neuester Versuche gleiten, so ist die hier und da
durch pikante Geschicklichkeiten unterbrochene, auf-
dringliche Roheit der Malweise das Augenfälligste
daran. Dann die Unzulänglichkeit der Ausgestaltung,
die bekanntlich durch sinnlose Leitgedanken*) über-
tüncht zu werden pflegt. Beim Betrachten der Dar-
stellungen stößt man immerfort auf Stumpfsinn, Un-
sinn, Wahnwitz. Durch und durch undeutsche Fieb-
rigkeit und Lotterigkeit führen hier um einige Splitter
von Kunstgehalt einen heillosen Lärm auf. Auf
diesem Wege wird das Bestreben: „äußerste Kraft
des Ausdrucks mit dem geringsten Aufwand von
Mitteln zu erreichen" niemals zur Wirklichkeit, son-
dern zur fixen Idee, zum Veitstanz.
Mit der technischen und geistigen paart sich die
sittliche Roheit. Das ist an sich nichts Ungewohntes
mehr. Das Hervorkehren des Geschlechtlichen ist
*) In der „Neuen Kunst" (März tdtH heißt es über
Picasso: „Das stilistische Gleichgewichtsbedürfnis unserer
Kubisten und Futuristen setzt neben die Nase, die sich, an
und für sich, einer einfach-geometrischen Form, dem Drei-
eck nähert, noch dreieckige Wangen, Münder, viereckige
Augen, verteilt plötzlich plumpe Walzen auf Antlitz und
Leib, vergittert den Akt, sieht auf einmal römisches Reti-
culatum, kassetiert das Firmament, und so fort. Das sti-
listische Auswiegen eines Bildes wird zur Hauptsache:
Pflanzen, Tiere, auch Menschen sind Gewichte und Er-
leichterungen." Und Gstini schreibt in den „Münchener
Neuesten Nachrichten" von dieser Richtung, sie werde an
der Kgl. Kunstakademie in Vorlesungen leidenschaftlich
vertreten, an der Kgl. Kunstgewerbeschule nicht minder
sorgfältig gepflegt, sie fei in der Kölner Werkbundausstel-
lung durch noch ärgere Absonderlichkeiten vertreten gewesen
und erfreue sich — was freilich nicht das Geringste für
die Sache beweise — der ganz besonderen Zuneigung einer
Reihe von Berlin aus orientierter jüngerer Museumsleiter.
Genug I
geradezu ein Hauptmerkmal des „vorgeschrittenen"
Ausstellungswesens, mancher Bildersaal war zum
Basar weiblicher Akte geworden. Man wird von
Jahr zu Jahr mehr überrascht durch die völlige
Abgebrühtheit, Selbstverständlichkeit nach dieser Seite
hin. Man bleibt keinen Augenblick im unklaren, in
welcher Gesellschaft man sich befindet. Das wird
durch etliche, besonders deutliche Obszönitäten dann
noch mehr herausgekehrt. Und daneben? Man
schrickt zurück: Jesus, Maria, biblische Vorwürfe.
Za, hier wird neben der Landschaft, dem Stilleben,
dem Bildnis, der Nacktgestalt auch das Religiöse
verschnitten, wenn man auch die Möglichkeit echter
frommer Gefühle in keinem Dunstkreis leugnen
möchte und ein paar Entwürfe zur Verkörperung
heiliger Zdeen teilnahmsvoll ansieht, so überwiegt
doch das Mißratene, Mangelhafte und Schamlose
so sehr, daß man dessen unmöglich froh werden kann.
Aber es ist doch Talent in den Bildern? wo
80 Künstler auftreten, ist immer Talent. Talent
allein schafft noch kein Kunstwerk. Dazu gehört
außerdem sehr viel Können und guter Geschmack,
Zucht und Schulung. Dazu gehört Geistes-, Willens-,
Charakterbildung! Statt dessen ist hier Talent
durchgehends eng verkettet mit Grobheit und Zucht-
losigkeit. Bei solcher Geistigkeit bildet das „Talent"
einen bösen Bodensatz, der keineswegs zur Billigung
dieser Strömungen verführen darf. Da kann es
zum Fluch werden.
Sieht man so viel irrende Kraft wie hier —
und dann noch unter einem Tastversuch den Lorbeer
zum Zeichen, daß der Maler vorm Feinde siel —
so erfaßt uns tiefes Bedauern und inniges Mitleid
mit diesen seelenkranken Brüdern, wie gerne möchte
man helfen, jedem einzelnen alle künstlerische und
kritische Erfahrung mehrerer Zahrzehnte zur Ver-
fügung stellen! Aber die Rücksicht auf Heilung und
die Empfindungen des einzelnen müssen zurückstehen
vor dem Heil des Ganzen. Und da gibt's nur
eine Losung: Fort mit dieser Narretei, die sich größen-
wahnsinnig als Kunst vermummt, fort mit dieser
Zertrümmerung aller werte, dieser Ertötung aller
Selbstzucht und Pietät! wir brauchen heute eine
Künstlerart, die ermannt, veredelt und tröstet, die
statt Fetzen und Scherben klare Spiegelbilder von
Krieg und Frieden, von Natur und Gottheit vor
uns hinstellt. Der ästhetische Mummenschanz aus
den Nachtcafes vor dem Kriege ist aus — hinweg
damit!
Ls steht heute zuviel auf dem Spiele, um über
die Kubistenkünste als „schöne Gelegenheit zum
lachen" ferner hinwegzugehen. Denn die heillose
Geschmacksverderbnis frißt weiter, wenn sie
nicht unterbunden wird. Alle Verirrungen des
menschlichen Geistes wirken wie ansteckende Krank-
heiten. wir betrachten die fragliche Ausstellung
als öffentliches Aergernis und befürworten mit vielen
anderen, trotzdem einige Kunstwerke unverdient ge-
troffen würden, ihre baldigste Schließung. Nach
Die Werkstatt der Kunst.
XIV, Heft 25.
sprach; dieser zeigt entgegen der dem Bayern
eigenen Duldsamkeit eine ganz ungewöhnliche Ent-
schiedenheit. Nach der Meldung mehrerer Blätter
war die Empörung der Besucher bei der Eröffnung
so groß, daß ein ausstellender Maler handgreiflich
wurde. Eine aufgelegte Liste füllte sich rasch mit
Beschwerden. „Staatszeitung" und „Abendzeitung"
berichten von dem ihnen kundgegebenen „Sturm
der Entrüstung". Die „Münchener Zeitung" emp-
fiehlt eine Abkürzung der Ausstellungsfrist. Gründe
genug, dies Zeichen der Zeit ernstlich zu beachten.
was enthält denn der Kunstverein jetzt? Bei
sorgsamer Verdeckung seines Besitzstandes älterer
Gemälde Arbeiten von 82 Künstlernamen, unter
denen ganz wenige durch Formendurchbildung und
geistige Vertiefung so völlig herausfallen, daß sie
das aufrührerische Programm des Ganzen um so
mehr unterstreichen. Hypnotisch gebannt steht man
vor einer neuesten Auslese der Expressionisten, Futu-
risten, Kubisten. Durch die Kriegsflucht tonangebender
Ausländer aus ihren Reihen ist ihre Wesensart
nicht verändert. Man kann leicht die ferngeborenen,
zu Paris gezüchteten Neumaler nennen, die in bunter
Reihe bei diesen „deutschen" Erzeugnissen pathe
standen. Läßt man den Blick über diese Musterkarte
neuester Versuche gleiten, so ist die hier und da
durch pikante Geschicklichkeiten unterbrochene, auf-
dringliche Roheit der Malweise das Augenfälligste
daran. Dann die Unzulänglichkeit der Ausgestaltung,
die bekanntlich durch sinnlose Leitgedanken*) über-
tüncht zu werden pflegt. Beim Betrachten der Dar-
stellungen stößt man immerfort auf Stumpfsinn, Un-
sinn, Wahnwitz. Durch und durch undeutsche Fieb-
rigkeit und Lotterigkeit führen hier um einige Splitter
von Kunstgehalt einen heillosen Lärm auf. Auf
diesem Wege wird das Bestreben: „äußerste Kraft
des Ausdrucks mit dem geringsten Aufwand von
Mitteln zu erreichen" niemals zur Wirklichkeit, son-
dern zur fixen Idee, zum Veitstanz.
Mit der technischen und geistigen paart sich die
sittliche Roheit. Das ist an sich nichts Ungewohntes
mehr. Das Hervorkehren des Geschlechtlichen ist
*) In der „Neuen Kunst" (März tdtH heißt es über
Picasso: „Das stilistische Gleichgewichtsbedürfnis unserer
Kubisten und Futuristen setzt neben die Nase, die sich, an
und für sich, einer einfach-geometrischen Form, dem Drei-
eck nähert, noch dreieckige Wangen, Münder, viereckige
Augen, verteilt plötzlich plumpe Walzen auf Antlitz und
Leib, vergittert den Akt, sieht auf einmal römisches Reti-
culatum, kassetiert das Firmament, und so fort. Das sti-
listische Auswiegen eines Bildes wird zur Hauptsache:
Pflanzen, Tiere, auch Menschen sind Gewichte und Er-
leichterungen." Und Gstini schreibt in den „Münchener
Neuesten Nachrichten" von dieser Richtung, sie werde an
der Kgl. Kunstakademie in Vorlesungen leidenschaftlich
vertreten, an der Kgl. Kunstgewerbeschule nicht minder
sorgfältig gepflegt, sie fei in der Kölner Werkbundausstel-
lung durch noch ärgere Absonderlichkeiten vertreten gewesen
und erfreue sich — was freilich nicht das Geringste für
die Sache beweise — der ganz besonderen Zuneigung einer
Reihe von Berlin aus orientierter jüngerer Museumsleiter.
Genug I
geradezu ein Hauptmerkmal des „vorgeschrittenen"
Ausstellungswesens, mancher Bildersaal war zum
Basar weiblicher Akte geworden. Man wird von
Jahr zu Jahr mehr überrascht durch die völlige
Abgebrühtheit, Selbstverständlichkeit nach dieser Seite
hin. Man bleibt keinen Augenblick im unklaren, in
welcher Gesellschaft man sich befindet. Das wird
durch etliche, besonders deutliche Obszönitäten dann
noch mehr herausgekehrt. Und daneben? Man
schrickt zurück: Jesus, Maria, biblische Vorwürfe.
Za, hier wird neben der Landschaft, dem Stilleben,
dem Bildnis, der Nacktgestalt auch das Religiöse
verschnitten, wenn man auch die Möglichkeit echter
frommer Gefühle in keinem Dunstkreis leugnen
möchte und ein paar Entwürfe zur Verkörperung
heiliger Zdeen teilnahmsvoll ansieht, so überwiegt
doch das Mißratene, Mangelhafte und Schamlose
so sehr, daß man dessen unmöglich froh werden kann.
Aber es ist doch Talent in den Bildern? wo
80 Künstler auftreten, ist immer Talent. Talent
allein schafft noch kein Kunstwerk. Dazu gehört
außerdem sehr viel Können und guter Geschmack,
Zucht und Schulung. Dazu gehört Geistes-, Willens-,
Charakterbildung! Statt dessen ist hier Talent
durchgehends eng verkettet mit Grobheit und Zucht-
losigkeit. Bei solcher Geistigkeit bildet das „Talent"
einen bösen Bodensatz, der keineswegs zur Billigung
dieser Strömungen verführen darf. Da kann es
zum Fluch werden.
Sieht man so viel irrende Kraft wie hier —
und dann noch unter einem Tastversuch den Lorbeer
zum Zeichen, daß der Maler vorm Feinde siel —
so erfaßt uns tiefes Bedauern und inniges Mitleid
mit diesen seelenkranken Brüdern, wie gerne möchte
man helfen, jedem einzelnen alle künstlerische und
kritische Erfahrung mehrerer Zahrzehnte zur Ver-
fügung stellen! Aber die Rücksicht auf Heilung und
die Empfindungen des einzelnen müssen zurückstehen
vor dem Heil des Ganzen. Und da gibt's nur
eine Losung: Fort mit dieser Narretei, die sich größen-
wahnsinnig als Kunst vermummt, fort mit dieser
Zertrümmerung aller werte, dieser Ertötung aller
Selbstzucht und Pietät! wir brauchen heute eine
Künstlerart, die ermannt, veredelt und tröstet, die
statt Fetzen und Scherben klare Spiegelbilder von
Krieg und Frieden, von Natur und Gottheit vor
uns hinstellt. Der ästhetische Mummenschanz aus
den Nachtcafes vor dem Kriege ist aus — hinweg
damit!
Ls steht heute zuviel auf dem Spiele, um über
die Kubistenkünste als „schöne Gelegenheit zum
lachen" ferner hinwegzugehen. Denn die heillose
Geschmacksverderbnis frißt weiter, wenn sie
nicht unterbunden wird. Alle Verirrungen des
menschlichen Geistes wirken wie ansteckende Krank-
heiten. wir betrachten die fragliche Ausstellung
als öffentliches Aergernis und befürworten mit vielen
anderen, trotzdem einige Kunstwerke unverdient ge-
troffen würden, ihre baldigste Schließung. Nach