FEUERSBRUNST. ZEICHNUNG MUIRHEAD BONE
Der schotte muirhead bone
VON GEORG BIERMANN.
Vor einiger Zeit erschien in Glasgow
bei James Maclehose and Sons ein kostbares
Album mit 50 Ansichten der schottischen Uni-
versitäts- und Industriestadt, das in wohlgelun-
genen Reproduktionen die Zeichnungen und
Pastelle vereinigte, die Muirhead Bone nach
Motiven seiner Vaterstadt geschaffen hat. Man
durchblättert den dickleibigen Band, dem ein
kurzer historischer Überblick über das Werden
Glasgows von H. Charteris vorangestellt ist,
zunächst mit einiger Skepsis und ist dann mit
jedem neuen Moment mehr überrascht von der
Fülle reifer und abgeklärter Kunst, die hier
zusammenströmt. Plötzlich ist unser Interesse
an Glasgow selbst geweckt. In den Veduten
und Silhouetten dieser Stadt, die wir nur vom
Hörensagen als eine Hochburg des modernen
schottischen Geistes kennen, wird ganz unver-
sehens etwas von der Seele dieses Landes
lebendig, das, wie man weiß, zu dem Schönsten
gehört, was die Natur geschaffen hat. Einsam-
keiten und verschwiegene nächtliche Winkel, in
denen der Spuk der Gespensterstunde umgeht,
sind neben den lebensstarken Zeugen betrieb-
samer Alltäglichkeit abgebildet. Im hellen Licht
des Morgens regt sich allenthalben die Geschäf-
tigkeit der ruhelosen Großstadt und der schlanke
gotische Turm der Universität, den am Abend
verklingender Lichterschein in halb verschwom-
mener Silhouette vor dem dunklen Himmel malt,
steht auf den Blättern, die das frische Leben
um die Mittagsstunde aufzeichnen, wie ein
sieggewohntes Zeichen über dem Werden der
Zukunft.
Hat man diese fünfzig Zeichnungen von
Muirhead Bone gesehen, dann kennt man
Glasgow, seine Seele und seinen Geist, und
man weiß, daß hier Handel, Industrie und
Wissenschaft einen Dreibund geschlossen, der
auch für kommende Jahrzehnte dem städtischen
Organismus ein unzweideutiges Relief verleiht.
Aber ein Etwas ist doch in diesen Blättern,
das die Wirklichkeit dichterisch überwindet, das
den Alltag in künstlerischem Sinne verklärt, das
wie ferne Romantik aus den Tagen eines Walter
Scott anmutet und mit heimlicher Liebe zur
Vaterstadt deren Bestes und Schönstes belauscht
hat. Man fühlt es, daß hier ein Künstler von
Gottes Gnaden erzählt und die hundertfältigen
Gesichte visionär verklärt hat. Nicht dithyram-
bisch mit der mächtigen Wucht mystischer Emp-
findung, sondern einfach, naiv — oft fast zu
naiv — mit der verzückten Freude an der rein-
DIE KUNSTWELT I, 6
383
Der schotte muirhead bone
VON GEORG BIERMANN.
Vor einiger Zeit erschien in Glasgow
bei James Maclehose and Sons ein kostbares
Album mit 50 Ansichten der schottischen Uni-
versitäts- und Industriestadt, das in wohlgelun-
genen Reproduktionen die Zeichnungen und
Pastelle vereinigte, die Muirhead Bone nach
Motiven seiner Vaterstadt geschaffen hat. Man
durchblättert den dickleibigen Band, dem ein
kurzer historischer Überblick über das Werden
Glasgows von H. Charteris vorangestellt ist,
zunächst mit einiger Skepsis und ist dann mit
jedem neuen Moment mehr überrascht von der
Fülle reifer und abgeklärter Kunst, die hier
zusammenströmt. Plötzlich ist unser Interesse
an Glasgow selbst geweckt. In den Veduten
und Silhouetten dieser Stadt, die wir nur vom
Hörensagen als eine Hochburg des modernen
schottischen Geistes kennen, wird ganz unver-
sehens etwas von der Seele dieses Landes
lebendig, das, wie man weiß, zu dem Schönsten
gehört, was die Natur geschaffen hat. Einsam-
keiten und verschwiegene nächtliche Winkel, in
denen der Spuk der Gespensterstunde umgeht,
sind neben den lebensstarken Zeugen betrieb-
samer Alltäglichkeit abgebildet. Im hellen Licht
des Morgens regt sich allenthalben die Geschäf-
tigkeit der ruhelosen Großstadt und der schlanke
gotische Turm der Universität, den am Abend
verklingender Lichterschein in halb verschwom-
mener Silhouette vor dem dunklen Himmel malt,
steht auf den Blättern, die das frische Leben
um die Mittagsstunde aufzeichnen, wie ein
sieggewohntes Zeichen über dem Werden der
Zukunft.
Hat man diese fünfzig Zeichnungen von
Muirhead Bone gesehen, dann kennt man
Glasgow, seine Seele und seinen Geist, und
man weiß, daß hier Handel, Industrie und
Wissenschaft einen Dreibund geschlossen, der
auch für kommende Jahrzehnte dem städtischen
Organismus ein unzweideutiges Relief verleiht.
Aber ein Etwas ist doch in diesen Blättern,
das die Wirklichkeit dichterisch überwindet, das
den Alltag in künstlerischem Sinne verklärt, das
wie ferne Romantik aus den Tagen eines Walter
Scott anmutet und mit heimlicher Liebe zur
Vaterstadt deren Bestes und Schönstes belauscht
hat. Man fühlt es, daß hier ein Künstler von
Gottes Gnaden erzählt und die hundertfältigen
Gesichte visionär verklärt hat. Nicht dithyram-
bisch mit der mächtigen Wucht mystischer Emp-
findung, sondern einfach, naiv — oft fast zu
naiv — mit der verzückten Freude an der rein-
DIE KUNSTWELT I, 6
383