Aus: RUMPUMPEL. Ein Buch für junge Mütter und ihre Kleinsten von PAULA DEHMEL.
Mit Bildern von KARL HOFER. Bei HERMANN und FRIEDRICH SCHAFFSTEIN-KOLN
INDERBÜCHER EINST UND
JETZT.
VON WALTER KORNICK.
Man glaube nur nicht, daß unser Zeitalter,
hartherzig, stahlgepanzert wie es ist, nicht seine
grillenhaften Stunden hätte, Stunden, die ihm
das klirrende Wehrgehänge zur unerträglichen
Last machen, daß es sich heimlich fortschleicht,
weit, weit fort, um in fernen Tempeln auf stillen
Altären wehmütige Opfer darzubringen. Einen
weiß ich unter diesen Tempeln, der wohl schöner
dasteht als viele andre, auf dessen Altar die
Flammen heller brennen, als in vielen andern,
— dieser Tempel gehört der Kindheit.
Wie wenig das nur bildlich gesprochen und
gedacht ist, fühlt, wer hier sogleich des ewig
unerschöpflichen Zaubers gedenkt, der die Kunst
von achtzehn Jahrhunderten wieder und immer
wieder in den Bannkreis des einen einfachsten
und zugleich reichsten aller Lebenssymbole
hineinzog, zu dem Bild der „Mutter mit dem
Kinde“.
Aber diese achtzehn Jahrhunderte über und
länger war das Kind eigentlich nur Objekt
des künstlerischen oder sonstwie gearteten An-
schauens gewesen. Erst nachdem aus jener
heilig-profanen Bildgruppe der christlichen Kunst
das menschlich - weltliche Motiv der neueren
Kindermalerei sich losgelöst hatte, — vereinzelt
geschah’s schon in der Blütezeit der spanischen
und niederländischen Genremalerei, entschiedener
in der englischen Bildniskunst der Wende des
achtzehnten Jahrhunderts, bei uns erst mit der
jüngsten Entwicklung — erst da ward Raum
für eine weitere Ausstrahlung dieses künstlerisch-
objektiven Erfassens: das Kind wurde Sub-
jekt neuartiger psychologisch-praktischer Be-
strebungen, erzieherischer Taten, es erstand eine
Kunst für das Kind.
Aber es liegt in der Natur dieses ganzen
eigenartigen Erziehungsproblems — ein sol-
ches ist und bleibt es — begründet, daß auch
seine eigentlich ku nsterzieherischen Abzweige
in Entwicklungen und Erwägungen nicht bloß
künstlerischer Art wurzeln.
Wir Nichtkinder, die wir — handelnd und
leidend zugleich — in dem gewaltigen Gärungs-
prozeß unsrer Zeit mitten inne stehen, die wir
selbst noch die scharfe Biegung wollend oder
nichtwollend mitmachen mußten, die das Zeit-
alter, alles mit sich fortreißend, alles und sich
selber aus den alten Bahnen werfend, ausführte,
wir fühlen täglich und stündlich, wie schlecht
wir trotz Dreadnoughts und Maschinengewehren
für den Lebenskampf mit all diesem Neuen aus-
167
Mit Bildern von KARL HOFER. Bei HERMANN und FRIEDRICH SCHAFFSTEIN-KOLN
INDERBÜCHER EINST UND
JETZT.
VON WALTER KORNICK.
Man glaube nur nicht, daß unser Zeitalter,
hartherzig, stahlgepanzert wie es ist, nicht seine
grillenhaften Stunden hätte, Stunden, die ihm
das klirrende Wehrgehänge zur unerträglichen
Last machen, daß es sich heimlich fortschleicht,
weit, weit fort, um in fernen Tempeln auf stillen
Altären wehmütige Opfer darzubringen. Einen
weiß ich unter diesen Tempeln, der wohl schöner
dasteht als viele andre, auf dessen Altar die
Flammen heller brennen, als in vielen andern,
— dieser Tempel gehört der Kindheit.
Wie wenig das nur bildlich gesprochen und
gedacht ist, fühlt, wer hier sogleich des ewig
unerschöpflichen Zaubers gedenkt, der die Kunst
von achtzehn Jahrhunderten wieder und immer
wieder in den Bannkreis des einen einfachsten
und zugleich reichsten aller Lebenssymbole
hineinzog, zu dem Bild der „Mutter mit dem
Kinde“.
Aber diese achtzehn Jahrhunderte über und
länger war das Kind eigentlich nur Objekt
des künstlerischen oder sonstwie gearteten An-
schauens gewesen. Erst nachdem aus jener
heilig-profanen Bildgruppe der christlichen Kunst
das menschlich - weltliche Motiv der neueren
Kindermalerei sich losgelöst hatte, — vereinzelt
geschah’s schon in der Blütezeit der spanischen
und niederländischen Genremalerei, entschiedener
in der englischen Bildniskunst der Wende des
achtzehnten Jahrhunderts, bei uns erst mit der
jüngsten Entwicklung — erst da ward Raum
für eine weitere Ausstrahlung dieses künstlerisch-
objektiven Erfassens: das Kind wurde Sub-
jekt neuartiger psychologisch-praktischer Be-
strebungen, erzieherischer Taten, es erstand eine
Kunst für das Kind.
Aber es liegt in der Natur dieses ganzen
eigenartigen Erziehungsproblems — ein sol-
ches ist und bleibt es — begründet, daß auch
seine eigentlich ku nsterzieherischen Abzweige
in Entwicklungen und Erwägungen nicht bloß
künstlerischer Art wurzeln.
Wir Nichtkinder, die wir — handelnd und
leidend zugleich — in dem gewaltigen Gärungs-
prozeß unsrer Zeit mitten inne stehen, die wir
selbst noch die scharfe Biegung wollend oder
nichtwollend mitmachen mußten, die das Zeit-
alter, alles mit sich fortreißend, alles und sich
selber aus den alten Bahnen werfend, ausführte,
wir fühlen täglich und stündlich, wie schlecht
wir trotz Dreadnoughts und Maschinengewehren
für den Lebenskampf mit all diesem Neuen aus-
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