Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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DOI Heft:
Heft 15
DOI Artikel:Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Matthaei, Adelbert: Der Krieg von 1914 und die bildende Kunst in Deutschland, [1]
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XIV, Heft 15.
Die Werkstatt der Kunst.
Hl
als deutsche Wesensart zusammenfaßte in den Worten:
Tapferkeit, Treue, Selbständigkeit, und was Geibel
nennt „den tiefen Zug der Seele, die nach ihrem
Gotte ringt", das sind die Eigenschaften, die die
Grundlage unserer Kultur bleiben müssen, zu denen
wir die Zugend erziehen müssen, aber nicht die
Fähigkeit, künstlerischen Feinfühligkeiten folgen zu
können.
Die bildende Kunst gehört nicht zu den den
Organismus unseres Volkes erhaltenden Kräften,
sondern sie ist nur ein Anzeichen, ein Beweis einer
reichen, gesunden Entwickelung.
wir kultivieren den Fruchtbaum nicht, um schöne
Blüten zu erzeugen, wir düngen ihn, beschneiden
ihn, reinigen ihn und pflegen ihn, um gute Früchte
zu erzielen.
Die Blüte ist nur ein Beweis, daß der Baum
gesund ist und gute Früchte verspricht.
Viel eher gleicht die Kunst einer Zierblume,
deren Blüte Sinn und Herz erfrischt. Aber die er-
nährt uns nicht. —
Diese Erkenntnis muß wieder durchdringen, daß
es in allererster Linie darauf ankommt, die das
Leben erhaltenden Kräfte in unserem Volke zu pflegen:
Die sittlichen Kräfte, die Klarheit des Denkens und
die Übereinstimmung von Denken und Handeln.
Zn jener Lehre, daß es in erster Linie darauf
ankomme, eine Kultur des feinen Empfindens zu
züchten, die auch der haben kann, der nicht arbeitet
und sittlich nicht hoch steht, in jener Lehre, daß eine
ästhetische Erziehung die Gewähr für gesunde Lebens-
entwickelung bieten kann, liegt etwas Weichliches,
Ungesundes, Zerstörendes!
Diese Zdee müssen wir nun abtun und der Kunst
wieder die rechte Stellung im Leben zuweisen. Und
die ist die:
Die bildende Kunst kann überhaupt erst gedeihen,
wenn Friede und Wohlstand herrscht, der nur durch
harte Arbeit erworben werden kann.
Sie schafft nicht werte, sondern sie ist ein Be-
weis, daß Werte da sind.
Sie ist, wie Schnaase schon vor einem Jahr-
hundert treffend gesagt hat, der feinste Ausdruck des
geistigen Wesens eines Volkes. Deutlicher als in
seiner politischen Geschichte, vollkommener als in
seinen religiösen und Nechtsvorstellungen, unmittel-
barer als in seinen wissenschaftlichen Leistungen tritt
uns der Geist eines Volkes entgegen, wenn wir
sehen, wie die Hand der Menschen mit der Materie
gerungen hat, um innerlich Geschautes zum greif-
baren Ausdruck zu bringen. Und wenn das geistige
Wesen eines Volkes gesund ist, dann ist auch die
Kunst gesund, erquickend und labend, über das Elend
und die Unzulänglichkeit des Lebens hinwegtröstend
und erhebend.
Sie ist nicht Mittel, um Propaganda für irgend-
welche Zdeen zu machen, nicht Kampfesmittel, wozu
man sie so oft in den letzten Jahrzehnten erniedrigt
hat, nicht Mittel, um zu lehren oder zu bessern,
nicht auch bloß Luxussache und Zeitvertreib im atem-
losen Zagen des Lebens, wozu sie Amerikanismus
und neuzeitliches Lpikuräertum machen wollte, noch
viel weniger Spekulationsobjekt für den Kunsthandel —
das alles liegt ihr fern. Sie ist Trösterin und
Verklärerin des Lebens. —
* *
*
Zch habe den Ausspruch Schnaases erwähnt,
daß die bildende Kunst der prägnanteste Ausdruck
des geistigen Wesens eines Volkes sei.
wenn das richtig ist, dann ist unser geistiges
Leben in dem letzten Menschenalter in manchem
nicht gesund gewesen. Denn unsere bildende Kunst
wies Erscheinungen auf, die man nur als Krank-
heitssymptome auffassen kann. Dahin rechne ich
die Äußerungen des Expressionismus und des Fu-
turismus und die steigenden Zänkereien der Künstler
untereinander, die Sezessionen und den Zerfall dieser
wieder in neue Sonderbündeleien. Erscheinungen,
wie die, daß der Erste Bürgermeister von Hamburg,
der durch Aufstellung seines Porträts im Staats-
auftrag geehrt werden sollte, sich die Aufstellung
seines Bildes verbat, weil er in der vorliegenden
künstlerischen Ausführung und Auffassung keine
Ehrung erkennen konnte, daß wiederholt das Publi-
kum bei festlichen Gelegenheiten künstlerische Leistun-
gen, die das Fest heben sollten, oder Entwürfe für
die Ausstattung unserer öffentlichen Gebäude (Reichs-
tagsgcbäude) unter lautem Protest ablehnte und
zurückschickte, waren für ernste Männer längst An-
zeichen dafür, daß in unserem Kunstgebahren sich
etwas Ungesundes breit mache, wie freilich auch
dafür, daß in unserem Volke noch Gesundheit und
Kraft genug lag, um bisweilen dagegen aufzube-
gehren. — ...
*
*
Vergegenwärtigen wir uns zunächst einmal den
Stand der deutschen Malerei in den 70er Zähren,
um den Wandel, der seitdem eingetreten ist, zu ver-
stehen.
wer waren damals die beim Publikum belieb-
testen Maler?
Da stand zunächst Wilhelm Kaulbach auf der
Höhe seines Ruhmes mit seinen Goethe-Zllustratio-
nen, seinen Berliner Treppenhausbildern, die 1863
fertig geworden waren, und Bildern wie der „deut-
sche heilige Michael" und „Peter Arbuez". weiter
blühte die sogenannte historische Schule unter Füh-
rung Tarl pilotys und seiner Schüler von Makart
bis Defregger, pilotys 1873 ausgestellte „Thus-
nelda im Triumphzug des Germanicus" erntete all-
gemeinen Beifall. Daran schlossen sich die Maler
der Kriegszeit, wie Anton von Werner mit seiner
„Kaiserproklamation" und der „Kapitulationsver-
handlung von Sedan".
Das waren die Gemälde, von denen man sprach
und die man kaufte. —
Die Werkstatt der Kunst.
Hl
als deutsche Wesensart zusammenfaßte in den Worten:
Tapferkeit, Treue, Selbständigkeit, und was Geibel
nennt „den tiefen Zug der Seele, die nach ihrem
Gotte ringt", das sind die Eigenschaften, die die
Grundlage unserer Kultur bleiben müssen, zu denen
wir die Zugend erziehen müssen, aber nicht die
Fähigkeit, künstlerischen Feinfühligkeiten folgen zu
können.
Die bildende Kunst gehört nicht zu den den
Organismus unseres Volkes erhaltenden Kräften,
sondern sie ist nur ein Anzeichen, ein Beweis einer
reichen, gesunden Entwickelung.
wir kultivieren den Fruchtbaum nicht, um schöne
Blüten zu erzeugen, wir düngen ihn, beschneiden
ihn, reinigen ihn und pflegen ihn, um gute Früchte
zu erzielen.
Die Blüte ist nur ein Beweis, daß der Baum
gesund ist und gute Früchte verspricht.
Viel eher gleicht die Kunst einer Zierblume,
deren Blüte Sinn und Herz erfrischt. Aber die er-
nährt uns nicht. —
Diese Erkenntnis muß wieder durchdringen, daß
es in allererster Linie darauf ankommt, die das
Leben erhaltenden Kräfte in unserem Volke zu pflegen:
Die sittlichen Kräfte, die Klarheit des Denkens und
die Übereinstimmung von Denken und Handeln.
Zn jener Lehre, daß es in erster Linie darauf
ankomme, eine Kultur des feinen Empfindens zu
züchten, die auch der haben kann, der nicht arbeitet
und sittlich nicht hoch steht, in jener Lehre, daß eine
ästhetische Erziehung die Gewähr für gesunde Lebens-
entwickelung bieten kann, liegt etwas Weichliches,
Ungesundes, Zerstörendes!
Diese Zdee müssen wir nun abtun und der Kunst
wieder die rechte Stellung im Leben zuweisen. Und
die ist die:
Die bildende Kunst kann überhaupt erst gedeihen,
wenn Friede und Wohlstand herrscht, der nur durch
harte Arbeit erworben werden kann.
Sie schafft nicht werte, sondern sie ist ein Be-
weis, daß Werte da sind.
Sie ist, wie Schnaase schon vor einem Jahr-
hundert treffend gesagt hat, der feinste Ausdruck des
geistigen Wesens eines Volkes. Deutlicher als in
seiner politischen Geschichte, vollkommener als in
seinen religiösen und Nechtsvorstellungen, unmittel-
barer als in seinen wissenschaftlichen Leistungen tritt
uns der Geist eines Volkes entgegen, wenn wir
sehen, wie die Hand der Menschen mit der Materie
gerungen hat, um innerlich Geschautes zum greif-
baren Ausdruck zu bringen. Und wenn das geistige
Wesen eines Volkes gesund ist, dann ist auch die
Kunst gesund, erquickend und labend, über das Elend
und die Unzulänglichkeit des Lebens hinwegtröstend
und erhebend.
Sie ist nicht Mittel, um Propaganda für irgend-
welche Zdeen zu machen, nicht Kampfesmittel, wozu
man sie so oft in den letzten Jahrzehnten erniedrigt
hat, nicht Mittel, um zu lehren oder zu bessern,
nicht auch bloß Luxussache und Zeitvertreib im atem-
losen Zagen des Lebens, wozu sie Amerikanismus
und neuzeitliches Lpikuräertum machen wollte, noch
viel weniger Spekulationsobjekt für den Kunsthandel —
das alles liegt ihr fern. Sie ist Trösterin und
Verklärerin des Lebens. —
* *
*
Zch habe den Ausspruch Schnaases erwähnt,
daß die bildende Kunst der prägnanteste Ausdruck
des geistigen Wesens eines Volkes sei.
wenn das richtig ist, dann ist unser geistiges
Leben in dem letzten Menschenalter in manchem
nicht gesund gewesen. Denn unsere bildende Kunst
wies Erscheinungen auf, die man nur als Krank-
heitssymptome auffassen kann. Dahin rechne ich
die Äußerungen des Expressionismus und des Fu-
turismus und die steigenden Zänkereien der Künstler
untereinander, die Sezessionen und den Zerfall dieser
wieder in neue Sonderbündeleien. Erscheinungen,
wie die, daß der Erste Bürgermeister von Hamburg,
der durch Aufstellung seines Porträts im Staats-
auftrag geehrt werden sollte, sich die Aufstellung
seines Bildes verbat, weil er in der vorliegenden
künstlerischen Ausführung und Auffassung keine
Ehrung erkennen konnte, daß wiederholt das Publi-
kum bei festlichen Gelegenheiten künstlerische Leistun-
gen, die das Fest heben sollten, oder Entwürfe für
die Ausstattung unserer öffentlichen Gebäude (Reichs-
tagsgcbäude) unter lautem Protest ablehnte und
zurückschickte, waren für ernste Männer längst An-
zeichen dafür, daß in unserem Kunstgebahren sich
etwas Ungesundes breit mache, wie freilich auch
dafür, daß in unserem Volke noch Gesundheit und
Kraft genug lag, um bisweilen dagegen aufzube-
gehren. — ...
*
*
Vergegenwärtigen wir uns zunächst einmal den
Stand der deutschen Malerei in den 70er Zähren,
um den Wandel, der seitdem eingetreten ist, zu ver-
stehen.
wer waren damals die beim Publikum belieb-
testen Maler?
Da stand zunächst Wilhelm Kaulbach auf der
Höhe seines Ruhmes mit seinen Goethe-Zllustratio-
nen, seinen Berliner Treppenhausbildern, die 1863
fertig geworden waren, und Bildern wie der „deut-
sche heilige Michael" und „Peter Arbuez". weiter
blühte die sogenannte historische Schule unter Füh-
rung Tarl pilotys und seiner Schüler von Makart
bis Defregger, pilotys 1873 ausgestellte „Thus-
nelda im Triumphzug des Germanicus" erntete all-
gemeinen Beifall. Daran schlossen sich die Maler
der Kriegszeit, wie Anton von Werner mit seiner
„Kaiserproklamation" und der „Kapitulationsver-
handlung von Sedan".
Das waren die Gemälde, von denen man sprach
und die man kaufte. —