Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0553
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Heft 44
DOI article:Nichtamtlicher Teil
DOI article:Knopf, Julius: Die Kunst geht nach Brot
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XIV, Heft
Die Werkstatt der Kunst.
5H5
mal was sie verstehen. Hier haben Sie Papier,
drei Bleistifte von verschiedenen Härten und einen
Radiergummi. Und nun legen Sie los! Zeichnen
Sie irgend etwas, was Ihnen liegt. Dementspre-
chend sollen Sie etwas von mir bekommen."
Der struppige Prüfling sieht verdutzt darein,
setzt sich aber gehorsam, kratzt sich den Kopf und
starrt auf das weiße Papier. Dann kaut er an
dem Bleistift Nr. H betrachtet ungewiß den zweiten,
spielt mit dem dritten nnd läßt den Radiergummi
in die Westentasche verschwinden. Schließlich faßt
er einen Entschluß, nimmt alle Kraft zusammen,
sammelt die schäbigen Lrinnerungsreste früheren
Zeichenunterrichts und zieht gerade und krumme
Linien, deren Gesamtbild man bei lebhafter Phan-
tasie und sehr gutem willen für einen Fensterbehang
ansehen kann.
„Hier, Herr Professor!"
Er überreicht das Blatt, zieht sich aber vorsich-
tig außer Urmweite nach der Tür zurück.
Der Bildhauer wirft einen schnellen Blick auf
das besudelte Papier.
„Rlensch"! schreit er im Ton tiefster Entrüstung.
„Sie haben die Unverschämtheit, sich für einen
Künstler auszugeben und besitzen nicht einen Schim-
mer von Kunst, Sie Schmierinsky! Hier haben Sie
zehn Pfennig — nu aber raus! — Halt — noch
eins!" er faßt den Entweichenden am Rockzipfel,
„wenn ich dringend bitten darf, empfehlen Sie mich
ja nicht Ihren Herren Kollegen!"
S *
Line Stunde später klopft es wieder, diesmal
zag und bescheiden. Lin junger Rlann tritt ein,
dessen blasses, bartloses Gesicht von Entbehrungen
kündet. Zn der Kleidung gibt sich das Bestreben
zu erkennen, noch eine gewisse Sorgfalt und Eleganz
festzuhalten. Die Hose zeigt eine tadellose Bügelfalte.
„Sie wünschen?" knurrt der Professor gewohn-
heitsmäßig und überflüssigerweise, denn ein Blick
auf den Besucher genügt, um im Klaren zu sein.
„verzeihen Sie, Herr Professor, ich bin Schau-
spieler und in Not. Sie wissen, der Krieg trifft
meinen Stand besonders hart. Und darum wollte
ich bitten — "
„weiß schon", unterbricht ihn der Bildhauer.
„Also Schauspieler sind Sie?" Er mustert ihn
wohlgefällig, denn der junge Rlann macht einen
besseren Eindruck, als der „Kollege" zuvor, „was
mimen Sie denn für gewöhnlich?"
„Ich bin jugendlicher Held und Liebhaber, Herr-
Professor. Rlortimer, Karl Rloor, Torquato Tasso,
das sind so meine besten Rollen. Aber wenn man
kein Engagement hat-—"
Der gutmütige Bildhauer hilft ihm aus der
peinlichen Verlegenheit, die Bitte um ein Almosen
aussprechen zu müssen, „wissen Sie, 'ich will Ihnen
gern was geben, aber erst zeigen Sie mal, was
Sie können. Ls ist jetzt mein Prinzip; erst sehen
und dann geben; bei Ihnen also hören. Nun
legen sie mal los mit dem Deklamieren, sprechen Sie,
was Ihnen so am besten liegt. Platz haben Sie
ja, um sich auszutoben".
Zuerst ein Erstaunen, dann ein fröhliches Ver-
stehen. Und während der alte Herr unverdrossen
an seinem Hindenburg arbeit, rezitiert der junge
Schauspieler aus seinen Lieblingsrollen. Spricht
Rlortimer- und Karl RIoor-Rlonologe, deklamiert
Wildenbruchs „Hexenlied" undLißauers „Haßgesang".
Er legt große Leidenschaft und Kraft in die Verse,
die er mit wohltönender, gut geschulter Stimme
spricht und erwärmt sich allmählich an seiner Auf-
gabe so, daß er Grt und Zeit vergißt. Zn seiner
Begeisterung trägt er immer neue Dichtungen seines
Repertoires vor. Rlit großer Andacht hört der
fleißige Professor zu.
Das dauerte etwa anderthalb Stunden.
Der Bildhauer hat für diesen Tag an seiner
Büste genug geschafft. Befriedigt reicht er dem
jungen Künstler die Hand.
„Zunger Rlann", gesteht er ihm zu, „das war
mir in der Tat ein Kunstgenuß. Sie haben wirk-
was los. Za, und nun sollen Sie auch die ver-
sprochene Prüfungsgebühr erhalten. Sehen Sie, ich
gehe alle drei Wochen einmal ins Theater, und
der Platz kostet mich fünf Rlark. Sie haben mir
eine ebenso große Freude bereitet, wie die wirkliche
Bühne, und darum sollen sie den gleichen Betrag
haben. Hier, mein Lieber"
Und er nimmt einen Fünf-Rlarkschein aus der
Börse und drückt ihn dem überraschten Schauspieler
in die Hand.
„vielen Dank, Herr Professor".
Der alte Herr wehrt ab. „Keine Ursache!
Und solange Sie ohne Engagement sind, können
Sie alle vierzehn Tage wiederkommen und mir
gegen Honorar weitere Proben ihres schönen
Talents geben . . . ."
Julius Knopf.
rlmlckau.
Dresdener Künstler an der Front.
von den vielen jungen Dresdener Künstlern, die un-
ter den Fahnen stehen, haben einige Gelegenheit zu künst-
lerischer Betätigung gefunden. Ls läßt sich jetzt das
erste Ergebnis überblicken, daß hier in Kürze ausgezeich-
net sei. wir wollen hoffen, daß dadurch das Interesse
an diesen Arbeiten, das bisher bei Sammlern und Samm-
lungen noch recht unerheblich ist, gesteigert wird.
Liner der ersten Verluste, die die Dresdner Künstler-
schaft durch den Krieg erlitt, war der Tod Fritz Wink-
lers, der am ;8. April t9t5 bei La ville au bois fiel.
Lr hinterließ eine große Anzahl von Bleistiftzeichnungen
kleineren Formats, die bei Berry au bac und Dinant
entstanden find. Sie werden gegenwärtig aus der Aus-
stellung des Dresdener Künstlerbundes gezeigt; einzelne
von ihnen find in Privatbefitz übergegangen, von Karl
Peres liegen ca. l5 Zeichnungen vor aus Lraonne, St.
Lrme, Berry au bac und Avaux. Der Künstler hat auch
eine kleine Serie Postkarten nach seinen Zeichnungen Her-
stellen lassen, w. waldapsel, der in der Gegend von
Die Werkstatt der Kunst.
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mal was sie verstehen. Hier haben Sie Papier,
drei Bleistifte von verschiedenen Härten und einen
Radiergummi. Und nun legen Sie los! Zeichnen
Sie irgend etwas, was Ihnen liegt. Dementspre-
chend sollen Sie etwas von mir bekommen."
Der struppige Prüfling sieht verdutzt darein,
setzt sich aber gehorsam, kratzt sich den Kopf und
starrt auf das weiße Papier. Dann kaut er an
dem Bleistift Nr. H betrachtet ungewiß den zweiten,
spielt mit dem dritten nnd läßt den Radiergummi
in die Westentasche verschwinden. Schließlich faßt
er einen Entschluß, nimmt alle Kraft zusammen,
sammelt die schäbigen Lrinnerungsreste früheren
Zeichenunterrichts und zieht gerade und krumme
Linien, deren Gesamtbild man bei lebhafter Phan-
tasie und sehr gutem willen für einen Fensterbehang
ansehen kann.
„Hier, Herr Professor!"
Er überreicht das Blatt, zieht sich aber vorsich-
tig außer Urmweite nach der Tür zurück.
Der Bildhauer wirft einen schnellen Blick auf
das besudelte Papier.
„Rlensch"! schreit er im Ton tiefster Entrüstung.
„Sie haben die Unverschämtheit, sich für einen
Künstler auszugeben und besitzen nicht einen Schim-
mer von Kunst, Sie Schmierinsky! Hier haben Sie
zehn Pfennig — nu aber raus! — Halt — noch
eins!" er faßt den Entweichenden am Rockzipfel,
„wenn ich dringend bitten darf, empfehlen Sie mich
ja nicht Ihren Herren Kollegen!"
S *
Line Stunde später klopft es wieder, diesmal
zag und bescheiden. Lin junger Rlann tritt ein,
dessen blasses, bartloses Gesicht von Entbehrungen
kündet. Zn der Kleidung gibt sich das Bestreben
zu erkennen, noch eine gewisse Sorgfalt und Eleganz
festzuhalten. Die Hose zeigt eine tadellose Bügelfalte.
„Sie wünschen?" knurrt der Professor gewohn-
heitsmäßig und überflüssigerweise, denn ein Blick
auf den Besucher genügt, um im Klaren zu sein.
„verzeihen Sie, Herr Professor, ich bin Schau-
spieler und in Not. Sie wissen, der Krieg trifft
meinen Stand besonders hart. Und darum wollte
ich bitten — "
„weiß schon", unterbricht ihn der Bildhauer.
„Also Schauspieler sind Sie?" Er mustert ihn
wohlgefällig, denn der junge Rlann macht einen
besseren Eindruck, als der „Kollege" zuvor, „was
mimen Sie denn für gewöhnlich?"
„Ich bin jugendlicher Held und Liebhaber, Herr-
Professor. Rlortimer, Karl Rloor, Torquato Tasso,
das sind so meine besten Rollen. Aber wenn man
kein Engagement hat-—"
Der gutmütige Bildhauer hilft ihm aus der
peinlichen Verlegenheit, die Bitte um ein Almosen
aussprechen zu müssen, „wissen Sie, 'ich will Ihnen
gern was geben, aber erst zeigen Sie mal, was
Sie können. Ls ist jetzt mein Prinzip; erst sehen
und dann geben; bei Ihnen also hören. Nun
legen sie mal los mit dem Deklamieren, sprechen Sie,
was Ihnen so am besten liegt. Platz haben Sie
ja, um sich auszutoben".
Zuerst ein Erstaunen, dann ein fröhliches Ver-
stehen. Und während der alte Herr unverdrossen
an seinem Hindenburg arbeit, rezitiert der junge
Schauspieler aus seinen Lieblingsrollen. Spricht
Rlortimer- und Karl RIoor-Rlonologe, deklamiert
Wildenbruchs „Hexenlied" undLißauers „Haßgesang".
Er legt große Leidenschaft und Kraft in die Verse,
die er mit wohltönender, gut geschulter Stimme
spricht und erwärmt sich allmählich an seiner Auf-
gabe so, daß er Grt und Zeit vergißt. Zn seiner
Begeisterung trägt er immer neue Dichtungen seines
Repertoires vor. Rlit großer Andacht hört der
fleißige Professor zu.
Das dauerte etwa anderthalb Stunden.
Der Bildhauer hat für diesen Tag an seiner
Büste genug geschafft. Befriedigt reicht er dem
jungen Künstler die Hand.
„Zunger Rlann", gesteht er ihm zu, „das war
mir in der Tat ein Kunstgenuß. Sie haben wirk-
was los. Za, und nun sollen Sie auch die ver-
sprochene Prüfungsgebühr erhalten. Sehen Sie, ich
gehe alle drei Wochen einmal ins Theater, und
der Platz kostet mich fünf Rlark. Sie haben mir
eine ebenso große Freude bereitet, wie die wirkliche
Bühne, und darum sollen sie den gleichen Betrag
haben. Hier, mein Lieber"
Und er nimmt einen Fünf-Rlarkschein aus der
Börse und drückt ihn dem überraschten Schauspieler
in die Hand.
„vielen Dank, Herr Professor".
Der alte Herr wehrt ab. „Keine Ursache!
Und solange Sie ohne Engagement sind, können
Sie alle vierzehn Tage wiederkommen und mir
gegen Honorar weitere Proben ihres schönen
Talents geben . . . ."
Julius Knopf.
rlmlckau.
Dresdener Künstler an der Front.
von den vielen jungen Dresdener Künstlern, die un-
ter den Fahnen stehen, haben einige Gelegenheit zu künst-
lerischer Betätigung gefunden. Ls läßt sich jetzt das
erste Ergebnis überblicken, daß hier in Kürze ausgezeich-
net sei. wir wollen hoffen, daß dadurch das Interesse
an diesen Arbeiten, das bisher bei Sammlern und Samm-
lungen noch recht unerheblich ist, gesteigert wird.
Liner der ersten Verluste, die die Dresdner Künstler-
schaft durch den Krieg erlitt, war der Tod Fritz Wink-
lers, der am ;8. April t9t5 bei La ville au bois fiel.
Lr hinterließ eine große Anzahl von Bleistiftzeichnungen
kleineren Formats, die bei Berry au bac und Dinant
entstanden find. Sie werden gegenwärtig aus der Aus-
stellung des Dresdener Künstlerbundes gezeigt; einzelne
von ihnen find in Privatbefitz übergegangen, von Karl
Peres liegen ca. l5 Zeichnungen vor aus Lraonne, St.
Lrme, Berry au bac und Avaux. Der Künstler hat auch
eine kleine Serie Postkarten nach seinen Zeichnungen Her-
stellen lassen, w. waldapsel, der in der Gegend von