Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912
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Wiener, Oskar: Das Mahler-Buch des Herrn de Lairesse: eine Studie
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BÜSTE DES MALERS PAUL HAASE
DAS MAHLER-BUCH DES HERRN
DE LAIRESSE.
Eine Studie von Oskar Wiener (Prag).
Wir leben in einer Zeit, die nicht gern daran
erinnert werden will, daß sich unsere hohe Mal-
kunst aus rein handwerklichen Verhältnissen ent-
faltet hat. Die Bildner von heute fordern als
erstes Gesetz einer schöpferischen Betätigung die
Betonung der Persönlichkeit. Das eigene, un-
verschleierte Ich muß sich restlos in den Kunst-
werken seiner Schöpfer spiegeln, und namentlich
der Impressionismus folgt den Eingebungen eines
bewegten Gemüts. Mit fliegender Hast setzt er
seine Eindrücke in die Farbe um, und das bie-
dere Handwerk verweist er auf das Gebiet des
Kunstgewerbes. So ist es heute, und darum
OEOKO WIENBRACK
muß es wie ein Kulturkuriosum anmuten, daß
— zu einer Zeit, da die Kunst fiel tiefer im
Volke wurzelte, als gegenwärtig — ein ange-
sehener Meister allen Ernstes ein Lehrbuch der
•
Malerei schreiben konnte, ein Buch, das den
„Lehrling“ mit wissenschaftlicher Gründlichkeit
in die Geheimnisse des künstlerischen Schaffens
einführt. Dieses Werk ist von dem „weit—
belobten Kunst-Mahler“ Gerhard de Lairesse
verfaßt worden, und anno 1728 wurde es sogar
zum Nutzen der edlen Zunft aus dem Hollän-
dischen in das Hoch-Teutsche übersetzt.
Herr de Lairesse scheint das Mahnwort unseres
Dichters: „Schaffe Künstler, rede nicht!“ vor-
empfunden zu haben, denn er entschuldigt in
einer „Vorrede“ sehr weitläufig das Erscheinen
seines Werkes. Dabei erfahren wir, daß das
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DAS MAHLER-BUCH DES HERRN
DE LAIRESSE.
Eine Studie von Oskar Wiener (Prag).
Wir leben in einer Zeit, die nicht gern daran
erinnert werden will, daß sich unsere hohe Mal-
kunst aus rein handwerklichen Verhältnissen ent-
faltet hat. Die Bildner von heute fordern als
erstes Gesetz einer schöpferischen Betätigung die
Betonung der Persönlichkeit. Das eigene, un-
verschleierte Ich muß sich restlos in den Kunst-
werken seiner Schöpfer spiegeln, und namentlich
der Impressionismus folgt den Eingebungen eines
bewegten Gemüts. Mit fliegender Hast setzt er
seine Eindrücke in die Farbe um, und das bie-
dere Handwerk verweist er auf das Gebiet des
Kunstgewerbes. So ist es heute, und darum
OEOKO WIENBRACK
muß es wie ein Kulturkuriosum anmuten, daß
— zu einer Zeit, da die Kunst fiel tiefer im
Volke wurzelte, als gegenwärtig — ein ange-
sehener Meister allen Ernstes ein Lehrbuch der
•
Malerei schreiben konnte, ein Buch, das den
„Lehrling“ mit wissenschaftlicher Gründlichkeit
in die Geheimnisse des künstlerischen Schaffens
einführt. Dieses Werk ist von dem „weit—
belobten Kunst-Mahler“ Gerhard de Lairesse
verfaßt worden, und anno 1728 wurde es sogar
zum Nutzen der edlen Zunft aus dem Hollän-
dischen in das Hoch-Teutsche übersetzt.
Herr de Lairesse scheint das Mahnwort unseres
Dichters: „Schaffe Künstler, rede nicht!“ vor-
empfunden zu haben, denn er entschuldigt in
einer „Vorrede“ sehr weitläufig das Erscheinen
seines Werkes. Dabei erfahren wir, daß das
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