Die schöne frau auf der
GROSSEN KUNSTAUSSTEL-
LUNG DRESDEN 1912.
Unter den nach ihrem Inhalt so vielfältig
gestalteten Einzelabteilungen der Dresdner Aus-
stellung gewinnt nicht zuletzt die Sonder-
ausstellung „Frauenbildnisse“ ein großes
Interesse. In dem von Max Wrba geschaffenen
Raum, der für diesen Zweck bestimmt wurde,
hat Professor Hans Posse, der Direktor der
Dresdner Galerie, eine ausgezeichnete Sammlung
zusammengebracht, die zwar nicht besonders
umfangreich ist und auch keinen ausreichen-
den Überblick geben kann, aber doch die
tüchtigsten Meister in erlesenen Proben ihrer
Kunst vereinigt, soweit sie sich auf das Frauen-
porträt erstreckt.
Diese Sammlung umschreibt die Zeit von
der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis zur
letzten Gegenwart. Es ist leicht einzusehen,
daß es von besonderem Reiz ist, die Wandlung
der Kunststiie, der Ausdrucksformen und der
Technik an diesem kleinen Museum ausge-
wählter Frauenköpfe zu überschauen. So viele
Temperamente, so viele Möglichkeiten!
Und man wandelt die Zeiten ab und sieht,
wie das Auge des malenden Künstlers immer
wieder zu seiner Lieblingsaufgabe zurückkehrt,
die schöne Seele in der schönen Form zu suchen
und beides ineinander zu schmelzen.
Niemand wird hier eine „Schönheitsgalerie“
im vulgären Sinne suchen. Der Künstler ent-
deckt die inneren Schönheiten, und so schreitet
man hier im eigentlichsten Sinne durch eine
Galerie weiblicher Charaktere.
Der Reigen, historisch betrachtet, wird eröffnet
durch ein Damenbildnis eines unbekannten
italienischen Meisters des achtzehnten Jahr-
hunderts aus dem Besitz von Raffael Schuster-
Woldan. Dann bleibt der Blick auf zwei glän-
zenden Porträts der Rosalba Carriera haften,
Pastellbildnissen der Gräfin Camilla Minelli
und der Tänzerin Barbarina Campani. Die
feinsinnige ViOEE-Lebrun brilliert mit ihrer
„Schlittschuhläuferin“, die dem Besitz des Her-
zogs von Sachsen-Coburg-Gotha entstammt.
Der bestrickenden Grazie der beiden Malerinnen
gegenüber bieten die bekanntesten Porträtisten
der klassischen Epoche, Goethes Leibmaler
Tischbein, und Anton Graff die ganze bürger-
liche Ehrlichkeit ihrer guten Handwerkskunst
auf, die immer sachlich ist und doch auch eine
gewisse malerische Tiefe gibt. Von Tischbein
erscheinen Bildnisse der Gräfin Bose und einer
unbekannten Dame, Graff wird gut repräsentiert
durch ein Porträt der Corona Schröter.
Welch ein Schritt von hier aus zu den fran-
zösischen Neulandentdeckern, zu Corot, der
mit seiner „femme ä la manche jaune“ erscheint,
und zu Manet, der „la dame rose“ darbietet,
endlich zu Renoir, dem geborenen Frauen-
maler, dem Licht und Schönheit identisch sind.
Zwei charakteristische Bildnisse von ihm
schmücken diesen Raum.
Und dann die deutschen Hauptmeister des
Porträts: allen voran Leibl, dessen ernstes
Mädchenbildnis hier abgebildet ist. Den schön-
beseelenden Heinrich v. Anoeli bewundert
man im Bildnis seiner Gattin (ebenfalls hier
wiedergegeben); den treu beobachtenden
Ludwig Knaus vertritt ein Prinzessinnen-
Porträt; WilhelmTrübner’s „Dame mit blauem
Hut“ (siehe Abbildung) offenbart die feste Linie
seiner Gestaltungskraft, das Leben seiner Farbe.
Auch Meister Uhde fehlt nicht unter den er-
lesenen deutschen Bildnismalern.
Von den neueren Malern, die gewissermaßen
„außerhalb der Schlachten“ stehen, sind der
eminente Zeichner, der frühverstorbene Karl
STAUFFER-Bern, der schwungvolle, an alten
Meistern gebildete Raffael Schuster-Woldan
mit dem eleganten Porträt der Frau von der
Gabelentz zu nennen; weniger ausreichend ist
Markart vertreten, und Lenbach fehlt merk-
würdiger Weise ganz in dieser Sammlung, in
der er gewiß höchst interessant gewirkt hätte.
Die Modernsten geben natürlich zu allerhand
nutzbringenden (oder auch unfruchtbaren) Ver-
gleichen Anlaß. Hodler’s „Entzücktes Weib“
und Corinth’s Damenbildnis (beide hier wieder-
gegeben) stehen da im Vordergründe. Auch
Habermann und Klimt kommen zu ihrem
Recht.
Wenn diese Sonderausstellung auch an
Nummern nicht groß ist, so erfreut sie doch
durch Qualitäten und gewährt einen lohnenden
Blick in das Verhältnis der besten neueren
Künstler zur Frauenpsyche. L.
Im nächsten Heft, dem ersten des neuen
Jahrganges, veröffentlichen wir das Ergebnis
einer Rundfrage unter den bedeutendsten
Künstlern und Kunstkennern der Gegen-
wart über das Thema:
Welche Kunstwerke haben
in Ihrem Leben den stärksten
Eindruck auf Sie gemacht?
Wir empfehlen dieses Heft der besonderen
Beachtung. Dje Schriftleitung.
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GROSSEN KUNSTAUSSTEL-
LUNG DRESDEN 1912.
Unter den nach ihrem Inhalt so vielfältig
gestalteten Einzelabteilungen der Dresdner Aus-
stellung gewinnt nicht zuletzt die Sonder-
ausstellung „Frauenbildnisse“ ein großes
Interesse. In dem von Max Wrba geschaffenen
Raum, der für diesen Zweck bestimmt wurde,
hat Professor Hans Posse, der Direktor der
Dresdner Galerie, eine ausgezeichnete Sammlung
zusammengebracht, die zwar nicht besonders
umfangreich ist und auch keinen ausreichen-
den Überblick geben kann, aber doch die
tüchtigsten Meister in erlesenen Proben ihrer
Kunst vereinigt, soweit sie sich auf das Frauen-
porträt erstreckt.
Diese Sammlung umschreibt die Zeit von
der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis zur
letzten Gegenwart. Es ist leicht einzusehen,
daß es von besonderem Reiz ist, die Wandlung
der Kunststiie, der Ausdrucksformen und der
Technik an diesem kleinen Museum ausge-
wählter Frauenköpfe zu überschauen. So viele
Temperamente, so viele Möglichkeiten!
Und man wandelt die Zeiten ab und sieht,
wie das Auge des malenden Künstlers immer
wieder zu seiner Lieblingsaufgabe zurückkehrt,
die schöne Seele in der schönen Form zu suchen
und beides ineinander zu schmelzen.
Niemand wird hier eine „Schönheitsgalerie“
im vulgären Sinne suchen. Der Künstler ent-
deckt die inneren Schönheiten, und so schreitet
man hier im eigentlichsten Sinne durch eine
Galerie weiblicher Charaktere.
Der Reigen, historisch betrachtet, wird eröffnet
durch ein Damenbildnis eines unbekannten
italienischen Meisters des achtzehnten Jahr-
hunderts aus dem Besitz von Raffael Schuster-
Woldan. Dann bleibt der Blick auf zwei glän-
zenden Porträts der Rosalba Carriera haften,
Pastellbildnissen der Gräfin Camilla Minelli
und der Tänzerin Barbarina Campani. Die
feinsinnige ViOEE-Lebrun brilliert mit ihrer
„Schlittschuhläuferin“, die dem Besitz des Her-
zogs von Sachsen-Coburg-Gotha entstammt.
Der bestrickenden Grazie der beiden Malerinnen
gegenüber bieten die bekanntesten Porträtisten
der klassischen Epoche, Goethes Leibmaler
Tischbein, und Anton Graff die ganze bürger-
liche Ehrlichkeit ihrer guten Handwerkskunst
auf, die immer sachlich ist und doch auch eine
gewisse malerische Tiefe gibt. Von Tischbein
erscheinen Bildnisse der Gräfin Bose und einer
unbekannten Dame, Graff wird gut repräsentiert
durch ein Porträt der Corona Schröter.
Welch ein Schritt von hier aus zu den fran-
zösischen Neulandentdeckern, zu Corot, der
mit seiner „femme ä la manche jaune“ erscheint,
und zu Manet, der „la dame rose“ darbietet,
endlich zu Renoir, dem geborenen Frauen-
maler, dem Licht und Schönheit identisch sind.
Zwei charakteristische Bildnisse von ihm
schmücken diesen Raum.
Und dann die deutschen Hauptmeister des
Porträts: allen voran Leibl, dessen ernstes
Mädchenbildnis hier abgebildet ist. Den schön-
beseelenden Heinrich v. Anoeli bewundert
man im Bildnis seiner Gattin (ebenfalls hier
wiedergegeben); den treu beobachtenden
Ludwig Knaus vertritt ein Prinzessinnen-
Porträt; WilhelmTrübner’s „Dame mit blauem
Hut“ (siehe Abbildung) offenbart die feste Linie
seiner Gestaltungskraft, das Leben seiner Farbe.
Auch Meister Uhde fehlt nicht unter den er-
lesenen deutschen Bildnismalern.
Von den neueren Malern, die gewissermaßen
„außerhalb der Schlachten“ stehen, sind der
eminente Zeichner, der frühverstorbene Karl
STAUFFER-Bern, der schwungvolle, an alten
Meistern gebildete Raffael Schuster-Woldan
mit dem eleganten Porträt der Frau von der
Gabelentz zu nennen; weniger ausreichend ist
Markart vertreten, und Lenbach fehlt merk-
würdiger Weise ganz in dieser Sammlung, in
der er gewiß höchst interessant gewirkt hätte.
Die Modernsten geben natürlich zu allerhand
nutzbringenden (oder auch unfruchtbaren) Ver-
gleichen Anlaß. Hodler’s „Entzücktes Weib“
und Corinth’s Damenbildnis (beide hier wieder-
gegeben) stehen da im Vordergründe. Auch
Habermann und Klimt kommen zu ihrem
Recht.
Wenn diese Sonderausstellung auch an
Nummern nicht groß ist, so erfreut sie doch
durch Qualitäten und gewährt einen lohnenden
Blick in das Verhältnis der besten neueren
Künstler zur Frauenpsyche. L.
Im nächsten Heft, dem ersten des neuen
Jahrganges, veröffentlichen wir das Ergebnis
einer Rundfrage unter den bedeutendsten
Künstlern und Kunstkennern der Gegen-
wart über das Thema:
Welche Kunstwerke haben
in Ihrem Leben den stärksten
Eindruck auf Sie gemacht?
Wir empfehlen dieses Heft der besonderen
Beachtung. Dje Schriftleitung.
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