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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/​1915

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Heft 32
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380

Die Werkstatt der Kunst.

XIV, Heft 32.

hinübergerettet hat, auch die Pseudokunst ihr Ende finden,
mit der sich der Deutsche bislang gutmütig zufrieden ge-
geben hat. Der Drang der Deutschen, formbildnerisch
Neues in Musik, Dichtung und Kunst aufzunehmen, war
in der letzten Generation so gering, daß man sich die
schlechtesten und fadenscheinigsten Wiederholungen alter
guter Kunstformen gefallen ließ. Das Volk als Ganzes
ahnte wohl den großen Krieg sicherer als der Einzelne
und spannte alle seine Nerven nach ihm. Kunst in solcher
Wartezeit war nicht aktuell, Kunst als volkstat unzeit-
gemäß. Das Volk ahnte, daß es erst durch den großen
Krieg gehen mußte, um sich ein neues Leben und neue
Ideale zu formen. Es behielt recht mit seinem Unwillen,
in elfter Stunde neue Kunstideen aufzunehmen. Man sät
nicht feinen Samen, wenn ein Sturm am Himmel steht.
Er ist schnell hereingebrochen und hat manche zarte Saat
zerstört. Ich glaube nicht, daß viel von dem, was wir
neuen Maler in Deutschland an ungewohnten Kunstformen
vor dem Kriege geschaffen haben, Wurzel fassen konnte,
wir werden von vorne anfangen müssen zu arbeiten; erst
an uns selber in der Schule dieses großen Krieges, dann
an unserm deutschen Volk. Denn wenn das große Auf-
atmen kommt, wird der Deutsche auch wieder nach seiner
Kunst fragen, ohne die er in keiner reifen Zeit war. Er
war Bildner in der Gotik, Dichter und Musiker im Jahr-
hundert und wird wieder Bildner im 20. Jahrhundert sein.
Wir Deutsche sind seit der Gotik formbildnerisch unsagbar
arm geworden; wir besorgten anderes für die Welt; heute
besorgen wir das Letzte: diesen entsetzlichen Krieg. Wer
ihn draußen miterlebt und das neue Leben ahnt, das wir
uns mit ihm erobern, der denkt wohl, daß man den neuen
Wein nicht in alte Schläuche faßt. Wir werden das neue
Jahrhundert mit unserm neuen formbildnerischen willen
durchsetzen."
(Kunstgewerbeblatt, Aprilheft, Verlag E. A. Seemann.)

In der „Münchener kritischen Rundschau" wird
geschrieben:
München als Kunststadt?
Man kann den Charakter einer Kunststadt nicht von
dem ihrer Bewohner trennen. Nur tolerante Zurückhaltung
des Publikums erlaubt die ungehinderte Entwicklung der
Kunst. In München hat man oft erlebt, wie das erst
verlachte und Angefeindete sich hernach Geltung und Ach-
tung erwarb. Der Münchner hat einsehen gelernt, daß
der Laie kein Recht hat, über Neues in der Kunst, das er
nicht versteht, abzuurteilen, wenn sich die Künstler, die zu
anderen Fahnen schwören, auch noch so sehr dagegen empören.
Nur in München darf es der Kunstverein wagen, seinen
Mitgliedern auch die Moderne vorzuführen. Das Publikum
weiß, daß die Vereinigung der Jungen, die Neue Münchner
Sezession, zum größten Teil aus Leuten besteht, die früher
in der Sezession ausstellten. Das genügt ihm als Garantie
für den Ernst ihres Strebens, mag es ihn auch nicht ohne
weiteres aus ihren Arbeiten entnehmen können.
Nun aber ist eine Protestbewegung gegen diese Aus-
stellung eingeleitet worden. Sie hat zu Kundgebungen
geführt, die so gar nicht münchnerisch waren, weil der Haß
aus ihnen sprach. Haß in Kunstdingen und das Bestreben,
die Gehaßten zu unterdrücken, kann nur von Kollegen aus-
gehen. Für München gibt es keine andere Möglichkeit.
Es ist nicht nötig, diese Auffassung durch bereits vorliegende
Beweise zu stützen.
Ls geht um mehr als um den Kunstverein: um das An-
sehen Münchens als Kunststadt. Wikd die traditionelle
Toleranz ihrer Bewohner standhalten? Die Gefahr ist frei-
lich nicht gering. Man beurteilt andere meist nach sich
selbst. Mancher wird daher dem Protest beistimmen, weil
er nicht daran denkt, daß nicht ganz unbefangene Beweg-
gründe, die ja der Haß allein schon kennzeichnet, zu dieser
für München ungewöhnlichen Verallgemeinerung des alt-

gewohnten Gegensatzes zwischen alter und neuer Kunstüber-
zeugung geführt haben.
wird es dazu kommen, daß im Jahre die Jungen
in ihrem Streben von den Kunstfreunden der Stadt behin-
dert werden, deren Bewohner bisher die Künstler ihre un-
vermeidlichen Meinungsverschiedenheiten unter sich erledigen
ließen und sich durch ihre wohlwollende Toleranz auch den
Jungen gegenüber den Ehrennamen wahrer Kunstfreunde
erwarben? Wird Unbesonnenheit den Ruf Münchens als
Kunststadt gefährden?
Der Verfasser dieser Zeilen, Or. Adolf Saager, hat
unseren ganzen Beifall, soweit er das Publikum in seine
Schranken zurückweist. Ls hat nicht darüber zu entscheiden,
ob ein Kunstwerk patriotisch ist oder nicht. Wenn es eine
Arbeit ablehnt, so mag es das durch Nichtkaufen tun; das
Gute und wahre bricht sich schließlich doch Bahn.
Im gleichen Blatt schreibt Friedrich Markus
Huebner u. a. über diese Frage:
„Die Verfehlung der Münchner Neuen Sezession, die
Verfehlung auch des gastfreien und weit vorausblickenden
Vorstands jenes Kunstvereins, wo man bisher nur Aus-
stellungen belangloser Akademiker zu zeigen wagte, besteht
darin, daß sie beide an die Größe und die Gewalt der
Zeit einen Glauben hegten, der offenbar mit den Tatsachen
nicht übereinstimmt. Die Zeit fühlt bürgerlich. Sie klam-
mert sich, in Gemüt und willen, an jede Tugend, die
erprobt ist, die dämpft, die Maß hält. Der Mensch darf
sich entfesseln auf Flanderns, auf Rußlands Schlachtfeldern,
jedoch nur dort. Für Umwälzungen des Geistes, für den
schöpferischen Ruck heraus aus ewig geistigen Uebernommen-
heiten ist Gelegenheit und Erlaubnis immer erst im Frieden.
Beides zusammen, jetzt, als ein Vorgang polar einsetzender,
polar ausschwingender Notwendigkeit, wird abgelehnt.
R. B., der Kritiker der Münchner Zeitung, schreibt:
„Wenn die Kunstvereinsleitung sich dazu entschlösse, die
bis Ende März vorgesehene Dauer der Ausstellung abzu-
kürzen, so fände das gewiß den Beifall aller deutschemxfin-
denden Kunstfreude." Man soll sich diesen Rat weislich
überlegen. Die Stimme der Vielzuvielen gibt ihn. Die-
selben werden nie ahnen, daß dieser Krieg und die Kunst-
entwicklung des Expressionismus aus der einen und glei-
chen Wurzel des Geschehens geschossen sind. Sie werden
nie ahnen, daß der Wille zur Tat, zur Schöpfung, zur Ord-
nung neuer Wirklichkeit, welcher das soldatische Deutschland
erfüllt, ebenso stark, ebenso unerbittlich die Künstler einer
neuen Arbeits- und Ausdrucksweise nachzueifern heißt."
Das ist ebenso sicher richtig, wie es uns zweifelhaft
erscheint, ob das, was einige Leute mit dem sinnlosen
Ausdruck „Expressionismus" bezeichnen, wirklich einer
Kunstentwicklung zu verdanken ist und nicht vielmehr
kunsthändlerischem Spekulationsgeist.
Huebner fährt fort:
„Die Zeit ist zu ängstlich, um ihre ganze
Fülle, ihre an allen Punkten ansetzenden Möglichkei-
ten gewahr zu werden. Sie wirft sich auf das Nächststehen-
de. Sie muß, weil sie nicht wagt, die Füße vom Boden
zu heben, den bürgerlichen Anschauungskreis heilig sprechen,
den Begriff des Helden, den unseres völkischen Auftrags
und selbst den der Gottheit aufs Maß des Bürgerlichen brin-
gen, alle Regungen übernationalen Charakters aber als
schädigend und entsittlichend mit Verruf belegen. Nützt
es gegen den Stachel zu löken? Nach dem Kriege wollen
wir desto fröhlicher den Scharfmachern und Kitschvestalinen
auf die Finger klopfen."
Das wollen wir von ganzem Herzen, aber warum
erst nach dem Kriege? Denn „Kitschvestalinen" (mit
der gleichen Kühnheit im Bilde könnte man auch von
Kitschvestalen reden) finden sich in nicht geringerer Zahl,
wenn auch mit der geschickten Maske der Neusucht ver-
deckt, unter jenen, die Huebner sicher nicht meint.
Schriftltg.
 
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