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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Figdor, Karl: Indische Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0545

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INNERES DER MOTI-MOSCHEE BEI DELHI

REINE MOGUL-ARCHITEKTUR

INDISCHE ARCHITEKTUR.

VON KARL FIGDOR.

Die Wurzel jedweden Verstehens asiatischer
Kultur liegt im Überirdischen. So sehr bei uns
Westlichen Religion und Leben zwei Dinge
sind, die fast immer nebeneinander einhergehen,
oft aber sich diametral entgegenarbeiten, so
sehr ist es bei allen östlichen Völkern die
Einheit, die alle Äußerungen des Lebens aus
dem hohen, reinen Baum der Religion sprießen
läßt. Vom Kleinsten bis ins Größte beherrscht
denn auch den großen indischen Kontinent
mit seinen Hunderten von Religionen, Völkern,
Kasten und Gebräuchen die Stellungnahme des
Erdenpilgers zu den Göttern, die Stellung der
Götter zu irdischem Tun und Lassen allen
Horizont. Im Gegensatz zu unserer neben einer
kirchlichen wirkenden profanen Kunst gibt es
dort, wenn schon nicht bloß eine kirchliche im
engsten Sinn des Wortes, so doch eine religiöse
Kunst allein. Alles geschieht zum Preis, zur
Versöhnung Allahs oder der Götter.

Ihre schönste Blüte hat die Kunst des Ostens
jahrtausendelang bis auf den heutigen Tag im
Architektonischen gefunden. Hier konnte sich
der Künstler ausleben, mit begeisterten Händen

ins Volle greifen. Denn neben den Wohnungen
der Götter, den Schlafstätten der Heiligen galt
es die Paläste und Burgen der Mächtigen zu
türmen, galt es, der Nachwelt prunkvolle Denk-
steine irgend eines neuen Sieges, einer neuen
Dynastie in der an Zusammenbrüchen und Neu-
bildungen, an blutiger Fehde und märchenhaftem
Sieg so reichen Halbinsel zu überliefern. Der
Sänger in Stein war so jahrhundertelang
Sieger, und neben seiner Kunst blieben, aus
einer ganzen Reihe von Ursachen heraus, die
andern Künste weit zurück.

Ihren Gipfel wiederum hat die Architektur
in allen ihren Zweigen mit der Mogulgröße
erreicht. Diese mohammedanische Dynastie ge-
hört zu der Reihe größter Menschen und Cha-
raktere, die die Welt gesehen hat. Wüstlinge
und Betrüger, Religionsgründer und begnadetste
Künstler, Gesetzgeber, geniale Feldherrn und
idealistische Friedensfürsten, bauten sie all ihren
Leidenschaften mit der freigebigsten Hand und
grenzenlosen Mitteln Paläste, stifteten Grabmäler
lautersten Marmors Männern, die sie schätzten,
Frauen, die sie liebten. Das Wunderbarste von
allen, die Tatsch Mahal von Agra, ist nach der
Aussage vieler und auch nach meinem eigenen
inbrünstigen Glauben (denn wer, sei er auch

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