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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0622

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Literatur.

Die Nationalgalerie. Ein kritischer Führer von
Karl Scheffler. Verlag Bruno Cassirer, Berlin.

Der Verfasser dieses dankenswerten Werkes, das
einmal geschrieben weiden mußte, bescheidet sich
selbst so weit, seinen kritischen Führer nur als
einen gebildeten Freund auszugeben, den man
nach dem Genuß eines Bildes, einer Skulptur zu
Rate ziehen dürfe — nicht aber als einen selbst-
gefälligen Mentor. Diese vornehme Bescheidenheit
kann dem Scheffler’schen Buch als ein Lob aus
anderem Munde zurückgegeben werden, denn es
bietet sich mit einem Buche nicht viel Wertvolleres
denn das, in ihm einen Freund zu finden. Voll
schöner Klugheit ist schon das Vorwort, darin
der Autor sagt: „Der Leser debattiere mit dem
Autor, er kämpfe unter Umständen mit ihm und
lasse sich nicht schnell besiegen. Denn es ist
nicht eben wichtig, wer am Ende Recht behält,
ob der Leser oder der Autor; wichtig ist allein,
daß die Sache, daß die Wahrheit der Kunst Recht
behält. Es gibt kein Buch über Kunst, das dem
Betrachter das selbständige Urteilen ersparen
könnte; denn es gibt in der Kunstbeurteilung
nicht exakte und ein für allemal feststehende
Ergebnisse, es gibt nur Wege des Urteils, über
die eine Zeit mit innerer Notwendigkeit gehen
muß. Echte Kunst ist wie eine zweite Natur;
jedes neue Geschlecht bespiegelt sich darin in
einer neuen Weise. Es ist das Geheimniß der
Kunst wie der Natur, daß beide jedem Anruf
der Empfindung antworten und doch immer gleich
undurchdringlich bleiben in ihrer keuschen Har-

monie. Empfindung ist darum alles.“ — Solche
exemplarisch guten Worte über Kunstbetrachtung
hört man ja nicht allzuoft, und darum habe ich
sie hierher gesetzt. Auch darf man Scheffler
ohne Rückhalt darin beistimmen, daß es überhaupt
nur darauf ankomme, sich davon überzeugen zu
lassen, wie glücklich es macht, die Kunst zu
lieben. Seiner Führerschaft durch die Bildersäle
der Nationalgalerie zu folgen, ist auf jeden Fall
ein Vergnügen. Sein Wort ist ernst und in der
Begeisterung über die großen Meister so echt
wie in der Absage an die „nur Geschicklichen“.
Den Schätzen der Nationalgalerie folgend, gibt
er eine Entwickelungsgeschichte der neueren
deutschen Malerei und Plastik, indem er Gruppen
und einzelne Haupterscheinungen darstellt, wie
sie sich an diesen Werken offenbaren. Eine
glückliche Disposition beherrscht das Ganze: Die
Nazarener und die Deutsch-Römer beginnen;
die lokale Wirklichkeitskunst, nach ihren Stadt-
begrenzungen gegliedert, schließt sich an, die
modernen Naturalisten und Impressionisten, sodann
die einflußreichen modernen Franzosen runden
den Kreis. Skulptur und Graphik folgen in
einer Art Anhang. Zu den besten Abhandlungen
rechne ich die über Feuerbach, Marees, Schadow
als Zeichner, den Dresdener v. Rayski, über die
Franzosen. Weniger gerecht ist meiner Empfindung
nach Scheffler dem prachtvollen Menzel-Vorläufer
Karl Blechen geworden. Das Ganze steht als
eine der reifsten Leistungen der heutigen Kunst-
literatur da. Musterhaft sind die zweihundert
Bildbeigaben des Werkes. p t

ENGLISCHE MÖBEL: KANAPEE. REGIERUNGSZEIT KÖNIG WILHELMS UND DER KÖNIGIN MARY

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