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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/​1915

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Heft 27
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Nichtamtlicher Teil
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Ernst, Paul: Deutsche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0319

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XIV, Heft 27.

und Liebhabern gemalt haben; etwa die Kunstauf-
fassung Goethes ist typisch für diese Anschauungen,
die ja denn in Deutschland auch ihren stärksten
Rückhalt fanden. Die Engländer haben nicht etwa
irgendwelche richtigeren Einsichten gehabt, sondern
sie folgten einfach ihrem naiven Größenwahn, der
ja in allen Dingen England dem gesamten Kon-
tinent gegenüberzustellen pflegt.
Die deutsche Bescheidenheit, welche in einer,
wenn auch falschen, Kunsttheorie wurzelte, hat ge-
wiß ihren großen Wert; gerade jetzt sollten wir das
nicht vergessen. Sie ist der Ausfluß der vornehmen
Gesinnung, welche das persönliche dem Allgemeinen
unterordnet und das zufällig Eigene dem objektiv
Richtigen. Wir wollen durchaus wünschen, daß die
Nation diese Bescheidenheit behält, denn sie ist gleich-
zeitig sittlich und stark. Aber sie hat mindestens in
diesem Lall schwere Nachteile für uns gehabt.
Man klagt, und oft mit Recht, daß deutsche
Kunst sich zu sehr an fremde Einflüsse verliere; die
notwendige und nützliche Befruchtung durch den
fremden Einfluß gehe zu leicht in Nachahmung über.
Eine der Ursachen dieser Erscheinung ist, daß eigent-
lich kein Mensch weiß: was ist denn deutsche Ma-
lerei. Das rührt aber daher, daß die deutschen
Bilder nirgends systematisch gesammelt sind.
Malerei muß sinnlich verstanden werden. Ge-
lehrsamkeit und Philosophie nützen hier nichts, man
muß die Bilder sehen. Zede Nation nun hat ihre
Eigentümlichkeiten, die sich bis in das Geringste
hinein äußern und, ohne daß die Künstler es wissen,
ganz von selber immer wieder in der Kunst
zum Vorschein kommen. Wenn man Bilder einer
Nation aus der Reihe der Jahrhunderte zusammen-
gestellt vor sich hat, so kann man die Eigentümlich-
keit der Nation sehen; man kann sie selbst bei den
Italienern sehen, bei denen doch in früheren Jahren
jede Stadt eigentlich völlig anders war wie die an-
dere; diese Eigentümlichkeiten bilden dann den Cha-
rakter der betreffenden Kunst. Hat man diesen
Charakter verstanden, dann erst kann man die Kunst-
werke der betreffenden Nation untereinander be-
werten; dann erst haben die lebenden Maler einen
Anhalt, verstehen sie sich selber und wissen, nach
welcher Richtung sie zu gehen haben, dann ver-
schwindet die Nachahmung des Fremden von selber.
Neben dieser pädagogischen Bedeutung für un-
sere lebende Kunst würde eine solche große Sammlung
aber noch eine andere Bedeutung haben. Wenn
wir durch sie den Begriff der deutschen Malerei be-
kämen, wie wir den der italienischen, niederländischen,
spanischen, ja selbst englischen, haben, dann wäre
die ganze Menschheit um eine geistige Erscheinung
reicher. Vergleichen und Abschätzen in solchen Dingen
ist Torheit, vielleicht stellt sich heraus, daß die
deutsche Kunst nicht zu der Größe der italienischen,
nicht zu der Leidenschaft der spanischen, der stillen
malerischen Schönheit der niederländischen Kunst ge-
langt: sie wird dann irgend etwas anderes haben,

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worin sie das Höchste leistet; denn es ist ausge-
schlossen, daß ein Volk wie das deutsche in seiner
Kunst nicht etwas in seiner Art Lnziges geschaffen
haben soll.
Noch sind wir weit entfernt davon, daß eine
solche Sammlung geschaffen wird; es wird noch öf-
ters geschehen müssen, wie bei der Zahrhundertaus-
stellung, daß plötzlich einzelne Meister entdeckt werden,
von denen man keine Ahnung hatte; es wird erst
so weit kommen müssen, daß die deutschen Bilder
auf dem internationalen Bildermarkt Preise erzielen,
bis unsere gelehrten Kunsthistoriker darangehen
werden, sie zu sammeln. So lange muß man sich
mit Ausstellungen begnügen, die eine größere Menge
Bilder für einige Zeit zusammenbringen.
Eine solche Ausstellung war in Darmstadt im
vorigen Jahre. Man hatte deutsche Bilder aus
der Barock- und Rokokozeit zusammengebracht, von
!sb50 bis s800. Reber diese Ausstellung ist jetzt
ein großes Werk erschienen, das Veranlassung zu
diesen Betrachtungen gab*).
Der gewählte Zeitraum ist der denkbar ungün-
stigste für die deutsche Kunst, denn gerade in diesen
anderthalb Jahrhunderten, die dem furchtbaren
dreißigjährigen Kriege folgten, war das materiell
und geistig verarmte Deutschland so ganz auf Nach-
ahmung des Auslands angewiesen. Last bei jedem
der Künstler, von dem etwas abgebildet ist, kann
man auf das ausländische Vorbild Hinweisen, das
ihn beeinflußt hat. Und doch, wenn man alle zu-
sammennimmt: Etwas Gemeinsames haben sie, das
kein Fremder hat, das bei jedem von ihnen den
eigentlichen Reiz ausmacht, auch wenn man den Reiz
nicht immer ganz versteht: es ist das Deutsche in ihnen.
Worin liegt das Deutsche? Zst es die Ehr-
lichkeit, Gewissenhaftigkeit und Treue im Kleinen und
das frische Gefühl, das durch alle Konvention durch-
bricht? Das beständige Nückgehen auf die Natur,
das Ringen mit der Wirklichkeit, der Mut auch zur
Geschmacklosigkeit, die Sicherheit im Konstruktiven
des Bildes? Das sind alles allgemeine Redensarten,
die ich hier gebrauche; aber man kann hier, wo
man so schwer auch nur sich selber klar wird, wo
man die allerverschiedensten Kunstwerke bezeichnen
soll, sich nicht besser ausdrücken. Wie manches der
Bilder erinnert an Holbein und Leibl; wie manches
an Böcklin und Grünewald — man verstehe nicht
falsch: nicht etwa in der Qualität; sondern im Kunst-
ziel und in den Kunstmitteln. Ziel und Mittel der
Kunst haben ja eine Wurzel; sie sind es, die den
Charakter einer Kunst bilden.
Noch ein Moment möge hervorgehoben werden.
Die Kunst erzieht die Menschen; die Menschen
sehen durch die Augen verstorbener Maler, emp-
finden durch das Gemüt verstorbener Dichter. Ls
ist für jede Nation richtig, sich durch die eigenen

*) Georg Biermann, Deutscher Barock und Rokoko.
Leipzig 2 Bände in Lol. mit vielen Bildern.

Die Werkstatt der Kunst.
 
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