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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Osborn, Max: Die grosse Berliner Kunstausstellung 1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0625

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DIE GROSSE

BERLINER KUNSTAUSSTELLUNG 1912.

VON DR. MAX OSBORN.

Wer den großen Sommerausstellungen im
Berliner Glaspalast am Lehrter Bahnhof
gerecht werden will, muß sich darüber
klar werden, was sie bieten wollen. Er hat im
Auge zu behalten, daß die künstlerischen Kreise,
aus denen diese Unternehmungen hervorgehen,
sich im Wesentlichen von dem Bestreben leiten
lassen, die erprobten und bewährten Maximen
der künstlerischen Auffassung und Äußerung zu
pflegen und nach besten Kräften auszunutzen.
Daraus folgt, daß sie es von Hause aus prin-
zipiell ablehnen, sich an den jeweilig auf-
tauchenden Versuchen zur Erweiterung und
Veränderung jener Maximen vorläufig anders
als beobachtend, passiv zu beteiligen. Das ist
eine Konstatierung, kein Werturteil. Der histo-
risch-kritisch gestimmte Betrachter des zeitge-
nössischen Kunstmühens fühlt naturgemäß sein
Interesse zunächst da gereizt, wo die Schlachten
geschlagen werden; wo das sehnsüchtige Ver-
langen nach neuen Ausdrucksmitteln für die
künstlerischen Erregungen der Sinne und der
Seele rumort, die aus der Zeit geboren werden.
Aber er wäre erheblich schief gewickelt, wenn
er vergessen würde, daß die Pflege des Vor-
handenen ebenso ihre Bedeutung und ihre Not-
wendigkeit hat. Kein Kunstbetrieb wird je ohne
ein bestimmtes Maß von Konvention (im besten
Sinne des Wortes) auskonimen können. Nicht
etwa nur um dem Markt zu dienen — obschon
auch das wichtig und unentbehrlich ist —
sondern vor allem um die Ausbreitung der
Fortentwicklung durchzuführen und weiter vor-
zubereiten.

Niemand wird darum die Mission der großen
Ausstellungen unterschätzen. Wenn die Kritik
sie oft so schief anfaßt, so beruht das vielmehr
auf der Überzeugung, daß der Begriff der
„Konvention“ zu weit ins Falsche geführt und
daß dem Marktgedanken zu großer Spielraum
gewährt ist; daß eben jene Prinzipien nicht
streng genug gewahrt werden, das hängt mit
der Geschichte der Berliner Kunstausstellungen
zusammen, deren periodische Reihe bis in die
letzten Lebenswochen Friedrichs des Großen,
bis in den Sommer 1786 zurückreicht. Damals
war der Grundsatz: alles was überhaupt an
Kunst in Berlin geleistet wurde, d. h. was über
das Dilettantische hinausragte, soweit man seiner
habhaft werden konnte, vorzuführen. Hundert

Jahre und länger konnte dieser Grundsatz auf-
recht erhalten werden. Heute halte ich ihn für
überlebt, da die Zahl der Produzierenden so
ungeheuer gewachsen ist, daß der Vollständig-
keitsgedanke zur Gefahr zu werden droht. Ein
anderes Gesetz müßte heute an seine Stelle
treten: das der Auslese unter dem Gesichts-
punkt der höheren Qualität. Nur dies, die
höhere Qualität, sollte entscheidend sein; nicht
der menschlich begreifliche und schätzenswerte
Standpunkt: alles, was auch bei bescheidenen
Ansprüchen als künstlerische Arbeit anzusehen
ist, hat bereits Anrecht auf einen Platz.*) Dies
fordert nicht „Nörgelsucht“ und wahrlich nicht
sezessionistische Parteigängerei, sondern die
eifernde Liebe eines Kunstfreundes, der die
„Große Berliner“ auf dem Wege sehen möchte,
der allein in ihrem wohlverstandenen Interesse
liegt. Die Ausstellung muß erzieherisch, an-
spornend, führend wirken; nicht berichtend. Da
sitzt der Kern der Sache.

Jene „Mission“ wird in diesem Jahre be-
sonders deutlich, da man völlig auf „Extraüber-
raschungen“ verzichtet hat. Dem Gesamteindruck
der Ausstellung kommt das natürlich nicht zu
Gute; denn zu den Urtrieben der Menschheit
gehört nun einmal das Bedürfnis nach Ab-
wechslung. Aber für eine Klärung der Situation
ist diese ehrliche Selbstbeschränkung nur vorteil-
haft. So ruht der Schwerpunkt des Ganzen
in den Kollektivausstellungen Berliner
Künstler, die man als eine willkommene und
hoffentlich dauernde Neuerung eingeführt hat.
Das Prinzip der Auslese wird dadurch wenigstens
in bestimmten Grenzen befolgt. Man nahm
einen Teil der besten Namen aus Akademie und
Künstlerverein und fügte einige der begabtesten
Jüngeren hinzu — ein Verfahren, das man Jahr
um Jahr bei wechselnden Listen einschlagen
könnte. Diesmal führen Otto H. Engel mit
feinen neuen Arbeiten aus seinem bekannten
Kreise, Fritz Burger, der sich in seinen Por-
träts mit so anerkennenswerter Kraft zu einem
freien, eigenen Ausdruck durchzuringen müht,
Max Uth mit der leuchtenden Frische seiner
Landschaftskunst, die in ununterbrochener Ent-
wicklung begriffen ist, und Franz Eichhorst,

*) Hierzu sei bemerkt, daß bei der Jury der Großen Berliner
Kunstausstellung: dieses Jahr 3246 Gemälde eingingen, von denen
nur 916 angenommen wurden. Die Schriftleitung.

DIE KUNSTWELT I, 8

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