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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Grossberlin im Bilde
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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0263

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AN DER FRIEDRICHSQRÄCHT ERICH MÜLLER

Grossberlin im bilde.

Eine Ausstellung im Künstlerhaus, die
unter dieser Devise eine große Anzahl Bilder
Berliner Künstler vereinigt hatte, griff ein Problem
von nicht gewöhnlicher Bedeutung auf: nämlich den
Maler in seinem künstlerischen Verhältnis zu der
merkwürdigsten aller europäischen Großstädte zu
zeigen, zu einer Stadt, deren ungeheures Aus-
breitungsbedürfnis alle Rücksichten auf pittoreske
Wirkungen meist ganz ausschließt, die eigentlich
-ohne Zusammenhänge gewachsen ist und motivisch
dem Künstler nicht viel hergeben kann. So ist
-es denn nicht verwunderlich, wenn das Problem
nicht ganz zu einer einheitlichen Lösung geführt
werden konnte. Berlin gilt als die reinlichste
Stadt der Welt — damit ist zugleich das Urteil
über sie gesprochen, daß sie auch die unmalerischste
ist. Wie sie mit der unbekümmerten Nieder-
legung ihrer paar Besitztümer aus innerlich kultur-
volleren Epochen sich selbst einen festen Charakter
fortgenommen hat, ward sie auch immer mehr
eine nüchtern-sachliche Verächterin aller Tradition,
und mit jedem ihrer hastigen Schritte, die sie

über ihre Peripherien hinaussetzt, tritt sie ein
Stück Vergangenheit mit Behagen tot. Dieser
Urtyp einer „Stadt auf der Wanderung“
kann also künstlerisch nicht sehr fruchtbar sein.
Lange, gleichförmige Straßenzeilen, ungegliederte
Bezirke, wahllos hingestreute Plätze, von Miets-
kasernen umstellt, ganz perspektivelose Avenuen
•— all das ist das Signum Berlins, wie es das
jeder Großstadt dieser Art sein muß. Ein Triumph
von Nüchternheit! (Vielleicht gibt es in dreißig,
vierzig Jahren, wenn erst die Gleichmachung bis
auf’s äußerste getrieben ist, Menschen, welche
gleichwohl diese unsere Gegenwart mit allen
ihren Äußerungen noch ziemlich romantisch finden!)

So bleiben in Berlin, wo die Linien fehlen,
nur die Farben, die Luftstimmungen, einige
Effekte des Lichtes übrig, mit denen die Jahres-
zeiten über Kanälen und Straßen, über Dächern
und kargen Naturausschnitten dieses Riesen Viel-
ecks Berlin wechseln. Diese Reize haben die
Maler auf der Ausstellung „Großberlin im Bilde“
vorwiegend aufgesucht, wobei freilich zu beachten
ist, daß diese Reize nicht spezifisch berlinisch
sind. Höchstens etwa die eigentümliche Poesie

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