Malerisches nocturno.
VON KARL FR. NOWAK.
Die lockende Mystik der Nacht hat von
je alle Kunst, alle Künstler betört. Ihre uralten
Lieder klingen durch die Gesänge der Dichter,
von Maeterlinks schwermütigen Träumen zurück
bis ins tragische Verhängnisspiel hellenischer
Dramatiker, und von der „Mondschein-Sonate“
rauscht ihre geheimnisvolle Melodie über tausend
Nachtwandler, die ihren Akkorden lauschen, bis
zur Montmartre-Symphonie, aus der in Char-
pentiers „Louise“ das schlummernde Paris er-
wacht .. . Und in ihr umschattetes Antlitz haben
Maler um Maler geblickt, versponnen und sehn-
süchtig an ihre Lyrik hingegeben, die andern
durchschauert von Urkrafts-Ahnung: unablässig
um ihr huschendes Rätsel bemüht, dem sie
alle Geheimnisse abzulauschen versucht
haben. Ihren wehenden Mantel hat
schon Goya, dieser erste heroische Ahn-
herr spätgeborener, impressionistischer Mal-
kunst, mit realistisch flackernden Lichtern
besternt, von ihrer Phantastik sang Whistler
in lohenden (und von der Zeit unver-
standenen) Rhythmen, und aus der Heer-
schau malerischer Propheten der Nacht
eilen Schritt um Schritt, wenn man’s nur
ein wenig Überiegen will, die Meister
ungezählter, mannigfacher Visionen heran:
Leistikow mit der herben Kühle märki-
scher Nacht . . . noch vor ihm der tem-
peramentschwächere Louis Douzette, am
liebsten mit Mondsilber auf beglänzten
Wassern . . . aus Belgien naht Adrien
Joseph Heymans mit andachtstummer
„nächtlicher Weihe“ . . . und Willettes
armer, blasser Pierrot wankt vorbei, wie
sein Meister ihn mit der Kerze durch Mont-
martre schickt . . . Legion ist die Zahl
der Rhapsoden der Nacht, die sie gemalt
haben und vielleicht kann wirklich nur
die Malerei, leidenschaftlicher noch als alle
Musik, elementarer als alle Poeten, den
stärksten Abglanz sonnenloser Natur er-
haschen und beleben, — die stumme
Malerei, die dennoch den Rhythmus einer
Bewegung festhalten und voll kann er-
klingen lassen und verschwenderisch an
unmittelbarer farbiger Sinnlichkeit ist, wie
keine der Schwestern im Reiche der
Kunst. . .
Sie selbst wirkt — die Nacht voll
Mystik, Melancholie und Romantik —
durch selbstschöpferische Künstlerkraft weit
heftiger, weit jäher, als der lichterfüllte Tag,
der in den heiteren Reigen bunter Farben,
mitten in ihre Harmonie, zugleich das
Häßliche und Abstoßende, das Schönheits-
feindliche ohne Versteckensmöglichkeit setzt.
Aber der Begriff des Materials, ob in der
Landschaft, ob in der Weltstadt, scheint in dem
Augenblick bezwungen, da das schonungs-
lose Hell der Sonne im letzten Abendbrande
sich verlor und die Nacht dies Material,
das grell - zusammengewürfelte des Tatsäch-
lichen und zweckmäßigen Alltags, zu einer
Einheit von Erscheinung, Rhythmus und Linie
bindet. Wenn in geschäftiger, geldeiliger Groß-
stadt die Dämmerung um Warenhäuser und
Paläste sinkt, um Mietkasernen und jahrhundert-
alte Türme, wenn von allen Firsten einmal lose
Nebelfahnen wehen, wandelt sich unmerklich
und heimlich schnell alle Nüchternheit in Duft
und lässiges Verfließen. Selbst durch Welt-
stadtstraßen zieht noch einmal das Märchen der
ALTARKREUZ in Bronzeguß mit ovaler silberner Zierplatte
Entwurf: Prof. ERNST PETERSEN
721
VON KARL FR. NOWAK.
Die lockende Mystik der Nacht hat von
je alle Kunst, alle Künstler betört. Ihre uralten
Lieder klingen durch die Gesänge der Dichter,
von Maeterlinks schwermütigen Träumen zurück
bis ins tragische Verhängnisspiel hellenischer
Dramatiker, und von der „Mondschein-Sonate“
rauscht ihre geheimnisvolle Melodie über tausend
Nachtwandler, die ihren Akkorden lauschen, bis
zur Montmartre-Symphonie, aus der in Char-
pentiers „Louise“ das schlummernde Paris er-
wacht .. . Und in ihr umschattetes Antlitz haben
Maler um Maler geblickt, versponnen und sehn-
süchtig an ihre Lyrik hingegeben, die andern
durchschauert von Urkrafts-Ahnung: unablässig
um ihr huschendes Rätsel bemüht, dem sie
alle Geheimnisse abzulauschen versucht
haben. Ihren wehenden Mantel hat
schon Goya, dieser erste heroische Ahn-
herr spätgeborener, impressionistischer Mal-
kunst, mit realistisch flackernden Lichtern
besternt, von ihrer Phantastik sang Whistler
in lohenden (und von der Zeit unver-
standenen) Rhythmen, und aus der Heer-
schau malerischer Propheten der Nacht
eilen Schritt um Schritt, wenn man’s nur
ein wenig Überiegen will, die Meister
ungezählter, mannigfacher Visionen heran:
Leistikow mit der herben Kühle märki-
scher Nacht . . . noch vor ihm der tem-
peramentschwächere Louis Douzette, am
liebsten mit Mondsilber auf beglänzten
Wassern . . . aus Belgien naht Adrien
Joseph Heymans mit andachtstummer
„nächtlicher Weihe“ . . . und Willettes
armer, blasser Pierrot wankt vorbei, wie
sein Meister ihn mit der Kerze durch Mont-
martre schickt . . . Legion ist die Zahl
der Rhapsoden der Nacht, die sie gemalt
haben und vielleicht kann wirklich nur
die Malerei, leidenschaftlicher noch als alle
Musik, elementarer als alle Poeten, den
stärksten Abglanz sonnenloser Natur er-
haschen und beleben, — die stumme
Malerei, die dennoch den Rhythmus einer
Bewegung festhalten und voll kann er-
klingen lassen und verschwenderisch an
unmittelbarer farbiger Sinnlichkeit ist, wie
keine der Schwestern im Reiche der
Kunst. . .
Sie selbst wirkt — die Nacht voll
Mystik, Melancholie und Romantik —
durch selbstschöpferische Künstlerkraft weit
heftiger, weit jäher, als der lichterfüllte Tag,
der in den heiteren Reigen bunter Farben,
mitten in ihre Harmonie, zugleich das
Häßliche und Abstoßende, das Schönheits-
feindliche ohne Versteckensmöglichkeit setzt.
Aber der Begriff des Materials, ob in der
Landschaft, ob in der Weltstadt, scheint in dem
Augenblick bezwungen, da das schonungs-
lose Hell der Sonne im letzten Abendbrande
sich verlor und die Nacht dies Material,
das grell - zusammengewürfelte des Tatsäch-
lichen und zweckmäßigen Alltags, zu einer
Einheit von Erscheinung, Rhythmus und Linie
bindet. Wenn in geschäftiger, geldeiliger Groß-
stadt die Dämmerung um Warenhäuser und
Paläste sinkt, um Mietkasernen und jahrhundert-
alte Türme, wenn von allen Firsten einmal lose
Nebelfahnen wehen, wandelt sich unmerklich
und heimlich schnell alle Nüchternheit in Duft
und lässiges Verfließen. Selbst durch Welt-
stadtstraßen zieht noch einmal das Märchen der
ALTARKREUZ in Bronzeguß mit ovaler silberner Zierplatte
Entwurf: Prof. ERNST PETERSEN
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