Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0523
DOI Heft:
Heft 42
DOI Artikel:Nichtamtlicher Teil
DOI Artikel:Waldmann, Emil: Nationale und internationale Kunstpflege
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XIV, Heft §2.
Die Werkstatt der Kunst.
5s5
deutsche Museen und Privatsammlungen mit Zu-
loagas versorgt wurden, da machte sich kein Protest
dagegen geltend, niemand fragte: „Was soll uns
dieser Ausländer?" Im Gegenteil, Künstler und
Sammler, die im Jahre so recht eigentlich
am Herd des Künstlerprotestes saßen, förderten Zu-
loaga tapfer, ihr nationales Herz entdeckten sie da-
mals noch nicht, angesichts dieses Künstlers, der sich
auf dem Niveau der besseren neueren Münchener
Malerei hält. Und als etwa gleichzeitig die andre
Mode aus Schottland kam mit den famosen „boys
of Glasgow", da war auch eitel Entzücken, niemand
fand etwas dabei und keiner sagte, daß wir dies
alles vor vierzig Jahren in Deutschland bei Burnitz,
Lysen und Buchholz eigentlich schon reichlich so gut
am eigenen Leibe erfahren hatten. Die Bedürfnis-
frage, ob wir Deutschen dergleichen Mittelgut wie
Zuloaga und dergleichen Niveaukunst wie bei den
Schotten erst importieren müßten, wurde nicht ge-
stellt, ebensowenig wie den kurz nacheinander auf-
tretenden Moden von Hammershoi und Liljefors,
an deren Propagierung merkwürdigerweise wieder
dieselben Kreise wirksam beteiligt waren, die sich
dann nachher beim Antifranzosenprotest hervortaten.
Man könnte einwenden: Hammershoi nnd Liljefors
und die Schotten seien, als Skandinavier und Eng-
länder, Germanen, ihr Lharakter sei dem deutschen
Lharakter sehr verwandt, und der Streit gehe gar
nicht um Völker, sondern um Rassen, und alles
Germanische gehöre zusammen gegen alles Roma-
nische. Aber das ist ein Trugschluß. Einmal paßt
Zuloaga als Romane nicht in das System, und
andrerseits entzündete sich ja der Künstlerprotest von
an dem Ankauf eines Gemäldes von van
Gogh für die Bremer Kunsthalle, eines Holländers
also, eines Germanen, der so ganz und gar nichts
Französisches hat und in seinen reifen, einzig ent-
scheidenden Werken sogar antifranzösisch ist. Ja,
nicht einmal vor französischer Malerei macht der
deutsche Nationalismus im Ernstfall immer Halt.
Noch ganz kürzlich hat einer der hauptsächlichsten
Führer und Anreger der Protestbewegung ein paar
Bilder einer ganz unbeträchtlichen pariser Salon-
größe, eines gewissen Piet, einem deutschen Privat-
sammler mit Erfolg empfohlen.
Ls ist also, genau genommen, weder die Natio-
nalitäts- noch die Rassenfrage, um die es sich bei
dieser ausschließlich den großen Franzosen gewid-
meten Feindschaft handelt. Sondern es ist wohl
nichts weiter als die alte instinktive Abneigung der
Mittelmäßigkeit gegen das wahre Talent. Piet mag
als harmlos passieren, von da droht keine Gefahr,
und die Mittelmäßigkeit aller Länder verträgt sich
immer sehr schnell miteinander, wenn man aber
die wirklich schöpferischen Meister einer fremden
Nation in Deutschland propagiert, so hat die Mittel-
mäßigkeit davon natürlich keinen Vorteil. Hier geht
es nicht um Gegenseitigkeit. Die großen Meister
haben nie Zeit sich um den Export ihrer Werke zu
kümmern, von ihnen aber kann Gefahr drohen.
Einmal moralisch, weil der Maßstab, den man ihrem
Schaffen entnimmt, den Leuten kleineren Wuchses
verhängnisvoll wird, dann aber auch materiell, weil
die Werke der Großen, wie alles Gute, so teuer
sind, daß dabei die billige Mittelmäßigkeit (die aber,
wie Zuloaga, relativ doch sehr teuer ist) an Ab-
satzgebiet verlieren muß. Man kann also, paradox,
sagen, daß das nationale Herz erst jenseits der
sOOOO-Mark-Grenze an zu schlagen fängt.
Ls soll hier von ferne nicht behauptet werden,
daß diese Verhältnisse den deutschen Nationalisten
bei ihrem Vorgehen klar vor Augen standen oder
daß sie gar überlegt und berechnet waren. Im
Gegenteil, die Nationalisten sind fast alle sehr auf-
richtig und von der moralischen Güte ihrer Sache
vollkommen überzeugt. Sie wollen das Deutsche
und nur das Deutsche, weil es nun einmal deutsch
ist, und da auch sie Partei sind mit diesem gefühls-
mäßigen Argument, werden sie des in ihrem Unter-
bewußtsein heimlich bohrenden Selbsterhaltungstriebes
im Eifer des Gefechtes nicht gewahr, vielleicht
hat folgende, schon vor dem Kriege niedergeschriebene
Formel Aussicht auf einige Beachtung und Prüfung:
National bis ins Mark, ja wenn es sein muß oder
auch wenn es nicht sein muß: chauvinistisch bis auf
die Knochen wenn es sich um Dinge handelt, die
wir bei uns ebensogut und besser haben als die
Andren; und fort mit allem, was dem Maßstab
Zuloaga entspricht. Aber, wenn es sich um Dinge
handelt, die besser sind, als das Mittelmaß, dann
hören die Grenzen auf. „Es ist des Höchsten nicht
soviel über die Erde zerstreut, daß heute ein Volk
sagen könnte, wir genügen uns vollständig oder
auch nur, wir bevorzugen das Einheimische, hält
man es doch nicht einmal wegen der Industrie-
produkte so, sondern greift bei gleicher Qualität,
Zoll und Transport mitberechnet, einfach nach dem
wohlfeileren, oder, bei gleichen Preisen, nach dem
Besseren. Im geistigen Gebiet muß man einfach
nach dem Höheren und Höchsten greifen, das man
erreichen kann." Das schrieb Jakob Burckhardt.
Ls sind einige Schwierigkeiten der Fragestellung
noch zu beleuchten. Auch die besten und vorurteils-
losesten unter den Vertretern des Nationalismus
pflegen zu argumentieren: „warum sollen wir fran-
zösische Bilder sammeln, die Franzosen sammeln ja
auch keine deutschen Bilder." Abgesehen davon,
daß die große französische Malerei, von Delacroix
bis inklusive Lezanne, als Ganzes genommen, nicht
nur rein nationale Bedeutung hat und im sy. Jahr-
hundert etwa die Nolle spielt, welche im s7. Jahr-
hundert die holländische innehatte, daß sie sehr oft
die allgemein befruchtende war — auch abgesehen
davon ist die Forderung unberechtigt. Die Franzosen
können zu der wesentlich nationalen deutschen Ma-
lerei kein Verhältnis finden, unsre Malerei ist, zu
unsrem Glück, wesentlich auf spezifisch deutschem
Empfinden aufgebaut. Böcklin und Thoma wenden
Die Werkstatt der Kunst.
5s5
deutsche Museen und Privatsammlungen mit Zu-
loagas versorgt wurden, da machte sich kein Protest
dagegen geltend, niemand fragte: „Was soll uns
dieser Ausländer?" Im Gegenteil, Künstler und
Sammler, die im Jahre so recht eigentlich
am Herd des Künstlerprotestes saßen, förderten Zu-
loaga tapfer, ihr nationales Herz entdeckten sie da-
mals noch nicht, angesichts dieses Künstlers, der sich
auf dem Niveau der besseren neueren Münchener
Malerei hält. Und als etwa gleichzeitig die andre
Mode aus Schottland kam mit den famosen „boys
of Glasgow", da war auch eitel Entzücken, niemand
fand etwas dabei und keiner sagte, daß wir dies
alles vor vierzig Jahren in Deutschland bei Burnitz,
Lysen und Buchholz eigentlich schon reichlich so gut
am eigenen Leibe erfahren hatten. Die Bedürfnis-
frage, ob wir Deutschen dergleichen Mittelgut wie
Zuloaga und dergleichen Niveaukunst wie bei den
Schotten erst importieren müßten, wurde nicht ge-
stellt, ebensowenig wie den kurz nacheinander auf-
tretenden Moden von Hammershoi und Liljefors,
an deren Propagierung merkwürdigerweise wieder
dieselben Kreise wirksam beteiligt waren, die sich
dann nachher beim Antifranzosenprotest hervortaten.
Man könnte einwenden: Hammershoi nnd Liljefors
und die Schotten seien, als Skandinavier und Eng-
länder, Germanen, ihr Lharakter sei dem deutschen
Lharakter sehr verwandt, und der Streit gehe gar
nicht um Völker, sondern um Rassen, und alles
Germanische gehöre zusammen gegen alles Roma-
nische. Aber das ist ein Trugschluß. Einmal paßt
Zuloaga als Romane nicht in das System, und
andrerseits entzündete sich ja der Künstlerprotest von
an dem Ankauf eines Gemäldes von van
Gogh für die Bremer Kunsthalle, eines Holländers
also, eines Germanen, der so ganz und gar nichts
Französisches hat und in seinen reifen, einzig ent-
scheidenden Werken sogar antifranzösisch ist. Ja,
nicht einmal vor französischer Malerei macht der
deutsche Nationalismus im Ernstfall immer Halt.
Noch ganz kürzlich hat einer der hauptsächlichsten
Führer und Anreger der Protestbewegung ein paar
Bilder einer ganz unbeträchtlichen pariser Salon-
größe, eines gewissen Piet, einem deutschen Privat-
sammler mit Erfolg empfohlen.
Ls ist also, genau genommen, weder die Natio-
nalitäts- noch die Rassenfrage, um die es sich bei
dieser ausschließlich den großen Franzosen gewid-
meten Feindschaft handelt. Sondern es ist wohl
nichts weiter als die alte instinktive Abneigung der
Mittelmäßigkeit gegen das wahre Talent. Piet mag
als harmlos passieren, von da droht keine Gefahr,
und die Mittelmäßigkeit aller Länder verträgt sich
immer sehr schnell miteinander, wenn man aber
die wirklich schöpferischen Meister einer fremden
Nation in Deutschland propagiert, so hat die Mittel-
mäßigkeit davon natürlich keinen Vorteil. Hier geht
es nicht um Gegenseitigkeit. Die großen Meister
haben nie Zeit sich um den Export ihrer Werke zu
kümmern, von ihnen aber kann Gefahr drohen.
Einmal moralisch, weil der Maßstab, den man ihrem
Schaffen entnimmt, den Leuten kleineren Wuchses
verhängnisvoll wird, dann aber auch materiell, weil
die Werke der Großen, wie alles Gute, so teuer
sind, daß dabei die billige Mittelmäßigkeit (die aber,
wie Zuloaga, relativ doch sehr teuer ist) an Ab-
satzgebiet verlieren muß. Man kann also, paradox,
sagen, daß das nationale Herz erst jenseits der
sOOOO-Mark-Grenze an zu schlagen fängt.
Ls soll hier von ferne nicht behauptet werden,
daß diese Verhältnisse den deutschen Nationalisten
bei ihrem Vorgehen klar vor Augen standen oder
daß sie gar überlegt und berechnet waren. Im
Gegenteil, die Nationalisten sind fast alle sehr auf-
richtig und von der moralischen Güte ihrer Sache
vollkommen überzeugt. Sie wollen das Deutsche
und nur das Deutsche, weil es nun einmal deutsch
ist, und da auch sie Partei sind mit diesem gefühls-
mäßigen Argument, werden sie des in ihrem Unter-
bewußtsein heimlich bohrenden Selbsterhaltungstriebes
im Eifer des Gefechtes nicht gewahr, vielleicht
hat folgende, schon vor dem Kriege niedergeschriebene
Formel Aussicht auf einige Beachtung und Prüfung:
National bis ins Mark, ja wenn es sein muß oder
auch wenn es nicht sein muß: chauvinistisch bis auf
die Knochen wenn es sich um Dinge handelt, die
wir bei uns ebensogut und besser haben als die
Andren; und fort mit allem, was dem Maßstab
Zuloaga entspricht. Aber, wenn es sich um Dinge
handelt, die besser sind, als das Mittelmaß, dann
hören die Grenzen auf. „Es ist des Höchsten nicht
soviel über die Erde zerstreut, daß heute ein Volk
sagen könnte, wir genügen uns vollständig oder
auch nur, wir bevorzugen das Einheimische, hält
man es doch nicht einmal wegen der Industrie-
produkte so, sondern greift bei gleicher Qualität,
Zoll und Transport mitberechnet, einfach nach dem
wohlfeileren, oder, bei gleichen Preisen, nach dem
Besseren. Im geistigen Gebiet muß man einfach
nach dem Höheren und Höchsten greifen, das man
erreichen kann." Das schrieb Jakob Burckhardt.
Ls sind einige Schwierigkeiten der Fragestellung
noch zu beleuchten. Auch die besten und vorurteils-
losesten unter den Vertretern des Nationalismus
pflegen zu argumentieren: „warum sollen wir fran-
zösische Bilder sammeln, die Franzosen sammeln ja
auch keine deutschen Bilder." Abgesehen davon,
daß die große französische Malerei, von Delacroix
bis inklusive Lezanne, als Ganzes genommen, nicht
nur rein nationale Bedeutung hat und im sy. Jahr-
hundert etwa die Nolle spielt, welche im s7. Jahr-
hundert die holländische innehatte, daß sie sehr oft
die allgemein befruchtende war — auch abgesehen
davon ist die Forderung unberechtigt. Die Franzosen
können zu der wesentlich nationalen deutschen Ma-
lerei kein Verhältnis finden, unsre Malerei ist, zu
unsrem Glück, wesentlich auf spezifisch deutschem
Empfinden aufgebaut. Böcklin und Thoma wenden