Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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Heft 15
DOI Artikel:Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Matthaei, Adelbert: Der Krieg von 1914 und die bildende Kunst in Deutschland, [1]
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Die Werkstatt der Runst.
XIV, Heft 15.
172
Rur; vor dem Rriege, 1869, war Schwinds
„schöne Melusine" fertig geworden und trat mit den
vorher geschaffenen „Sieben Naben" einen Triumph-
zug durch Deutschland an.
Auch Ludwig Richters Holzschnittfolgen hatten
den weg fast in jedes Haus gefunden. Aber die
Werke dieses Meisters, dem damals, 1876, der erste
deutsche Raiser, in richtiger Wertung seiner Bedeu-
tung für die nationale Runst, von Neichswegen
einen Lhrensold bewilligte, wurden nicht für „große
Runst" gehalten.
Und ebenso ging es damals noch Menzel, von
dem man eigentlich nur die Friedrichsbilder und die
Illustrationen zur Geschichte und zu den Werken
Friedrichs des Großen kannte. —
In dieser Malerei, die damals mit dem Ge-
schmacke des Publikums in vollkommenem Linklang
stand, lag Gutes und Schlechtes nebeneinander:
werte, die man erhalten und weiter entwickeln,
und Schwächen, die man allmählich überwinden und
abtun mußte.
Mit dem letzteren begann man.
Ls wurde allmählich klar, daß ein großer Teil
dieser Maler die technische Seite der Malerei ver-
nachlässigt hatte. Von berühmten Rünstlern, wie
Raulbach und Schwind, wußte man, daß ihnen die
Gltechnik Schwierigkeiten machte, daß sie sie nicht
beherrschten. Sie verstanden nichts oder zu wenig
von der Zusammensetzung der Farben, ihren sich
gegenseitig beeinflussenden Eigenschaften. — Andere,
die, wie die Maler der pilotyschule, diese Technik
von den Alten wieder erlernen wollten, nahmen
diese Auffassung der Alten zum Vorbild und ließen
sich nicht unmittelbar durch die Natur belehren. Sie
gewöhnten sich dadurch leicht eine Manier an und
gaben ihren Bildern den Ton alter Museumsbilder,
der von dem frischen Lindruck der Natur weit ab-
wich.
Man brauchte diesen Gemälden nur einmal frisch
nach der Natur gemalte Bilder gegenüber zu stellen,
und sie mußten verlieren und als die technisch schwä-
cheren Leistungen erscheinen.
Das tat man und man holte diese Bilder aus
Frankreich. In Frankreich war die technische Tra-
dition der Malerei nicht wie bei uns durch den
Rlassizismus zerstört worden. In Frankreich aber,
das schon lange Symptome der Zersetzung und De-
kadenz aufwies, hatte man schon früh die geistigen
werte der Runst hinter den technischen zurücktreten
lassen. Und das waren rein technische Manöver,
die die Manet und Monet dort anstellten. Aber die
frische Unmittelbarkeit des Sehens imponierte, und
so vollzog sich die eigentümliche Erscheinung, daß
das kraftvolle Volk, das 1870 nicht bloß seine phy-
sische und materielle, sondern auch seine geistige und
sittliche Überlegenheit über den dekadenten Nachbar
erwiesen hatte, nun in der Runst der Malerei bei
diesem in die Lehre ging und sich bald ganz ins
Schlepptau nehmen ließ.
Spät erst erkannte man, daß man nicht einmal
in der Technik bei Frankreich in die Lehre zu gehen
gebraucht hätte, daß die Menzel und andere bei
uns auf demselben Wege waren. Und daß die ein-
seitige Überschätzung der Technik in der Runst über-
haupt nicht nachahmenswert, sondern ein Verfalls-
zeichen ist, das sollen wir jetzt erst wieder uns klar
zum Bewußtsein bringen.
Genug, damals begann die Vormundschaft Frank-
reichs für uns in der Malerei. Dort hatte man zu
einer uralten Schwierigkeit in der Malerei neu und
grundsätzlich Stellung genommen, wenn nämlich
der Rünstler vor der Natur steht, so möchte er den
Eindruck, der ihn bewegt und begeistert, gleich fest-
halten. Die Hand kann aber dem Eindruck nicht
so schnell folgen. Zu dem sorgfältigen Durchführen
in Farbe und Zeichnung gehören Stunden und Tage.
Und darüber geht die ursprüngliche Frische des Ein-
drucks leicht verloren; die Beleuchtung ändert sich
namentlich in der Landschaft, und das ganz genaue
Hinsehen machte es nachher oft schwer, den ursprüng-
lichen Eindruck, der den Rünstler reizte, wiederzu-
finden. —
Ls ist das eines der vielen Probleme der Mensch-
heit, in denen wir eben zu einer vollkommenen Lö-
sung nicht kommen können. —
Die Alten hatten natürlich diese Schwierigkeit
auch gekannt, sich aber dahin entschieden, durch
langsames Arbeiten, ungemein mühevolles werben
in unzählig wiederholten Beobachtungen doch den
ursprünglichen Eindruck wieder herauszubringen.
Man kann wohl sagen, daß z. B. die holländischen
Landschaften des 17. Iahrhunderts gewiß der ur-
sprünglichen Frische nicht entbehren. Ls hat aber
auch seinen Reiz, den anderen weg zu gehen, und
in, wie man sagte, „rasenden Pinselhieben" schnell
den ersten Eindruck festzuhalten. Und zweifellos
war dieses werben um die Unmittelbarkeit des
Natureindrucks damals für unsere Malerei wichtig.
Sie gewann an Naturwahrheit.
Das Schlimme lag nur in der Ausschließlichkeit,
mit der man jetzt diese Impressionsmalerei übertrieb,
und da auch anwandte, wo, wie z. B. beim Por-
trät, der erste Eindruck gar nicht das wertvolle und
Entscheidende ist, und in der Einseitigkeit, mit der
man jede andere Art, der Natur beizukommen, ver-
pönte.
wer nun so mit rasenden Pinselstrichen arbeitet,
der kann der Einzelform nur ungefähr nahekommen,
was ja auch nichts schadet, weil für viele Eindrücke
die Genauigkeit der Einzelform gleichgültig ist. Da das
aber allgemein Mode wurde, so bildete sich unter
diesem Impressionismus eine „Ungefährmalerei" aus,
die zu sehr üblen Folgen geführt hat. Die Gleich-
gültigkeit gegen die Form führte zu einer Ver-
achtung der Form. Die Rünstler verloren unter
der Gewöhnung an die Ungefährmalerei schließlich
die Fähigkeit, die Form korrekt wiederzugeben. Aus
dieser Unfähigkeit, dieser Not, machte man schließ-
XIV, Heft 15.
172
Rur; vor dem Rriege, 1869, war Schwinds
„schöne Melusine" fertig geworden und trat mit den
vorher geschaffenen „Sieben Naben" einen Triumph-
zug durch Deutschland an.
Auch Ludwig Richters Holzschnittfolgen hatten
den weg fast in jedes Haus gefunden. Aber die
Werke dieses Meisters, dem damals, 1876, der erste
deutsche Raiser, in richtiger Wertung seiner Bedeu-
tung für die nationale Runst, von Neichswegen
einen Lhrensold bewilligte, wurden nicht für „große
Runst" gehalten.
Und ebenso ging es damals noch Menzel, von
dem man eigentlich nur die Friedrichsbilder und die
Illustrationen zur Geschichte und zu den Werken
Friedrichs des Großen kannte. —
In dieser Malerei, die damals mit dem Ge-
schmacke des Publikums in vollkommenem Linklang
stand, lag Gutes und Schlechtes nebeneinander:
werte, die man erhalten und weiter entwickeln,
und Schwächen, die man allmählich überwinden und
abtun mußte.
Mit dem letzteren begann man.
Ls wurde allmählich klar, daß ein großer Teil
dieser Maler die technische Seite der Malerei ver-
nachlässigt hatte. Von berühmten Rünstlern, wie
Raulbach und Schwind, wußte man, daß ihnen die
Gltechnik Schwierigkeiten machte, daß sie sie nicht
beherrschten. Sie verstanden nichts oder zu wenig
von der Zusammensetzung der Farben, ihren sich
gegenseitig beeinflussenden Eigenschaften. — Andere,
die, wie die Maler der pilotyschule, diese Technik
von den Alten wieder erlernen wollten, nahmen
diese Auffassung der Alten zum Vorbild und ließen
sich nicht unmittelbar durch die Natur belehren. Sie
gewöhnten sich dadurch leicht eine Manier an und
gaben ihren Bildern den Ton alter Museumsbilder,
der von dem frischen Lindruck der Natur weit ab-
wich.
Man brauchte diesen Gemälden nur einmal frisch
nach der Natur gemalte Bilder gegenüber zu stellen,
und sie mußten verlieren und als die technisch schwä-
cheren Leistungen erscheinen.
Das tat man und man holte diese Bilder aus
Frankreich. In Frankreich war die technische Tra-
dition der Malerei nicht wie bei uns durch den
Rlassizismus zerstört worden. In Frankreich aber,
das schon lange Symptome der Zersetzung und De-
kadenz aufwies, hatte man schon früh die geistigen
werte der Runst hinter den technischen zurücktreten
lassen. Und das waren rein technische Manöver,
die die Manet und Monet dort anstellten. Aber die
frische Unmittelbarkeit des Sehens imponierte, und
so vollzog sich die eigentümliche Erscheinung, daß
das kraftvolle Volk, das 1870 nicht bloß seine phy-
sische und materielle, sondern auch seine geistige und
sittliche Überlegenheit über den dekadenten Nachbar
erwiesen hatte, nun in der Runst der Malerei bei
diesem in die Lehre ging und sich bald ganz ins
Schlepptau nehmen ließ.
Spät erst erkannte man, daß man nicht einmal
in der Technik bei Frankreich in die Lehre zu gehen
gebraucht hätte, daß die Menzel und andere bei
uns auf demselben Wege waren. Und daß die ein-
seitige Überschätzung der Technik in der Runst über-
haupt nicht nachahmenswert, sondern ein Verfalls-
zeichen ist, das sollen wir jetzt erst wieder uns klar
zum Bewußtsein bringen.
Genug, damals begann die Vormundschaft Frank-
reichs für uns in der Malerei. Dort hatte man zu
einer uralten Schwierigkeit in der Malerei neu und
grundsätzlich Stellung genommen, wenn nämlich
der Rünstler vor der Natur steht, so möchte er den
Eindruck, der ihn bewegt und begeistert, gleich fest-
halten. Die Hand kann aber dem Eindruck nicht
so schnell folgen. Zu dem sorgfältigen Durchführen
in Farbe und Zeichnung gehören Stunden und Tage.
Und darüber geht die ursprüngliche Frische des Ein-
drucks leicht verloren; die Beleuchtung ändert sich
namentlich in der Landschaft, und das ganz genaue
Hinsehen machte es nachher oft schwer, den ursprüng-
lichen Eindruck, der den Rünstler reizte, wiederzu-
finden. —
Ls ist das eines der vielen Probleme der Mensch-
heit, in denen wir eben zu einer vollkommenen Lö-
sung nicht kommen können. —
Die Alten hatten natürlich diese Schwierigkeit
auch gekannt, sich aber dahin entschieden, durch
langsames Arbeiten, ungemein mühevolles werben
in unzählig wiederholten Beobachtungen doch den
ursprünglichen Eindruck wieder herauszubringen.
Man kann wohl sagen, daß z. B. die holländischen
Landschaften des 17. Iahrhunderts gewiß der ur-
sprünglichen Frische nicht entbehren. Ls hat aber
auch seinen Reiz, den anderen weg zu gehen, und
in, wie man sagte, „rasenden Pinselhieben" schnell
den ersten Eindruck festzuhalten. Und zweifellos
war dieses werben um die Unmittelbarkeit des
Natureindrucks damals für unsere Malerei wichtig.
Sie gewann an Naturwahrheit.
Das Schlimme lag nur in der Ausschließlichkeit,
mit der man jetzt diese Impressionsmalerei übertrieb,
und da auch anwandte, wo, wie z. B. beim Por-
trät, der erste Eindruck gar nicht das wertvolle und
Entscheidende ist, und in der Einseitigkeit, mit der
man jede andere Art, der Natur beizukommen, ver-
pönte.
wer nun so mit rasenden Pinselstrichen arbeitet,
der kann der Einzelform nur ungefähr nahekommen,
was ja auch nichts schadet, weil für viele Eindrücke
die Genauigkeit der Einzelform gleichgültig ist. Da das
aber allgemein Mode wurde, so bildete sich unter
diesem Impressionismus eine „Ungefährmalerei" aus,
die zu sehr üblen Folgen geführt hat. Die Gleich-
gültigkeit gegen die Form führte zu einer Ver-
achtung der Form. Die Rünstler verloren unter
der Gewöhnung an die Ungefährmalerei schließlich
die Fähigkeit, die Form korrekt wiederzugeben. Aus
dieser Unfähigkeit, dieser Not, machte man schließ-