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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 14.1914/​1915

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Heft 26
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XIV, Heft 26.

Die Werkstatt der Runst.

303

mancher Kunstgelehrten und Kritiker in den Gehirnen
vieler Deutschen aufgekeimte Stroh nach der Friedenthal-
schen Erfindung zu den Nahrungsmitteln zu rechnen, deren
Zufuhr unter allen Umständen unterbunden werden müsse.
Auf die von Viviani etwas zaghaft abgegebene Er-
klärung, daß Frankreich in der Tripp le-Entente nicht mehr
mittrippeln würde, schleuderte Mr. Grey den gefüllten
Geldfack auf den Tisch mit der Drohung, ihn sofort zuzu-
binden, falls Viviani sich unterstehen sollte, anderer Mei-
nung zu sein, wie er. Das gab, wie immer, den Aus-
schlag, in herzlicher, erhebender Einigkeit wurde die Aus-
fuhr französischer moderner Runst nach Deutschland ver-
boten.
wie der Blitz aus heiterem Himmel schlug die Nach-
richt dieses Beschlusses in Deutschland ein. Alles Böse
hatte man vom Feinde erwartet, aber diese Gemeinheit,
diese Verhohnepipelung jedes Völkerrechtes wirkte nieder-
schmetternd. Uebermoderne Galeriedirektoren, Runstgelehrte,
Künstler, Rritiker und Snobs rauften sich die Haare aus.
Einige verlangten Friedensschluß um jeden Preis. Gern
und willig seien sie bereit, den Rest ihres Verstandes zu
opfern, ja sie drohten mit Ausständen und Streiks ihrer
Vorträge, Abhandlungen und Kritiken, falls ihr Kunst-
hunger nicht befriedigt würde.
Als die Verwirrung und Bestürzung den Höhepunkt
erreicht hatte, griff unsere Regierung in dankenswerter
weise ein. Sofort erfolgte die Aufnahme der Bestände.
Lin Grossist der französischen Kunstgenußmittel-Branche
beruhigte die aufgeregten Gemüter durch die Erklärung,
daß seine Vorräte noch längere Zeit den Bedarf decken
könnten. Es gäbe auch genug deutsche Produzenten, welche
Surrogate herstellten, die von den französischen Produkten
kaum zu unterscheiden seien, ja diese sogar an Kühnheit
des Inhalts und Verwendung des Rohmaterials über-
träfen. Mit diesen Surrogaten könnte man den Bestand
bedeutend strecken und eine Art „K-Kunstwerke" fabrizieren,
welche den dringendsten Hunger der Intellektuellen bis
Beendigung des Krieges befriedigen würden.
Um der Gefahr zu begegnen, daß die Snobs alles
aufkaufen, findet der Vorschlag, nach Feststellung der Be-
stände und Schätzung der voraussichtlichen Streckung „Kunst-
genußmittel-Marken" herauszugeben, großen Anklang.
Zur Befriedigung des Hungers nach einer Plastik,
beispielsweise im Gewicht von 5 Kilogramm, kann der
Inhaber einer Marke, je nach ihrem Gewichtswert den
abgesägten Kopf von 750 Gramm, den Leib von 2500
Gramm, Arme und Beine mit allem, was drum und dran
hängt, t?50 Gramm fordern. Kinderreiche Familien wären
demnach in der günstigen Lage, eine ganze unzersägte
Plastik zu erwerben, was um so mehr ins Gewicht fällt,
da man bei vielen modernen Kunstwerken Kopf, Leib,
Arme und Beine nicht genau unterscheiden kann.
Vor allem dürfen Perlen nicht vor die Säue geworfen
werden; eine derartige Verfütterung muß nach dem Kunst-
genußmittel-Gesetz streng bestraft werden.
Eine weitere ernste Sorge macht die Sicherung der
Bestände in den Galerien. Beispielsweise ist in Mannheim
Manets größtes Historienbild des neunzehnten Jahrhunderts,
„Die Erschießung des Kaisers Maximilian" bei einem
Einfall des Feindes aufs äußerste gefährdet. Nicht seitens
der Franzosen, die auf diese Kriegsbeute verzichten aus
Angst, daß mancher brave Patriot in Frankreich sich tot-
lachte, aber seitens der Engländer, die das in „Feldgrau"
gemalte Bild aus kriegstechnischen Gründen vernichten
würden.
Bei Galerien, welche ferner von der Grenze liegen,
die aber durch feindliche Flieger beschädigt werden könnten,
genügt ein auf dem Dache des Gebäudes angebrachtes
Riesenplakat „^ttenticm! I'art moclerno kran^aiso!", um
die Aeronauten in alle winde zu verscheuchen.
So wäre denn die entsetzliche Gefahr der künstlerischen
Aushungerung unserer Intellektuellen bis zur neuen, nach
Friedensschluß bestimmt in Aussicht gestellten französischen
Ernte beseitigt.

was aber geschieht zur Sättigung des Kunsthungers
der übrigen Deutschen, denen niemals das Verständnis des
geistigen Nährwertes französischer Kunstprodukte aufge-
gangen, denen nie der Buell aus den Eutern milchender
welscher Kühe gestoffen, denen nie der Duft geistigen fran-
zösischen Käses die Nase würzte? Nun, der Krieg lehrt
uns, daß auch das herbe Kommißbrot deutscher Kunst die
hervorragendsten Eigenschaften zur Bildung zerebraler
Substanz besitzt und in Verbindung mit dem Kartoffelbrot-
geift zur Kunftfättigung unseres Volkes vollauf genügen
wird.
Ganz Hervorragendes für die Propaganda unserer
eigenen Produktion wird jetzt die Kritik leisten.
wer da wähnt, daß ich nicht jeder Anforderung ge-
wachsen bin, hat mein Talent unterschätzt. Glaubt man
denn im Ernst, daß ich, der Vorkämpfer der französischen
Kunstgenußmittel, noch in feldgrauer Aschermittwochs-
Stimmung verharren werde?
controleur! Dazu ist meine Kunstwissenschaft
denn doch zu weit gediehen, um nicht mit Zuhilfenahme
einfacher physikalischer Gesetze meinem Empfinden jede
gewünschte Richtung zu geben.
Ich habe sofort mein Auge mobil gemacht. Meine
für französische Kunstprodukte höchst empfindlich gemachte
Netzhaut nahm die divergierenden Strahlen der subversiven
Linse durch Pupillen-Kon- und Distraktionen im irisierenden
Konzentrationspunkte derart auf, daß die geistreichen, kühn
und wild auf Leinwand oder Pappe gestrichenen Klexe sich
schon in einer Entfernung von t50 Metern zu wunder-
baren Harmonien vereinigten. Mittels der Freßwerkzeuge
meiner äußeren Netzhaut war ich imstande, das farben-
zäheste welsche Produkt zu verschlingen und die geistige
Verdauung in hervorragenden Kritiken wieder von mir zu
geben.
Jetzt beim Umschlagen meiner Empfindungen habe ich
einfach meine Netzhaut gehäutet. Die inverstven Strahlen
der fub- und konzentrierten Linfe dringen in die neue
Schicht ein. Dicke, schwere Schuppen fallen mir von den
Augen, ich fühle tatsächlich, wie ungeheuer man mich bis-
her beschuppt hatte.
Da nun vor allem die Pupillen mit der neuen Ein-
schaltung der inversiven Strahlen dem Parallelogramm der
Kräfte diametral entgegenarbeiten, bin ich vollkommen im-
stande, nach der Netzhauthäutung mein untrügliches Urteil
wieder mit xupillarischer Sicherheit abzugeben.
Bei dem gründlichen geistigen Scheuerfest fand ich
auch zu meinem größten Erstaunen einige mir abhanden
gekommene Sinne, die ich durch zerebrales Müllern jetzt
wieder mit den übrig gebliebenen zu einer Art gesunden
Menschenverstand zu vereinigen gedenke.
Line neue Zeit bricht an, die Sauli und Pauli eilen,
den geistigen Nährwert deutscher Kunstprodukte zur Sät-
tigung der danach Hungernden zu vermitteln.
Mit meiner gehäuteten Netzhaut will ich nunmehr die
Ausstellung Deutscher Bildhauer in der viktoriastraße 27
betrachten. Die Werke sind sämtlich aus Holz, ein edles
Material und leicht verdaulich, da das Sägemehl vorzüg-
liche Albumine und schöngeistige Nährstoffe, teils als wirk-
liches Mehl, teils in Form von Zeitungspapier birgt.
Fast sämtliche Kunstwerke behandeln den Krieg. Leider
hat die strenge Zensur die Künstler gezwungen, vielfach
ihren Werken harmlose, aber gänzlich unzutreffende Titel
zu geben. Als Kritiker bin ich aber, wie immer, unbeug-
sam und offenbare die wirklichen künstlerischen Absichten
der Meister, selbst auf die Gefahr hin, von der Behörde
bei Kemxinsky interniert zu werden. Mögen meine kurzen
Andeutungen die hier gebotene zerebrale Nahrung schmack-
haft machen. Treten wir also in die heilige Markthalle
geistiger Nährwerte ein. wir finden zum großen Teil
Werke verschleierten, hochpolitischen Inhaltes. Da zeigt
Ernst Herter einen Moses — sagt er —, in Wirklichkeit
ist es ein ordentlicher Professor des Völkerrechts. Der
wütende Ausdruck: „Da habt ihr den ganzen faulen
Krempel, ich gehe in den SchützengrabenI" ist vorzüglich
 
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