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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Seesselberg, Friedrich: Die Ausbildung des Baukünstlers
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Paulsen, Friedrich: Paul Wallot
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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0039

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PAUL WALLOT

eigenen Kunstwerk zu verdichten, also nach
Innen zu arbeiten; oder die ganz anders geartete
Fähigkeit, seine Ideen und Gefühle auszustrahlen,
sie weithin zündend fortzeugen zu lassen? „Fort-
zeugen“ sagen wir absichtlich, denn wie die
Zeugung wieder lauter eigen geartete Individuali-
täten ins Leben ruft, so soll auch die Anregung
des Lehrers für Kunst im Jünger Neues und
Besonderes entfachen.

Wer daher nur Künstler ist in dem ersten
Sinne, der hat seinen natürlichen Platz in seinem
Atelier; wer aber mehr Gestalter ist in dem
zweiten Sinne, der getraue sich auf die Lehrkanzel
und in den Übungssaal. Aus einer angeborenen
Seelenkundigkeit sah beispielsweise Karl Schäfer
seine Aufgabe jedem Studenten gegenüber anders;
viele unserer modernsten Bildhauer und Archi-
tekten gestehen noch heute, diesen Formungs-
vorgang damals an sich selbst deutlich verspürt
zu haben. Wie unendlich viele herrliche Künstler-
kräfte mögen aber unserem Volke jahraus jahrein
verloren gehen, weil sie niemals die rechte be-
sondere ihnen zusagende Persönlichkeitsrichtung
bekamen — wie mancher bläst da sozusagen
zeitlebens ein schmetterndes Instrument, dem der
echte Künstler-Psycholog frühzeitig eine feine
zarte Geige in die Hand gegeben hätte.

Damit der Staat in die Lage komme, nach
diesen Eigenschaften sichere Griffe zu tun, be-
dürfte es einer weit stärkeren Betonung des
Institutes der Privatdozenten. Erst wer
sich privatdozendo als ein wirklicher Führer der
Jugend und als Gestalter von Persönlichkeiten
erwiesen hat, dürfte der Regel nach im Lehramte
für Kunstübungen Berechtigung haben. Vor
allem würde auf diese Weise der gesunde sachliche
Kampf wieder nachhaltiger in die Hochschul-
verbände getragen werden, der sich immer noch
als ein überaus fruchtbares Prinzip erwiesen hat.
Der Segen, der seinerzeit von dem schon er-
wähnten Berliner Privatdozenten Karl Schäfer
als Kämpfer ausging, ist noch heute groß und
nachhaltig. Immer mehr bildende Künstler
von Bedeutung müßten sich daher drängen,
diesem vornehmen akademischen Institute einige
Jahre ihre Kraft ganz oder teilweise zu widmen;
und der Staat seinerseits müßte diesen Persönlich-
keiten gegenüber, sei es materiell, sei es durch
Ehrungen solcher Opferwilligkeit, freigebig ver-
fahren. Unermeßliche neue Anregungen könnten
dadurch unseren Bildungsanstalten erwachsen.

PAUL WALLOT. VON FRIEDRICH
PAULSEN-DRESDEN.

Architektonischen Werken .gegenüber läßt
die Zeit, aus der Wallots wichtigste Werke

stammen, im Ernst nur die Frage zu, in welchem
Stil, nicht ob überhaupt in einem historischen
Stil oder in freigeschaffenen Formen die Auf-
gabe gelöst sei. Verständlich ist daher auch
die Stellungnahme seiner Gegner, die das deutsche
Reichstagshaus in englisch-gotischen Formen
nach dem Vorbild des Londoner hätten haben
wollen. Der Geschmack wählte zuerst unter
den Stilen, nicht unter den Werken, die man
sekundär, als mehr oder minder gelungene
Vertreter ihres Stils schätzte. Die Abstraktion
hatte sich an der Stelle ihrer sinnlich wahrnehm-
baren Vertreter eingeschwärzt. Man liebte die
Antike, die Gotik, nicht das antike oder gotische
Werk in erster Linie. Danach — und in den
Kreisen der Viel-zu-Vielen ist die Auffassung
unter einer Oberfläche neuer Schlagworte noch
immer lebendig — liegt kein Bedürfnis vor,
für neue Baugedanken neue Ausdrucksformen
zu nehmen, wir haben ja die Gotik, die
Renaissance usw. Mit diesen Kunstmitteln
können wir arbeiten, das gotische oder Renais-
sance-System entspricht angeblich allen Auf-
gaben der Baukunst. Nun gibt es aber kein
Renaissance-System, zusammengesetztaus Formen
für alle denkbaren Funktionen, keine Formel
für alle Bauaufgaben. Das System eines Stils
ist abstrahiert, es sind Worte, die das Gemein-
same aller Werke eines Stils bezeichnen möchten.
Nun ist der Wert eines Systems in diesem
Sinne durchaus nicht anzuzweifeln: Mit Worten
läßt sich trefflich streiten, mit Worten ein
System bereiten.

Nur ist dem Betrachter, dem es auf ästhetische
Befriedigung ankommt, das System, der Stil
gleichgiltig, sie sind für den Systematiker allein
von Wert. Wendet sich der Künstler an die
Genießer der Kunst, nicht an die zensierenden
Kenner der Stile, so hat das Bauen in einem
vorherbestimmten Stil keinen Zweck mehr, dann
ist der Verstoß gegen die Regeln des Stils
kein Fehler, seine Feststellung kein Tadel. Die
Beherrschung der Ausdrucksmittel eines Stils
sind ein Beleg für das Können und für die
Gewandtheit des sie Benutzenden. Die Kunst
wird von ihr nicht gefördert.

Die Aufgaben des täglichen Lebens werden
schlecht und recht zu lösen sein, ohne daß man
von ihnen eine Förderung der Kunst erwarten
dürfte. Anders die ganz großen Aufgaben, an
denen Wallot zu arbeiten das Glück hatte.

Uns wurde die Frage, ob historisch stil-
gerecht gebaut werden könne oder nicht, von
Wallot negativ beantwortet. Wallot legte wohl
historische Formen den seinen unter, aber er
beschränkte sich nicht auf sie. Er hatte Eigenes
zu sagen und er stand neuen Aufgaben gegenüber.
Das führte ihn zu neuen Ausdrucksmitteln.
 
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