Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

DOI article:
Stern, Robert: Schöpfer und Geniesser
DOI article:
Blake, John P.; Reveirs-Hopkins, Alfred Edward: Englische Möbel: die Periode der Königin Anna
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0619

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
ENGLISCH EIMÖBEL : PORZELLAN-LACK-KABINETT.

Der Genuß — so zeigt dieses kleine praktische
Beispiel — ändert sich mit der seelischen Dis-
position. Ein heiteres Gemüt fühlt sich zu
heiteren Bildweisen hingezogen. Ein ernstes
Gemüt liebt die ernste Kunst. Der Denker
sucht und genießt vorzugsweise das Ideelle der
Kunst.

Den Oberflächlichen spricht der bunte
Schein an. Ein jeder genießt die Kunst nach
seiner Weise, weil er in ihr nur genießt, was
seine innere Verfassung wiederspiegelt. Je reicher
das Innere des Beschauers differenziert ist, desto
vielfacher wird er ein Kunstwerk genießen.
Den vollen Genuß empfindet aber nur der, dem
das Bild aus der Seele gesprochen, geschaffen,
geschöpft ist.

Was schließlich besagen will: das volle

Kunstverständnis, der vollständige Kunstgenuß
setzt eine dem Kunstschöpfer gleichwertige Kon-
genialität des Genießenden voraus.

Englische möbel.*>

Die Periode der Königin Anna.

Wilhelm III. war Holländer und ist
während seiner dreizehnjährigen Regierung
bis zu seinem Tode Holländer geblieben.
Sein Englisch war schlecht, sein Akzent
rauh und sein Wortschatz beschränkt. Er
kam nach England als ein Fremder,
und das Land war stets für ihn ein frem-
des. Der König sowohl wie seine Gattin
Mary interessierten sich lebhaft für Woh-
nungsausstattung und Mobiliar. Bald nach
ihrer Krönung verlegten sie ihren Sitz
nach Hampton Court, und der Palast
entsprach so sehr dem Geschmack Wil-
helms, daß es schwer war, ihn von dort
fortzubringen.

Mit Hilfe des Architekten Sir Christo-
pher Wren und des Bildschnitzers Grin-
ling Gibbon fanden große Veränderungen
in Hampton Court statt. Das Resultat,
die Verbindung von Renaissance und
Tudorstil, war erfreulicher, als man hätte
meinen sollen. Die Königin Mary war
das Muster einer Hausfrau. Sie bedeckte
die Rücklehnen der Stühle und Ruhe-
betten mit Handarbeiten, die man als be-
sonders zierlich und „wohl schattiert“ be-
zeichnet, obwohl ihre Spuren längst ver-
schwunden sind. Bemerkenswert ist, daß
zu dieser Zeit die Vorliebe für chinesi-
sches Porzellan in England von der Kö-
nigin selbst begründet wurde. Wir fin-
den daher neben den reichgemalten
Decken und dem Schnitzwerk Grinling
Gibbons und seiner Schule feine Nadelarbeiten,
gepolsterte Bettstellen, marmorne Kaminverklei-
dungen mit sich verjüngendem Aufsatz für
Delfter und Chinesische Poterien.

In Hampton Court, dem Palast, für dessen
Ausstattung Grinling Gibbon als Bildhauer von
Wilhelm III. besonders ernannt war, finden sich
treffliche Proben der Schnitzereien des Meisters.
Er arbeitete meist in weichen Holzarten, wie
Ceder, Linde und Kiefer. Bisweilen verwendete
er auch die Eiche. Seine Motive waren über-
aus mannigfaltig — Früchte, Laubwerk und
Blumen, Amoretten, totes Wild und Musik-
instrumente — und sind mit bewunderswerter
Handfertigkeit und Erfindungsgabe ausgeführt.
Häufig läßt die Kühnheit seines Realismus der

*) Aus dem soeben erschienenen Werk: „Das Möbel in
England“ von J. P. Blake und A. E. Reveirs-Hopkins. Deutsche
illustr. Ausgabe, bearbeitet von Professor Karl Taubert. (Band II:
Nußbaum). Berlin 1912, Verlag Weise & Co. Mk. 3. — .

522
 
Annotationen