MÄDCHEN (Preis 900 Mark) ERICH HECKEL-DRESDEN
Zu dem Artikel »Gott schütz’ die Kunst!"
Gott schütz' die kunsti
(Ein Faschingskapitel.)
„Kunst ist etwas, was kein Mensch be-
greifen kann!“ „Kunst ist, was sich gründlich von
der Natur losgesagt hat!“ „Kunst ist ein Destillat
aus Nichts und holder Verrücktheit!“ Dies sind,
meiner Treu, die Bannersprüche einer Reihe be-
vorzugter, für die Geniedrängelei der Zeit höchst
typischer Talente, welche den Mut in der Brust
seine Spannkraft üben ließen und forsch mit um-
geworfenen Farbentöpfen in die graue Welt
hineinmarschierten. In dieser Welt verdrehter
Meinungen und künstlerischer Rückständigkeiten
wirken sie als Pioniere des nahenden Chaos. Sie
weisen den Weg in die Zukunft, den einzigen
Rettungsweg, den wir armselig-normalen Menschen
zum Paradies des unerforschlichen Blödsinns gehen
dürfen, wenn wir der Wohltaten der turbulenten
Linie, der explodierenden Farbe, des abderitischen
Geschmacks voll teilhaftig werden wollen. Wer
möchte da zurückstehen? Kann jemand bei
solchen Lockungen hinterm Ofen sitzen bleiben ?
Jeder, der etwas auf seine Fortentwicklung in
Kunstdingen hält, sieht jetzt den richtigen Augen-
blick gekommen, seine banausischen Urteile über
sogenannte „Qualitäten“ zu revidieren — er braucht
sich nur ein wenig in die neo-neo-neosezessionisti-
schen Kunstwerke zu vertiefen, welche die jüngsten
Eigengrüppler, diese erst wahrhaft modernen
Formen- und Farbengeber, diese Bastillenstürmer
Heckei, Kirchner, Rosenkranz, Stückgold (ein fein
illustrierender Name!), Kandinsky, Hanns Bolz
und besonders die Condottierie Wilhelm Morgner,
Schmidt-Rottluff vor ihm auftürmen. All diese
vorbildlichen Neutöner schließen uns nie gesehene
Kunst-Zonen auf. Dies erreichten sie dadurch,
daß sie die Reste der umgeworfenen Farbentöpfe
mit redlichem Fleiß und brausendem Genie durch-
einanderschüttelten und mit höchst geduldiger
Leinewand in Verbindung brachten oder auch,
indem sie schnöden Ton zu formtollen Gestalten
kneteten. Manche Farbenschüttler waren freilich
noch so kulturlos, etwas wie Zeichnung zu ver-
suchen —• wie gut war es für diese Napoleone
der Linie, daß sie die unerschütterliche Klassik
des kleinen Moritz hinter sich stehen hatten!
Nun haben wir, dank dieser erwählten Sturm-
gesellen, doch einen Ausblick ins Fernste offen!
Wir wissen jetzt, daß die Erde und mit ihr der
gesamte Kosmos ganz anders aussehen, als es
sich unser halbblindes Auge träumen ließ, wir
wissen jetzt, daß eine Landschaft aus nichts als
gelben Ringelwürmern besteht, daß ein Ackerfeld
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Zu dem Artikel »Gott schütz’ die Kunst!"
Gott schütz' die kunsti
(Ein Faschingskapitel.)
„Kunst ist etwas, was kein Mensch be-
greifen kann!“ „Kunst ist, was sich gründlich von
der Natur losgesagt hat!“ „Kunst ist ein Destillat
aus Nichts und holder Verrücktheit!“ Dies sind,
meiner Treu, die Bannersprüche einer Reihe be-
vorzugter, für die Geniedrängelei der Zeit höchst
typischer Talente, welche den Mut in der Brust
seine Spannkraft üben ließen und forsch mit um-
geworfenen Farbentöpfen in die graue Welt
hineinmarschierten. In dieser Welt verdrehter
Meinungen und künstlerischer Rückständigkeiten
wirken sie als Pioniere des nahenden Chaos. Sie
weisen den Weg in die Zukunft, den einzigen
Rettungsweg, den wir armselig-normalen Menschen
zum Paradies des unerforschlichen Blödsinns gehen
dürfen, wenn wir der Wohltaten der turbulenten
Linie, der explodierenden Farbe, des abderitischen
Geschmacks voll teilhaftig werden wollen. Wer
möchte da zurückstehen? Kann jemand bei
solchen Lockungen hinterm Ofen sitzen bleiben ?
Jeder, der etwas auf seine Fortentwicklung in
Kunstdingen hält, sieht jetzt den richtigen Augen-
blick gekommen, seine banausischen Urteile über
sogenannte „Qualitäten“ zu revidieren — er braucht
sich nur ein wenig in die neo-neo-neosezessionisti-
schen Kunstwerke zu vertiefen, welche die jüngsten
Eigengrüppler, diese erst wahrhaft modernen
Formen- und Farbengeber, diese Bastillenstürmer
Heckei, Kirchner, Rosenkranz, Stückgold (ein fein
illustrierender Name!), Kandinsky, Hanns Bolz
und besonders die Condottierie Wilhelm Morgner,
Schmidt-Rottluff vor ihm auftürmen. All diese
vorbildlichen Neutöner schließen uns nie gesehene
Kunst-Zonen auf. Dies erreichten sie dadurch,
daß sie die Reste der umgeworfenen Farbentöpfe
mit redlichem Fleiß und brausendem Genie durch-
einanderschüttelten und mit höchst geduldiger
Leinewand in Verbindung brachten oder auch,
indem sie schnöden Ton zu formtollen Gestalten
kneteten. Manche Farbenschüttler waren freilich
noch so kulturlos, etwas wie Zeichnung zu ver-
suchen —• wie gut war es für diese Napoleone
der Linie, daß sie die unerschütterliche Klassik
des kleinen Moritz hinter sich stehen hatten!
Nun haben wir, dank dieser erwählten Sturm-
gesellen, doch einen Ausblick ins Fernste offen!
Wir wissen jetzt, daß die Erde und mit ihr der
gesamte Kosmos ganz anders aussehen, als es
sich unser halbblindes Auge träumen ließ, wir
wissen jetzt, daß eine Landschaft aus nichts als
gelben Ringelwürmern besteht, daß ein Ackerfeld
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