Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.55564#0191
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Heft 16
DOI article:Redaktioneller Teil
DOI article:Matthaei, Adelbert: Der Krieg von 1914 und die bildende Kunst in Deutschland, [2]
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XIV, Heft 4 6. Die Werkstatt der Kunst.F85
der ewigen Nichtigkeiten, der Reiter am Strande,
hackenden Bauern und grabenden Arbeitern, Holz-
fällern usw. müde zu werden, und wieder nach ei-
nem Inhalt verlangte, da wurde die Parole aus-
gegeben: „Nur nicht die alten werte! Nur nicht
die gewohnten Ideale, nichts aus der Geschichte un-
seres Volkes, nichts, was das vaterländische Gefühl
erregen könnte", kurz, nichts von den alten ethischen
werten; sondern, wenn man einen Gedankeninhalt
zuließ, dann sollte es wenigstens ein ganz neuer,
„ureigener" sein, etwas, was nur in dem geheim-
sten, individuellen Sein des Künstlers seinen Grund
hatte, daher eigentlich nur diesem und wenigen
Gleichgesinnten verständlich; gleichgültig, ob dieses
Sein gesund oder krankhaft und dekadent war. Das
führte dann zuerst zu einem Neumystizismus und
dann schließli ch wieder zu den wirren Phantasien
des Expressionismus und des Futurismus, die dem
Publikum ihre Rätsel aufgaben. —
Schon längst hatten ernsthafte Riänner, auch
Künstler, gegen diese Verachtung des Inhalts und
die dann folgende Ersetzung unserer alten werte
durch die Äußerungen einer ungesunden, überreizten
Phantasie Vewahrung eingelegt.
Denn die Aufgabe der bildenden Kunst ist mit
ihrer technischen Seite nicht erschöpft. Liebermanns
Wort: „Die Technik in der bildenden Kunst ist ihr
Inhalt" ist falsch. Armselig wäre die bildende
Kunst, wenn es in ihr nur auf die Geschicklichkeit
der Hand ankäme. Sie sänke zum Handwerk herab;
wie der Dichter armselig wäre, der uns in glatten
Reimen nur ein leeres Wortgeklingel vorsetzt.
Die bildende Kunst wendet sich nicht nur an das
Auge, sondern an das Herz, an Gemüt und Geist,
wenn auch das Auge das Organ der Wahrneh-
mung ist.
Kurz, die bildende Kunst fließt, wie Thoma sagt,
aus einer Ganzheit der Rlenschennatur, die ich jetzt
einmal die poetische nennen will. Sie ist Ausdruck
nicht bloß unseres technischen und ästhetischen Ver-
mögens, sondern auch unseres Fühlens und Denkens.
„Die geflügelte Phantasie", sagt Thoma, „ordnet die
Rüttel zum Ausdruck, ob sie das nun in Wort, Ton,
Farbe oder Stein tut. Diese bildende Seelenkrast
siegt immer wieder gegen alle Rkacherei und Rech-
nerei." Und Schwind klagte schon s87O: „Die
Rlalerei ist in einen so grämlichen Zustand geraten,
daß niemand daran denkt, daß der Maler ein
Poet ist."
Das ist so klar, daß man sich wundern muß,
daß man es aussprechen muß.
Aber es war und ist nötig. Denn schon
stellte Thoma fest, „daß die Angriffe auf das deut-
sche Gemüt, nicht etwa nur von Meier-Gräfe, son-
dern, man möchte fast sagen, planmäßig erfolgen.
Za wir Deutschen wollen Gemüt haben, und wenn
es uns weggespottet worden ist, so wollen wir es
wiederzugewinnen suchen".
wir wollen, daß der bildende Künstler uns
wieder die Empfindungen eines reichen, deutschen,
abgeklärten Gemüts offenbart, daß nicht nur unser
religiöses Gefühl, sondern auch unsere vaterlän-
dischen Empfindungen, unser Stolz und unsere Liebe
zu deutscher Art aus Vergangenheit und Gegen-
wart, und alle jene Gefühle, die alt sind, doch nie
veralten und ewig jung bleiben, in der bildenden
Kunst zum Ausdruck kommen.
Und jetzt ist die Zeit, wo wir mit unserem
willen Ernst machen müssen. Zetzt müssen wir alle
helfen, unsere Künstler von dem Banne, der auf
ihnen gelastet hat, zu befreien, aus daß sie wieder
sagen können, wie ihnen ums Herz ist, es ausdrücken
können mit der gesteigerten Technik, die wir in-
zwischen gewonnen haben.
wenn Tasso das Vorrecht des Dichters mit den
Worten preist:
Und wenn der Mensch in seiner Oual verstummt,
Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide,
so hat dem bildenden Künstler ein Gott gegeben,
noch viel unmittelbarer und anschaulicher ausdrücken
zu können, was seine Seele bewegt. Und von die-
ser Gabe muß er frei Gebrauch machen können.
* *
*
. . . Zch bin der festen Überzeugung, daß die
Kunst, wenn sie gesund bleiben soll, ein nationales
Gepräge behalten muß. Die Liebe zu dem Boden,
zu dem Volk und seiner Eigenart, aus der man
stammt, gehört zu den dauernden, inhärierenden
Eigenschaften der menschlichen Natur und läßt sich
ebensowenig ungestraft abschütteln, wie die Liebe zu
den Eltern. Dieser Patriotismus, diese Liebe zum
eigener: Volkstum, ist ein Teil des Selbstgefühls und
gehört, wie das Ehrgefühl, zu den sittlichen Ge-
fühlen, ist somit dauernd berechtigt und muß auch
in dem eigensten Gebiete des Gefühls- und Gemüts-
lebens, in der Kunst, zum Ausdrucke kommen. —
Ls gibt ja Menschen, denen es gelungen ist, sich irr
eine internationale Sphäre hineinzuarbeiten, die sich
über die eigene Volksart stellen und von den ver-
schiedenen Nationen das ihnen bequem und gut
scheinende sich aneignen. Sie können vielleicht sehr
gediegene Geschäftsleute sein, aber für das Gemüts-
leben und somit für die Kunst des eigenen Volkes
sind sie tot. Lin Teil ihres Selbstgefühls ist ver-
loren.
Zn dieser Überzeugung von der Berechtigung
und Notwendigkeit einer nationalen Kunst bin ich
bestärkt worden durch eine Studienreise, die ich kurz
vor dem Ausbruche des Krieges im Zuli dieses
Zahres nach England gemacht habe, und ich darf
in dieser Zeit und in diesem Zusammenhangs wohl
davon sprechen.
Der erste Eindruck, den ich von der Kultur- und
Zivilisationshöhe Englands in London bekam, war
gerade kein erhebender. Denn als ich am ersten
Morgen nach der Nationalgalerie am Trafalgar
Square und nach der Tategalerie an der Themse
der ewigen Nichtigkeiten, der Reiter am Strande,
hackenden Bauern und grabenden Arbeitern, Holz-
fällern usw. müde zu werden, und wieder nach ei-
nem Inhalt verlangte, da wurde die Parole aus-
gegeben: „Nur nicht die alten werte! Nur nicht
die gewohnten Ideale, nichts aus der Geschichte un-
seres Volkes, nichts, was das vaterländische Gefühl
erregen könnte", kurz, nichts von den alten ethischen
werten; sondern, wenn man einen Gedankeninhalt
zuließ, dann sollte es wenigstens ein ganz neuer,
„ureigener" sein, etwas, was nur in dem geheim-
sten, individuellen Sein des Künstlers seinen Grund
hatte, daher eigentlich nur diesem und wenigen
Gleichgesinnten verständlich; gleichgültig, ob dieses
Sein gesund oder krankhaft und dekadent war. Das
führte dann zuerst zu einem Neumystizismus und
dann schließli ch wieder zu den wirren Phantasien
des Expressionismus und des Futurismus, die dem
Publikum ihre Rätsel aufgaben. —
Schon längst hatten ernsthafte Riänner, auch
Künstler, gegen diese Verachtung des Inhalts und
die dann folgende Ersetzung unserer alten werte
durch die Äußerungen einer ungesunden, überreizten
Phantasie Vewahrung eingelegt.
Denn die Aufgabe der bildenden Kunst ist mit
ihrer technischen Seite nicht erschöpft. Liebermanns
Wort: „Die Technik in der bildenden Kunst ist ihr
Inhalt" ist falsch. Armselig wäre die bildende
Kunst, wenn es in ihr nur auf die Geschicklichkeit
der Hand ankäme. Sie sänke zum Handwerk herab;
wie der Dichter armselig wäre, der uns in glatten
Reimen nur ein leeres Wortgeklingel vorsetzt.
Die bildende Kunst wendet sich nicht nur an das
Auge, sondern an das Herz, an Gemüt und Geist,
wenn auch das Auge das Organ der Wahrneh-
mung ist.
Kurz, die bildende Kunst fließt, wie Thoma sagt,
aus einer Ganzheit der Rlenschennatur, die ich jetzt
einmal die poetische nennen will. Sie ist Ausdruck
nicht bloß unseres technischen und ästhetischen Ver-
mögens, sondern auch unseres Fühlens und Denkens.
„Die geflügelte Phantasie", sagt Thoma, „ordnet die
Rüttel zum Ausdruck, ob sie das nun in Wort, Ton,
Farbe oder Stein tut. Diese bildende Seelenkrast
siegt immer wieder gegen alle Rkacherei und Rech-
nerei." Und Schwind klagte schon s87O: „Die
Rlalerei ist in einen so grämlichen Zustand geraten,
daß niemand daran denkt, daß der Maler ein
Poet ist."
Das ist so klar, daß man sich wundern muß,
daß man es aussprechen muß.
Aber es war und ist nötig. Denn schon
stellte Thoma fest, „daß die Angriffe auf das deut-
sche Gemüt, nicht etwa nur von Meier-Gräfe, son-
dern, man möchte fast sagen, planmäßig erfolgen.
Za wir Deutschen wollen Gemüt haben, und wenn
es uns weggespottet worden ist, so wollen wir es
wiederzugewinnen suchen".
wir wollen, daß der bildende Künstler uns
wieder die Empfindungen eines reichen, deutschen,
abgeklärten Gemüts offenbart, daß nicht nur unser
religiöses Gefühl, sondern auch unsere vaterlän-
dischen Empfindungen, unser Stolz und unsere Liebe
zu deutscher Art aus Vergangenheit und Gegen-
wart, und alle jene Gefühle, die alt sind, doch nie
veralten und ewig jung bleiben, in der bildenden
Kunst zum Ausdruck kommen.
Und jetzt ist die Zeit, wo wir mit unserem
willen Ernst machen müssen. Zetzt müssen wir alle
helfen, unsere Künstler von dem Banne, der auf
ihnen gelastet hat, zu befreien, aus daß sie wieder
sagen können, wie ihnen ums Herz ist, es ausdrücken
können mit der gesteigerten Technik, die wir in-
zwischen gewonnen haben.
wenn Tasso das Vorrecht des Dichters mit den
Worten preist:
Und wenn der Mensch in seiner Oual verstummt,
Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide,
so hat dem bildenden Künstler ein Gott gegeben,
noch viel unmittelbarer und anschaulicher ausdrücken
zu können, was seine Seele bewegt. Und von die-
ser Gabe muß er frei Gebrauch machen können.
* *
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. . . Zch bin der festen Überzeugung, daß die
Kunst, wenn sie gesund bleiben soll, ein nationales
Gepräge behalten muß. Die Liebe zu dem Boden,
zu dem Volk und seiner Eigenart, aus der man
stammt, gehört zu den dauernden, inhärierenden
Eigenschaften der menschlichen Natur und läßt sich
ebensowenig ungestraft abschütteln, wie die Liebe zu
den Eltern. Dieser Patriotismus, diese Liebe zum
eigener: Volkstum, ist ein Teil des Selbstgefühls und
gehört, wie das Ehrgefühl, zu den sittlichen Ge-
fühlen, ist somit dauernd berechtigt und muß auch
in dem eigensten Gebiete des Gefühls- und Gemüts-
lebens, in der Kunst, zum Ausdrucke kommen. —
Ls gibt ja Menschen, denen es gelungen ist, sich irr
eine internationale Sphäre hineinzuarbeiten, die sich
über die eigene Volksart stellen und von den ver-
schiedenen Nationen das ihnen bequem und gut
scheinende sich aneignen. Sie können vielleicht sehr
gediegene Geschäftsleute sein, aber für das Gemüts-
leben und somit für die Kunst des eigenen Volkes
sind sie tot. Lin Teil ihres Selbstgefühls ist ver-
loren.
Zn dieser Überzeugung von der Berechtigung
und Notwendigkeit einer nationalen Kunst bin ich
bestärkt worden durch eine Studienreise, die ich kurz
vor dem Ausbruche des Krieges im Zuli dieses
Zahres nach England gemacht habe, und ich darf
in dieser Zeit und in diesem Zusammenhangs wohl
davon sprechen.
Der erste Eindruck, den ich von der Kultur- und
Zivilisationshöhe Englands in London bekam, war
gerade kein erhebender. Denn als ich am ersten
Morgen nach der Nationalgalerie am Trafalgar
Square und nach der Tategalerie an der Themse